Mittwoch, Mai 30, 2018

Wecker Konstantin




Aus dem Buch
Hühnerbrust und Federkiel
Seitenhiebe auf die Gastfreundschaft
von Hanspeter Gsell, erschienen bei BoD




Als Morgenmuffel und Tiefschläfer benötige ich auf Reisen immer mehrere Wecker. Leider vergesse ich sie jedoch mit grösster Regelmässigkeit zu Hause, oder aber sie geben aus unendlich vielen Gründen ihren zeitigen Geist auf. Damit ich trotzdem zur richtigen Zeit am vielleicht richtigen Ort eintreffe, bin ich auf die Mithilfe von netten Hotelmitarbeitern und anderen sprechenden Uhren angewiesen.


Noch gibt es einige Hotels, die diesen Service persönlich nehmen, um mich dann pünktlich zu wecken. Andere haben ihren Weckdienst direkt an die Putzequipen delegiert. Exakt zur gewünschten Zeit werden diese, gleichzeitig vor sämtlichen Zimmern, die Motoren ihrer Staubsauger starten. 

In den meisten Fällen werde ich mir jedoch weiterhin die abendliche Langeweile damit vertreiben, ausführlich vorsintflutliche Weckmaschinen zu programmieren oder die Anleitungen des vollautomatisierten Wecktelefons auswendig zu lernen. Und wichtige Termine werde ich weiterhin verpassen, da ich die Aufwachautomatik wieder mit der Einschlaftaste, das a.m. mit dem p.m. und den Timer mit der Uhrzeit verwechsle.

Wie schön ist es doch, zu Hause aufzuwachen! Über meinem Schlafzimmerfenster ist wieder die Spatzenfamilie vom Vorjahr eingezogen. Mit grösster Selbstverständlichkeit imitiert deren Familienoberhaupt das Schrillen meines Weckers. Ich nenne ihn deshalb Konstantin, den Wecker. Zurzeit bringe ich dem Vogel die Uhrzeit bei, da er immer nur im Morgengrauen schrillt.




Sonntag, Mai 20, 2018

Heute schon empört?



Lügen haben Hühnerbeine

 
Als Jakob B. verhaftet wurde, ging ein Aufschrei durch die Schweiz. „Spritzen-Jakob“, wie man ihn nannte, war ein gern gesehener Gast in schweizerischen Kälberställen. Ob Schweineschnuppen oder Kalbshusten, Jakob B. hatte gegen jede Krankheit ein Mittelchen. Hormone und Antibiotika gab’s im Doppelpack. Und wenn man bei ihm gleich auch noch die Futtermittel bestellte, kam er auch bei Nacht und Nebel ins Haus. Wir empörten uns national. Das war vor 25 Jahren.

Und wieder einmal empören wir uns national. Und wieder sind es Antibiotikahühner und Hormonkälber die uns den Appetit ganz schön verderben. Wir sind aber auch empört über thailändische Krevetten, die jeder Bronchitis Einhalt gebieten, und über norwegischen Lachs, der eigentlich rezeptpflichtig wäre und nur in Apotheken abgegeben werden dürfte. Wir empören uns über Tierfabriken in Rumänien und
über Tiertransporte von Russland nach Tunesien. Wir empören uns über leer gefischte Meere vor Kanada, sterbende Delfine in koreanischen Treibnetzen, über zersäbelte Haie auf chinesischen Schiffen und über japanische Walfänger. Und wir empören uns über Importeure und selbstgerechte Grossverteiler die uns betrügen, belügen und falsch deklarieren.

Vielleicht sollten wir uns aber auch über das Menü 1 zu Fr. 12.50 empören. Und über unsern aberwitzigen Glauben, dass zu diesem Preis unverfälschte und echte Lebensmittel auf dem Teller landen können. Ich empöre mich darüber, dass wir uns tagtäglich schamlos belügen.

Heute schon empört?

Noch mehr Geschichten von und mit Hanspeter Gsell
finden Sie im Buch
IMMER WIEDER FERNWEH
Logbuch eines Inselsammlers
Erschienen bei BoD und überall dort erhältlich wo's Bücher gibt.

