Montag, November 23, 2015

Kaderli und das grosse Brausen

Nachdem sich der geneigte Leser (wohin „neigen“ sich eigentlich Leser?) in der letzten Ausgabe von meiner ausserordentlich professionellen Ausbildung überzeugen  und meine ersten Abenteuer unter Wasser mitverfolgen konnte, heisst es nun heute „back to the roots“ – zurück zu den Wurzeln! Denn, was wäre ein Taucherleben ohne Mitgliedschaft in einem Tauchclub? Richtig! Gar nichts!

Wie es sich für einen ordentlichen Verein gehört, wurde schon lange zum Voraus ein Komitee gegründet, welches den Pfingstausflug zu organisieren hatte. Fragen wie „wohin, weshalb, warum und wann?“ wurden erörtert und schon bald erhielten die Mitglieder einen akkuraten Reiseplan und den unvermeidlichen Befehl: „Besammlung um 08.00 Uhr vor dem Gemeindehaus, gemeinsame Abfahrt: 08.30 Uhr. Gez. Kaderli, Präsident“
Nachdem die geplante Abfahrt wegen fehlender Teilnehmer mehrmals verschoben werden musste, setzte sich die Karawane gegen 10.00 Uhr langsam in Bewegung. Angeführt vom Präsidenten persönlich fanden wir auch bald die Autobahneinfahrt und fuhren im Konvoi, und einer gefühlten Höchstgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern, dem Ziel unserer Träume entgegen. Bereits am späteren Nachmittag – der Chef hatte eine Reifenpanne und Kevin-Albert musste kotzen – erreichten wir den lieblichen Gasthof im Tessin.
Der Zimmerbezug verursachte einige Probleme: Das Komitee hatte nicht genügend Zimmer reserviert! Kaderli liess umgehend den ganzen Verein vor dem Hotel Aufstellung nehmen, rief zum Appell und liess die liederliche Bande sauber durchnummerieren.
Und tatsächlich: Drei Mitglieder bekannten sich schuldig, sich nicht angemeldet zu haben. Gleichzeitig aber fehlte Willi, Peter kam alleine (Frau abhandengekommen) und Gerda (Mann abhandengekommen) hatte einen Neuen dabei. Kurz bevor es zu Tätlichkeiten kam, sprach Kaderli ein Machtwort: „Willi liegt beim Neuen von Gerda, diese erhält das Einzelzimmer von Willi und die Neuen sollen doch selber schauen, wo sie hinkommen.“
Mein Einspruch, Willi sei doch gar nicht hier, verhallte ungehört. Nachdem Kaderli dessen Bettstatt umgebaut und sämtliche Schränke aus dem Zimmer entfernt hatte, fräste er einen Durchgang zwischen die Zimmer 2 und 3, vermauerte die Türe zu Zimmer 4 und schnitzte eine heilige Maria ins Dachgestühl.

 
Was danach geschah, kann der Apostelgeschichte entnommen werden: „Als aber der Pfingsttag gekommen war, geschah ein Brausen vom Himmel und sie wurden von dem heiligen Geist erfüllt.“ Dem Brausen aber folgte nicht der Heilige Geist sondern das obligate, unheilige Tischerücken im Restaurant.
Aus unerfindlichen Gründen fühlen sich Vereinsmitglieder nur glücklich, wenn alle an einem einzigen, langen Tisch sitzen können. Dank diesem ungeschriebenen Gesetz ergeben sich Tischreihen, die auf der Gartenterrasse beginnen, durch das Restaurant, die Küche und die Wäscherei hinunter zur Kegelbahn und hinaus zum Parkplatz führen.
Auf Grund der chaotischen Tischordnung wurden auch diesmal Familien brutal auseinander gerissen: das Kind hockte im Keller, der Vater auf dem Parkplatz und die Mutter in der Wäscherei. Die Wirtin notierte einen Kinderteller für den Keller, ein Steak für den Parkplatz und vergass die Mutter, welche anschliessend einen Wurstsalat erhielt den sie auch nicht bestellt hatte.
Der Grossvater erklärte sich sofort bereit, diesen zu übernehmen und bestellte für den Enkel noch eine Bratwurst, die dieser später heulend auf den Boden werfen sollte. „Ich will einen Pinguteller!“ schrie Bubi los, worauf die Mutter aus der Wäscherei zum Vater auf den Parkplatz eilte: „Schau du jetzt mal zu Kevin-Albert, ist ja auch dein Sohn!“