 
 
 





 


Mittwoch, Mai 16, 2018

Besser weinselig als bierernst


Eine Geschichte aus meinem Buch

Seitenhiebe auf die Gastfreundschaft
Hühnerbrust und Federkiel

Erschienen bei Bod und überall dort erhältlich,
wo's gute Bücher gibt:
Bei Ihrem Lieblingsbuchhändler, im Internet, in der
Brockenstube oder direkt beim Verlag.

Ich höre schon den Kari sagen, 'der Gsell, der spinnt wieder'. Wie kann man nur so eine dämliche Überschrift produzieren. Aber der Kari war schon immer ein unverbesserlicher Stänkerer. Bei der Überschrift handelt es sich nämlich um eine so genannte „‚Oenosenz“. Oenosenzen sind hohle Sprüche für leere Gläser, weinseliger Nonsens für Klamauk-Germanisten.

"Vulkan" - Wasserfarbe auf Schuhkarton.
Aus der Reihe "Dinosaurier" von CMG

 

Natürlich, die Flasche fällt nicht weit vom Tisch und auch eine Traube macht noch keinen Herbst. Trotzdem ist mir lieber eine Flasche in der Hand als ein Glas auf dem Dach. Oder wie man früher sagte: Lieber Wein als kein.
„Wein Gott Walter!“, mögen Sie jetzt denken. Aus dieser hohlen Flasche soll er kommen? Doch wohl kaum. Aber weisse Weine reizen weise Waisen reisend Reime reimend. Diese unglaublich lustigen Sprüche, skurrile Wortschöpfungen und sprachlichen Banalitäten sind nicht etwa die Ausbeute eines feuchtfröhlichen Abends am Stammtisch, sondern die real existierenden Ergüsse fantasievoller Laienwerber.
"Vulkan" - Wasserfarbe auf Schuhkarton
Aus der Reihe "Dinosaurier" von LEG

Nicht zur Gattung der Oenosenzen zählt man jedoch die Kampagne einer Schweizer Telefongesellschaft. „Einfach Mami, einfach Papi, einfach Isolde, einfach Adalbert, einfach anrufen.“ Einfach doof. Aber schon mit wenigen Änderungen können Sie diese postnatale Fraktursprache Ihren Gegebenheiten anpassen „Einfach herein, einfach trinken, einfach essen, einfach bezahlen, einfach tschüss.“ Einfach toll!

Die heutigen Bilder stammen von Colin und Lenny - Danke!

 
Noch mehr Geschichten finden Sie in meinem neusten Buch
IMMER WIEDER FERNWEH - Logbuch eines Inselsammlers
 

Dienstag, Mai 15, 2018

Well


Zukunftsforscher, Trend-Gurus und andere Zauberlehrlinge reisen mit mahnenden Fingern, Hellraumprojektoren und schwarz-weissen Prognosen durch die touristisch interessierte Schweiz. Sie verbreiten sich, ihre Trends und ungefragten Meinungen gewinnbringend und flächendeckend. Ob Schwimmbadkiosk oder Militärkantine, Trend muss sein, Trend hin oder her. „Wellness“ heisst der Trend der Zeit. Wellness ist in. Wellness muss man haben, Wellness braucht man; nichts anderes braucht der Mensch zu seinem und des Hoteliers Glück.

Was aber ist denn diese „Wellness“ eigentlich? Warum fühle ich mich so unwohl beim Klang dieses Wortes und weshalb nur erinnert es mich an Rheuma, Abstinenz und dritte Zähne? Vor meinen Augen dampfen Schlammbäder, der Ischias ruft und lange Gänge mit Böden aus grünem Linoleum verlieren sich angestaubt im morbiden Halbdunkel eines Sanatoriums. Eidgenössische Ober-turner üben die mentale Halfpipe, Spätgeborene ertüchtigen sich Kraft der Freude und gemeinsam geniesst man das Wohlfühlaroma eines voralpinen Heublumenbades.