In diesem Moment betrat die Wirtin den Schauplatz: „Zum letzten Mal: Wem gehört gopferdori das Schnitzel?“ Natürlich war es wieder Grossvater der sich opferte und – nach dem Wurstsalat und dem Pinguteller – auch noch das Schnitzel ass. Als es ums Zahlen ging, artete der Abend völlig aus. Nach einem ersten Versuch beim Grossvater („ich bezahle die Bratwurst von Kevin-Albert, Freddie bezahlt meine Getränke und den Wurstsalat“) knallte die Wirtin die Rechnung auf den Tisch und zischte „selber einkassieren“.
Was Grossvater auch artig tat.
Nur Freddy fand er nicht.

 
Schon seit einigen Stunden fuhren sie ungemütlich vor sich hin.

„Meinst du, wir sind richtig?“ fragte die Signora.
„Was heisst hier richtig? Natürlich sind wir richtig! Laut Bordcomputer geht es noch 287 Kilometer!“ schnauzte Freddy zurück und konzentrierte sich wieder auf die Fahrbahn.
„Aber Kaderli hat doch gesagt, von Basel seien es gute 4 Stunden bis an den Lago. Und jetzt sind wir schon seit 9 Stunden unterwegs!“

Insgeheim kam auch ihm die Reise etwas langfädig vor. Und als er in der Ferne einen schiefen Turm erblickte, trat er ohne Vorwarnung auf die Bremse. Der Wagen kam rauchend und schlingernd auf dem Pannenstreifen zu stehen.
Heilandsagg! Das war doch DER schiefe Turm! Und der stand doch gopferdammi in Italien und nicht im Tessin!
„Scheiss Navi!“ brüllte er los, riss das Ding aus seiner Halterung und warf es im hohen Bogen über die Leitplanken. Da er, als er sich das Navigationsgerät gekauft hatte, gleichzeitig auch die Strassenkarten weggeworfen hatte, stand er nun irgendwo in der italienischen Pampas, hatte keine Ahnung wo er war und noch weniger, wo er eigentlich hinmusste.
„Ruf mal Kaderli an“ sagte er zu seiner Frau, „der Herr Präsident wird ja wohl wissen, wo wir hin müssen.“
„Hast du seine Handynummer?“
„Ich? Wieso ich? Du bist die Sekretärin hier!“
Nachdem sie alle Koffer ausgeladen und fein säuberlich auf dem Pannenstreifen aufgereiht hatten, fanden sie endlich die Reiseunterlagen und Kaderlis Telefonnummer.
"Gibst du mir mal dein Handy?“ fragte sie ihren Göttergatten.
„Warum? Du hast doch selbst eins!“
„Ja schon, aber es ist zu Hause geblieben.“
„Es ist zu Hause geblieben? Was ist denn das für eine saublöde Antwort: Es ist zu Hause geblieben!? Handys können nicht zu Hause bleiben. Handys haben keinen eigenen Willen und können nicht denken. Du wohl aber auch nicht! Vergessen hast du dieses blöde Ding! Gottseidank hast du mich dabei – hier, nimm meins!“
„Es geht nicht, der Akku ist leer“ entgegnete sie nach einer Weile und gab ihm sein Handy zurück. Wortlos steckte er es ein, startete den Motor und fuhr davon.
„Und jetzt, wohin?“ wandte er sich an seine Frau.
Die jedoch sass nicht neben ihm, sondern auf fünf Koffern auf dem Pannenstreifen der Autostrada nach Roma und hörte gar nichts.

 Da Freddy nicht nur in Italien steckte, sondern auch Herr über Taucherflagge und Notfallkoffer war, blieben die Flossen trocken, der Pfingstausflug wurde abgebrochen.
Das angekündigte Brausen aber kam nicht vom Himmel, sondern aus Kaderlis enttäuschter Seele: Er trat noch gleichentags von all seinen Ämtern zurück.

In mondlosen Nächten sieht man ihn, mit Tischen und Stühlen schwer beladen, in den nahen Wäldern umherstreifen.
Die Tischreihe soll bereits mehrere Kilometer betragen.

 

 

 

 

 

 

Vorsicht Satire!

 

Hanspeter Gsell schrieb viele Jahre bissige Kolumnen für verschiedene Zeitungen, darunter die Schweizer Hotelrevue sowie die Basler Zeitung. Diese Texte, aber auch weitere Geschichten rund um die Gastfreundschaft, liegen ebenfalls in Buchform vor.