Wellness schmeckt nach Mottenkugeln und Bohnerwachs. Wellness tönt nach Muss und schliesst den Genuss aus. Nun, auch die Wellness wird uns wohl nicht lange erhalten bleiben. Denn Trends sind ein Business, Business für die Wellness einer ganzen Branche. Und so werden sie auch nächstes Jahr wieder mit mahnenden Fingern durch die Lande ziehen.

Bitte hier neue Trends eintragen. Aber mit Bleistift. Dann kann man sie auch gleich wieder ausradieren.

Freitag, Mai 11, 2018

Oel

Aus der Kolumnensammlung
Hühnerbrust und Federkiel
von Hanspeter Gsell, erschienen bei Bod


Ich sitze inmitten von Olivenbäumen in den Hügeln von Castellina und denke an Angelo und seine hübsche Pizzeria in der Schweiz. Auf seinen kleinen Tischen mit den karierten Tischtüchern standen früher immer die Flaschen mit dem wunderbaren Olivenöl.
 
"Die Biene". Oel auf Pappe von LEG
Eines Tages aber fand der Buchhalter von Angelo, dass dieser unbedingt seine Margen verbessern müsse. Und er sagte ihm auch gleich wie. Es gäbe doch viel günstigere Olivenöle: Wieso er denn für den Liter Olivenöl 28 Franken bezahle, wo er doch eben ein Angebot für 8 Franken gesehen habe. Bei einem Verbrauch von 20 Litern pro Monat mache dies immerhin bla-bla-bla. Da Angelo zwar viel von der Küche aber nur wenig von Zahlen verstand, befolgte er den Rat und kauft sich seither eine olivenölartige Flüssigkeit, die er nachts heimlich in die alten Extravergine-Flaschen umfüllt. Er selber mag das Öl zwar nicht, aber der Buchhalter hat ihm gesagt, dass die Schweizer garantiert nichts merken würden. 
Und tatsächlich, weder Frau Doktor Selbig noch Herr Hugentobler von vis-à-vis sagten bei ihrem letzten Besuch ein Sterbenswörtchen. Der Buchhalter gratulierte Angelo zur deutlich gestiegenen Küchenrendite. Allerdings ist sich Angelo nicht sicher ob er sich darüber freuen soll. Ihn interessiert vielmehr wo eigentlich die Selbig und der Hugentobler geblieben sind.

Eben erst wieder wurde ein grosser Konzern wegen Produktefälschung angeklagt. Und der Meierhans von nebenan fährt immer noch regelmässig über die Grenze, um sich mit billigem Olivenöl einzudecken. Es kostet immerhin dreimal weniger als das Motorenöl für seinen Mercedes.

Noch mehr Geschichten finden Sie im Reiseverführer IMMER WIEDER FERNWEH.



Mittwoch, Mai 09, 2018

Alles Wurst




Als Ostschweizer liegen mir Würste nicht nur am Herzen sondern manchmal auch auf dem Magen. Ich esse sie leidenschaftlich gerne. Aber immer öfter verschafft mir diese Leidenschaft jedoch tatsächlich Leiden. Was in der sommerlichen Schweiz wieder in Tausenden von Gartenrestaurants, an Schützenfesten und an privaten Grillpartys als Bratwurst aufgetischt wird, lässt St.Galler erbleichen und Thurgauer weinen.

Fetttriefende, manchmal auch Wasser lösende wurstförmige Erzeugnisse riechen auf schlecht gereinigten Grillstäben, und mitunter Feuer schlagend, vor sich hin. Mal sind sie aussen verkohlt und innen schlabberig, mal graubraun und gummig. Mal sehen sie aus wie nach einem Bombenangriff, mal sind sie nach „Art der Kopfjäger“ geschrumpft. Nicht einmal mit Senf – nur von Wurstdilettanten zur geschmacklichen Aufbesserung aus verschmutzten Tuben gepresst – können solche „Würstlinge“ noch gerettet werden. Es sind nicht nur fahrlässige Grilleure die solche Massaker veranstalten. Die Vorarbeit wurde vielfach bereits von geizigen Einkäufern geleistet. Ehrgeizig wäre in diesem Fall besser gewesen: ehrgeizig, die besten Würste des Landes einzukaufen. Und nicht die Billigsten. Denn nur Würstchen kaufen billig.

Aber auch was Metzgermeister zwischen die besungenen zwei Enden stopfen, ist wahrlich nicht immer meisterlich. Geradezu wurstverachtend ist die Methode, bereits die Würste mit Ketchup oder Käse (!) zu füllen. Es ist wirklich zum „aus der Haut fahren!“. Aber das ist eigentlich die Aufgabe der Wurst.
 
Aus der Kolumnensammlung Hühnerbrust und Federkiel von Hanspeter Gsell, erschienen bei BoD. Noch mehr Geschichten finden Sie im neusten Buch IMMER WIEDER FERNWEH - Logbuch eines Inselsammlers. Ebenfalls erschienen bei BoD. Auch als E-Book erhältlich.
 

Montag, Mai 07, 2018

On the Rocks

Vom Autor des Reiseverführers IMMER WIEDER FERNWEH:
 
 
Aus der Kolumnensammlung Hühnerbrust und Federkiel
 
Endlich Sommer! Ich schwitze ungewohnt und trotzdem gemütlich vor mich hin und freue mich auf einen angenehmen Abend in der Gartenwirtschaft. Und ich freue mich auf ein kühles Glas Weisswein. Doch leider ist die Vorfreude nicht nur die schönste Freude, sondern manchmal auch völlig deplatziert.

Denn, Sommer ist dann, wenn das Bier in warmen Gläsern serviert wird, wenn das helle Blonde wärmer ist als der unterkühlte Charme der servierenden Blondine. Sommer ist auch dann, wenn ich die Flasche Weisswein, ohne Weinkühler serviert, in 10 Minuten austrinken muss. Und Sommer ist dann, wenn der Rotwein wärmer ist als die Spaghetti auf dem kalten Teller. Wenn der Rosé so lauwarm ist wie die verwelkten Salatblätter auf dem warmen Teller. Sommer ist’s, wenn Kellner und Kühlschränke überfordert sind, der einzige Weinkühler bereits am Tisch 4 im Einsatz ist und die Eismaschine revidiert werden muss. Da schreien alle nach Sommer, und wenn er endlich da ist, merkt es keiner!

Frustriert sitze ich vor meinem temperierten Zweier und entschliesse mich, nach reichlicher Abwägung aller verfügbaren Waffen, zur Guerilla-Taktik. Ich robbe zum Tisch 4 und fische heimlich ein paar Eiswürfel. Geschickt verberge ich sie in der Serviette und lasse sie unbemerkt in mein Glas Wein gleiten. Der Wein schäumt ein wenig und das Eis klirrt bedrohlich. Aber immerhin ist er jetzt trinkbar, der Dôle. Der ist zwar nicht weiss. Aber Sommer ist auch, wenn mich die Wanderkellner aus dem Hindukusch nicht verstehen.
 

 

Samstag, Mai 05, 2018

Schnitzel under construction

Vom Autor des Reiseverführers
IMMER WIEDER FERNWEH - Logbuch eines Inselsammler:

Schnitzel under construction
Ein Text aus der Kolumnensammlung Hühnerbrust und Federkiel

Es ist 18.00 Uhr, und ich habe Hunger. Ich surfe durch die gastronomischen Angebote im Internet und bereits nach kurzer Zeit stosse ich auf die erste kulinarische Homepage. Das Menü:  Saltim Bocca und Zimtgalce mit eingelegte Zwetschgen. Zuzüglich MWST. Interessant. Dem Hinweis Kreditkarten werden akzeptiert folgt weiter unten die Bemerkung: keine Kreditkarten. Also weiter. Den Link zur SBB verstehe ich nicht und ich will weder ein Ferienhaus in der Toskana noch will ich dieses in irgendeine Währung umrechnen. Wohl doch nichts für mich, weiter mit Next. 