Aktuell finden sie Reiseberichte und Reportagen auch in der Volksstimme sowie im AQUANAUT.

 

Hühnerbrust und Federkiel – Seitenhiebe auf die Gastfreundschaft

ISBN 978-3-8334-6351-8

Ikefang und Gutgenug – Südsee-Geschichten

ISBN 978-3-8391-0777-5

Ein bisschen scharf muss sein – Seitenhiebe auf die Gastfreundschaft (2)

ISBN 978-3-8482-2851-5

 

Alle erschienen beim Verlag BOD GmbH, Norderstedt

 

 

 

 

 

 

Dienstag, November 17, 2015

Ein Schollen Hanf

Mitnichten handelt es sich hier um eine Glosse für oder wider den auch im Baselbiet heimisch gewordenen Hanfstängel. In meiner alten Heimat bezeichnete man mit einem „Schollen Hanf“ schlicht und einfach ein Stück Brot. Und genau darum geht’s in dieser Kolumne.
Der Werbespot der Schweizer Bäcker ist eine Meisterleistung der Filmtechnik. In Zeitlupe explodiert ein offensichtlich ofenfrisches Brot. Sekundenlang und in HD zischen Krumen und Brösmeli kreuz und quer über den Bildschirm. Das Geräusch der brechenden Kruste ist ein Genuss für die Ohren, die Schallwellen drängen bis ins Hirn vor und suggerieren umgehend „Hunger“! Bis hierher funktioniert die Werbung. Dann aber ist Schluss. Denn das gezeigte Produkt ist in dieser Form wohl nur Wunschdenken und im täglichen Leben kaum in dieser Qualität zu finden.

„Gib uns unser täglich‘ Brot.“ Ich gehe nicht davon aus, dass der Texter dieses Bittspruchs damit meinte, ich müsse mir mein täglich‘ Brot in einem Restaurant, im Speisewagen oder in einem Flugzeug geben lassen. In diesem Falle würde ich nämlich einen sofortigen Hungertod in Betracht ziehen oder zumindest über den Übertritt in eine Naturreligion nachdenken. Was in Gaststuben, auf Schienen und in den Lüften serviert wird, hat den Namen „Brot“ nicht verdient, ist nicht nur politisch unkorrekt sondern gleichzeitig missbrotbräuchlich. Wenn ich die Qualität von Restaurants allein an deren Angebot an Backwaren bewerten sollte: Das Resultat wäre mehr als bedenklich. Brotähnliche Pampigkeiten mit orbitalem Dehnfaktor werden als Hausbrot aufgetischt, Brotartiges von gestern wird quasi via Gast entsorgt. Fade Baguettes, schon vor dem Morgengrauen in Scheiben geschnitten, welken auf Porzellan ebenso dahin wie im verstaubten Bastkorb. Auch das Vorhandensein einiger weniger Mohnsamen, Weizenkörnli oder Buchennüssli macht aus geschmacklosen Teiglingen noch kein gutes Brot.

Schlimmer noch als die Brotkultur in mittelmässigen Restaurants ist das Frühstück in der Hotellerie. Das durchschnittlich inbegriffene Hotelfrühstück ist bestenfalls das Kunststück aus nichts noch weniger zu machen. Was mir hier zur angeblich schönsten Stunde des Tages vorgesetzt wird, ist meist ein klägliches Stück gastronomischer Biederkeit. Seit Jahr und Tag erhalte ich die gleichen Einheitsaufbackgipfel und das Knäckebrot hat das Knacken schon längst verlernt. Das einzige Gold im Mund‘ zur Morgenstund‘ ist meist nur in Form von Zahngold anwesend.

Manchmal denke ich, dass Brot für viele Menschen an Bedeutung verloren hat. Vielleicht ist Brot für Viele nur noch die Erinnerung an einen alten Kalenderspruch:

 "Grosspapi, ich mag kein Brot!"

 "Bub, iss das Brot, dann wirst du gross und stark!"

 "Weshalb muss ich denn gross und stark werden?"

 "Damit aus dir mal etwas Gescheites wird."

 "Aber warum soll ich den etwas Gescheites werden?“

 "Damit du dir das Brot selber verdienen kannst."

 "Aber Grosspapi, ich mag doch gar kein Brot!"