Eine Weinkarte verspricht Australische Weine: an erster Stelle steht ein „Sissacher Blauburgunder“. Weiter! Damit ich alle Informationen erhalte, muss ich zwischendurch noch ein Programm installieren. Nach minutenlanger Wartezeit und mehreren Fehlermeldungen entschliesst sich mein PC zum Absturz. Eine neue Suche führt mich zum aktuellen Angebot und dem Hinweis auf den Silvester-Ball 2000! Weiter!
 
Eine Fotogalerie mit niedlichen Bildlein zum Anklicken erweist sich als „Paulianisches Gruselkabinett“. Grünliche Stäbchen liegen neben gräulichen Schnitzeln. Das Gulasch ist unscharf und die Pizza verheisst ungute Gefühle. Im Dienst ergraute Patrons grüssen verwackelt hintergründig, wünschen blinkend einen schönen Aufenthalt und freuen sich auf meinen Besuch. Ich lehne dankend ab. Es ist 21.00 Uhr und ich habe keinen Hunger mehr.

1930 schrieb Ernst Pauli das Lehrbuch der Küche. Unter Köchen und Gastronomieprofis wird es einfach nur noch „der Pauli“ genannt.
 
 

Freitag, Mai 04, 2018

Käferfest


Vom Autor des Reiseverführers
IMMER WIEDER FERNWEH - Logbuch eines Inselsammler:

Käferfest

Die Lust am Ekel ist salonfähig geworden. Ob marinierte Ameisen oder gegrillte Made: Kein Vieh ist unappetitlich genug, sein ohnehin schon kurzes Leben in menschlichen Mägen auszuhauchen. Grillen aus Bodenhaltung, Marienkäfer aus artgerechtem Anbau und Bio-Blattläuse vom Bauernhof finden reissenden Absatz. Der Tierliebe sind keine Grenzen gesetzt und genüsslich lässt man die Chitin-Panzer knacken, verlustiert sich an behaarten Beinchen und schwärmt von fetten Fühlern.


Was auf den ersten Blick absonderlich wirkt, bringt leidgeplagte Gastronomen, sensible Ökologen und umweltbewusste Biologen geradezu ins Schwärmen. Denn noch nie konnten lästige Insekten derart umweltschonend bekämpft werden. Die Maikäfer des Basler Flugjahres müssen endlich nicht mehr chemisch gekeult werden, sondern landen direkt und lärmschonend in den Fritteusen.

Auf den Kammerjäger können wir zukünftig verzichten, denn knackige Schwabenkäfer beleben jede Stehparty, zarte Silberfische beflügeln jedes Konfirmationsessen. Legionen von Ameisen, die ihre Strassen durch die Gar-tenwirtschaft gebaut haben, werden unter Einsatz arglistig gefälschter Signalisationen direkt in den Steamer umgeleitet.


Der Lehrling kann am Abend die lästigen Schnaken mit dem Schmetterlingsnetz einfangen und sie flugs in einem zarten Bierteiglein ausbacken. Panierte Borkenkäfer statt Pommes Chips,  gesalzene Wasserwanzen statt Nüssli. Nach strangulierten Bernhardinern und langsam zu Tode geprügelten Siamkatzen ein weiterer Sieg der menschlichen Grösse.

Habe heute wieder zwei kleinen Fruchtfliegen das Leben gerettet. Nachdem sie sich aus Verzweiflung in mein Weinglas gestürzt hatten, holte ich sie mit Hilfe eines Löffels zurück ins Leben. Ich setzte sie auf den Tisch und föhnte ihnen mit meinem Odem die nassen Flügelein. Alsbald stiegen sie wieder dem Lichte entgegen. Um sich sofort wieder in meinem Veltliner zu ertränken.
 
Aus dem Buch Hühnerbrust und Federkiel von Hanspeter Gsell,
erschienen bei BoD, erhältlich überall dort wo es gute Bücher gibt. Aber auch im Antiquariat, in der Brockenstube und im Internet.
 

 

Donnerstag, Mai 03, 2018

Brotmissbrauch

 
Vom Autor des Buches
IMMER WIEDER FERNWEH - Logbuch eines Inselsammlers:

Brotmissbrauch

„Gib uns heute unser täglich’ Brot“. Ich gehe davon aus, dass der Texter dieses Bittspruchs damit nicht meinte, ich müsse mir mein tägliches Brot in einem Restaurant geben lassen. In diesem Falle würde ich nämlich entweder den sofortigen Hungertod oder den Übertritt in eine Naturreligion wählen. Was nämlich als „Brot“ in helvetischen Gaststuben auftaucht, hat diesen Namen nicht verdient, ist politisch unkorrekt und somit „missbrotbräuchlich“.

Früher schaute ich mir die Toiletten an, um mir einen Überblick über den Zustand eines Restaurants zu verschaffen. Heute belasse ich es bei einem tiefen Blick in die Brotkörbe. Deren Zustand und Inhalt zeigt mir nicht nur den Hygienestandard des Betriebs, sondern vermittelt mir auch einen Blick in die Seele des Wirtes. Ob getarnt unter Selbstgehäkeltem, aufgewertet in Alessi oder abgeschlossen unter Plexiglas: Nichts entgeht meinem Brotauge.

Wenn ich die Qualität Schweizer Hotels und Restaurants allein an deren Angebot an Backwaren bewerte: Das Resultat ist bedenklich. Brotähnliche Pampigkeiten mit orbitalem Dehnfaktor werden als Hausbrot aufgetischt, Brotartiges von gestern wird quasi via Gast entsorgt. Fade Baguettes, bereits vor dem Morgengrauen in Scheiben geschnitten, welken auf Porzellan ebenso dahin wie im Bastkorb. Auch das Vorhandensein einiger Mohnsamen, Weizenkörnli oder Buchennüssli macht aus geschmackslosen Teiglingen noch kein gutes Brot. Auch nicht, wenn dieses dann mit Silberbesteck und weissen Handschuhen serviert wird.

Ein Hotelier erklärte mir seine Brot-Politik: „Ich serviere kein gutes Brot, weil sonst die Gäste nur noch eine billige Suppe bestellen und sich den Bauch mit teurem Brot voll schlagen“. Er arbeitet jetzt in der Chemie.
Ich kenne eine Beiz, da gehen viele Leute auch wegen des Brotes hin. Sie schlagen sich, zu selbst gemachter Suppe, frischem Salat und wunderbaren Steaks, die Bäuche mit selbst gebackenem Brot voll. Und weil sie so viel essen, müssen sie auch viel teuren Wein und viel teures Mineralwasser trinken. Und manche bestellen sich nachher noch eine Meringue oder eine Gebrannte Crème und vielleicht sogar noch einen Selbstgebrannten zum Kaffee.
 
Aus dem Buch Hühnerbrust und Federkiel, erschienen bei BoD, erhältlich dort wo's g'scheite Bücher gibt, im Brockenhaus oder im Internet.
 
 


Mittwoch, Mai 02, 2018

Fju-schän



Vom Autor des Reiseverführers
IMMER WIEDER FERNWEH - Logbuch eines Inselsammlers
Hanspeter Gsell

Fju-schän

Als Wahlbasler sind mir natürlich Fusionen wirklich nicht fremd. Auch mein Freund Kari Koch fusioniert zurzeit. Nein, weder mit dem Sternen vis-à-vis noch mit seiner Darlehensbrauerei. Zusammen mit seinem Koch aus Indien, der Putzhilfe aus Brasilien und dem bosnischen Kellner hat er die Küche neu erfunden. Nein – nicht einfach eine weitere „Cross-over-Cuisine“ sondern ein wahrhaftiges „Cook-over“ mit eurasischen Wurzeln und südamerikanischen Einflüssen, fusioniert mit der helvetischen Rösti, dem einheimischen Albeli und der traditionellen Plätzliküche.

Ein kulinarisches Feuerwerk aus New Cuisine, Tante Martas Eintopf und dem Rest der Welt. Samba tanzende Blutwürste, Wodka-Maggronen und Kokosnuss-Rösti mit Birkenblütensauce verführen zur Völlerei. Papageien-fischfilets auf ihren weichen Betten aus Suurchabis, koreanische Pudelbäggli mit Rheintaler Ribel, Hackbraten souffliert von indischen Grazien und dahin gestreckt auf Palmwedel-Gemüse mit Munggenfett. Das Kalbshirni auf einem Mangobettlein mit Grünkerz-Haferfett aus Turkmenistan und einem Yak-Schnitzeli mit Boskop-Muus und „Osso mit Bucco voll“.

Auch Karis New-World-Coffee-Shop-Outlet ist wahnsinnig im Trend. Das Mucheli heisst jetzt neu „Schuumstöffli“ und aus dem Kaffi fertig wird ein Mountain-Chicken-Flavor-Happy-Hippo-Drink. Die Schale Gold wird mit dem Digger-Nugget-Puppet-Plastic-Shake abgefuckt, dazu gibt’s Low-Cholesterol-Whitener und Fatfree Sugar. Sein persönlicher Chinese gibt Kari noch die letzten Vorschläge in Sachen Drachen. Hier wird noch ein Hundert-Dollar-Bergdiamant transzendent platziert, da noch ein Spiegel in E-Dur gestimmt.
Und fertig lustig ist das neue Konzept von Kari Koch, den bisher alle nur Kari nannten. Der Sternen heisst jetzt Loft, der Kari „Doof“ und alles zusammen nennt man „Fju-schän“. Schon wurde der erste Trendforscher beobachtet, wie er sich mit angeklebtem Bart und geschminkten Oberlippen heimlich Notizen machten.

Ich mag Experimente. Früher mit dem Chemiebaukasten und heute mit Worten. Die Resultate mussten jedoch nie gegessen werden. 

Aus dem Buch Hühnerbrust und Federkiel
von Hanspeter Gsell, erschienen bei BoD, Norderstedt


Dienstag, Mai 01, 2018

Posche gedünstet

Vom Autor des Wetsellers ...
IMMER WIEDER FERNWEH - Logbuch eines Inselsammlers

Porsche gedünstet
Aus der Kolumnensammlung HUEHNERBRUST UND FEDERKIEL
erhältlich im Buchhandel oder beim Verlag, als Taschenbuch oder als E-Book.


Seit vor vielen Jahren ein Lehrling den pochierten Steinbutt (Turbot poché) mit „Porsche Turbo“ übersetzte, gehört die lukullische Rechtschreibung zu meinen Lieblingsthemen. Meine Sammlung gastro-orthografischer Fehlleistungen wächst täglich. Allein die Abteilung Würste umfasst inzwischen mehrere Seiten: die oder den helvetische/n Cervelat habe ich bereits in 17 Versionen fichiert. Ich freue mich bereits auf die früh-englischen Varianten mit französischem Akzent und türkischer Endung.



Auf der kleinen Pazifikinsel Chuuk gibt es allein für die Brotfrucht 176 Bezeichnungen. Neben den 24 verschiedenen Sorten gibt es noch 29 Bezeichnungen für Zubereitungsarten sowie 22 Worte für die Servicearten. Wird die Frucht am Morgen von einer schönen Frau gepflückt heisst sie anders, als wenn sie bei Vollmond von zwei hinkenden Männern geerntet wird. Gekocht heisst sie nicht gleich, wie wenn man sie dem Freund als Geschenk überreicht. Wird aus der Brotfrucht ein Pudding hergestellt, ändern sich auch sämtliche Bezeichnungen. Ein Pudding, dem Kanubauer bei der Montage der Ausleger vom Auftraggeber überreicht, heisst anders, als wenn man ihn der schönen Nachbarin in den glühenden Erdofen legt.
Bei den Fischen ufert es aber dann gänzlich aus. Auf der Speisekarte stehen 476 Sorten. Und dies in männlichen, weiblichen und kindlichen Abarten. Manchmal heissen sie einfach anders weil sie bei Ebbe geangelt und nicht bei Flut harpuniert wurden. Auf der Nordseite der Insel nennt man sie nicht gleich wie auf der Südseite. Und wenn zwei junge Männer einen Tintenfisch fangen heisst er nicht gleich, wie wenn ihn eine alte Frau bei Neumond erwischt hat.
 
Gott sei Dank gibt es bei uns nur einen einzigen wahrhaftigen Cervelat und der heisst das ganze Jahr über Cervelat. Ganz egal von wem er wann, wo, warum und überhaupt gefangen, gegrillt, gebraten oder als Wurstsalat von rechts oder links serviert wird. Ausser in Basel. Da heisst er Glöpfer. Oder Chlöpfer.

Eine Redensart aus Chuuk: "Tupwunó maram, tupwunó maram, úpwe kút ocháái aramas tupwunó maram." Tja. Da gibt’s eigentlich nichts mehr dazu zu sagen.
 
 

Spam


Kaum ist der Streit ums „Frühenglisch“, „Spätdeutsch“ oder „Vielleichtfranzösisch“ entbrannt, verbreitet die Presse schon die ersten Enten. Da soll doch ein Diplomat seiner Majestät den eidgenössischen „Spatz“ mit „Spam“ übersetzt haben. Diese Aussage ist jedoch sträflich falsch und sowohl Geschichtsfälschung als auch
gastronomischer Grundlagenirrtum. Und eine Beleidigung für den Spatz. Bei diesem handelt es sich übrigens nicht etwa um den auch als Sperling bekannten Singvogel, sondern um eine mundgerechte militärische Zubereitung standrechtlich erschossener Kühe. Diese Information muss aus Geheimhaltungsgründen vorerst genügen.


Über Spam gibt’s jedoch einiges zu sagen. Die amerikanische Firma Hormel Foods sass in den späten 30er-Jahren auf einem Lagerhaus voll unverkäuflicher Schweineschultern. Findige Köpfe kamen auf die Idee das Fleisch, angereichert mit einem Hauch Schinken, durch den Wolf zu drehen. Anschliessend wurde es gesalzen, gewürzt, gekocht und in Konservendosen gepackt. Der Name des
neuen Produktes, Spam, war das Resultat eines grossen Preisausschreibens und bedeutet schlicht und ergreifend „Spiced Ham“ – gewürzter Schinken. Obwohl es – und dies erstaunt wohl keinen Metzger – in einer Dose Spam weniger Schinken hat als Kalbfleisch in einer Kalbsbratwurst.

Die amerikanischen Generäle waren von dieser fettigen Kalorienbombe angetan und von deren Haltbarkeit begeistert. Es gibt Historiker welche behaupten, ohne Spam hätten die Amerikaner den Zweiten Weltkrieg gar nicht führen können und die Russische Armee wäre jämmerlich verhungert. Sie sehen also, welche weltpolitische Bedeutung dieser kleinen Dose zukommt. Da kann der Spatz, trotz
Réduit-Erfahrung und Gamellen-Tauglichkeit wohl nicht ganz mithalten.

Bis heute wurden mehr als 6 Milliarden Dosen Spam verkauft. Spam kam als Inhalt von Carepaketen rund um die Welt und gehört heute noch auf kleinen, abgelegenen Inseln im Pazifik zur Grundnahrung. Auf der amerikanischen Homepage www.spam.com
gibt’s Interessantes zur berühmtesten Konservendose der Welt zu lesen. Neben Rezepten auch Gedichte zur Dose. Damit ist wohl Spam die einzige Konserve mit poetischem Anspruch. Zugegeben: der Inhalt – sowohl der kulinarische als auch der poetische – ist eher trivial. Aber – damit hat Spam wohl genau die richtige Mischung und das Zeug zum Kult!

Oh Spam, oh Spam, Gourmet delight. 
My food by day, my dreams by night.”