Donnerstag, Oktober 22, 2015

Ein Taucherleben - Wie alles begann

„Sie möchten Delfine vor Bora Bora streicheln? Oder vielleicht mit einem Walhai durch den Golf von Mexiko schwimmen? In der Südsee eine kleine Süsslippe küssen oder im Pazifik einen Manta reiten? Kein Problem. Lernen Sie Tauchen, treten Sie einem Tauchclub bei!

Gut Luft!“ 

 Noch wusste ich nicht, weshalb die Luft unter Wasser besonders gut sein sollte. Trotzdem: Auch ich wollte Delfine streicheln und Süsslippen küssen. Ich beschloss deshalb, meinen inneren Sauhund zu überwinden, einen Tauchkurs zu absolvieren und mich ins kalte Wasser zu stürzen.
Es geschah auf der Insel Kreta. Der Theorieunterricht fand in einem umgebauten Eselstall statt. Nicht dass dies ein Problem gewesen wäre. Aber die Unterrichtssprache war griechisch mit einzelnen englischen Untertiteln. Da ich zu dieser Zeit das eine gar nicht und das andere auch nicht viel besser konnte, beschloss mein Lehrer Vassilios, seine Grossmutter zurate zu ziehen. Diese hatte nämlich im letzten Weltkrieg einem deutschen Fallschirmspringer das Leben gerettet. Als Dank dafür hatte er ihr die deutsche Sprache beigebracht.
Wie sie sich denken können, waren deren Übersetzungskünste aufgrund des fehlenden Vokabulars erfolglos. Ganz abgesehen davon, dass die gute Frau Worte wie Sauerstoffpartialdruck, Residualvolumen und Abdominaldichtungsstutzen nicht einmal in griechischer Sprache konnte. So beantwortete ich die Fragen in der mündlichen Prüfung, indem ich einzelne Verse aus Schillers Glocke deutsch rezitierte.
Ich bestand die theoretische Prüfung ohne Probleme und mit der Bestnote, was mich in der Folge berechtigte, die ersten praktischen Übungen im Hotelpool zu absolvieren. Es muss sehr lustig gewesen sein. Jedes Mal wenn ich auftauchte, klatschten die Zuschauer Beifall und verlangten Zugaben.
Auch diesen Test bestand ich bravourös und so durfte ich zum ersten Mal ins richtige Meer. Aus einem wackelnden Gummiboot liess ich mich rückwärts ins Wasser platschen, verlor prompt meine Gesichtsmaske und stellte fest, dass ich nur eine Flosse anhatte und den Bleigurt an Bord vergessen hatte. Also wieder rein ins Boot und alles noch einmal von vorne. Diesmal klappte es schon viel besser und ich tauchte vorschriftsgemäss ab.
Plötzlich jedoch war Vassilios nicht mehr zu sehen. Der Blödmann hatte mir doch eben noch erklärt, dass man nicht allein tauchen dürfe. Ich hatte jedoch keine Zeit mehr, mir darüber Gedanken zu machen, da mir gleichzeitig jemand die Luft zudrehte und die Gesichtsmaske wegriss. Etwas verschwommen sah ich ein Gesicht vor mir, dass ich aufgrund des grossen Schnauzes Vassilios zuordnete. In diesem Moment erinnerte ich mich an das morgendliche „Gut Luft!“, versetzte ihm einen Kinnhaken und entriss ihm seinen Lungenautomaten. Arm in Arm tauchten wir auf: Auch diese Prüfung bestand ich mit Bestnote.
Am Abend kam es zur Preisverleihung am Brunnen vor dem grossen Tor. Die ganze Hotelbevölkerung jubelte mir zu, die Bouzoukis zupften eine kleine Wassermusik und Vassilios tanzte wie weiland der alte Zorbas. Nach unzähligen Rakis, Ouzos und andern geistigen Wässern erhielt ich bei Sonnenaufgang das begehrte Stück Papier. Endlich war ich Taucher! Und Vassilios war sichtlich froh, dass wieder einmal ein Schüler überlebt hatte. Ich aber marschierte ins nächste Reisebüro und buchte meinen ersten Tauchurlaub.

 

Wir sitzen unter einer grossen Palme vor dem Flughafengebäude von Grand Cayman und warten auf den Anschlussflug nach Cayman Brac. Es ist heiss und feucht, die Langsamkeit hat das Leben übernommen. Der Sekundenzeiger meiner Uhr scheint sich kaum mehr zu bewegen. Fliegen fallen antriebslos zu Boden, die wenigen sichtbaren Menschen bewegen sich in Zeitlupe. Ein Getränkeautomat verspricht kalte Getränke, denkt aber nicht daran, diese von sich zu geben.
Ich denke über die Langeweile nach. Der Philosoph Blaise Pascal meinte dazu: „Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. () Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele die Langeweile aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung.“
So schlimm wird es jedoch nicht, nach wenigen Stunden hebt unser Flieger ab und bringt uns auf die Insel Cayman Brac. Hier werde ich träumen, tauchen und ab und zu mal was trinken. Ein Minibus bringt uns und andere Reisende zum Hotel. Mit dabei auch ein rothaariger, bleicher und etwas magersüchtiger Europäer. Er trägt einen schlecht sitzenden Anzug, Krawatte, Schuhe in Übergrösse und schwitzt nicht. Während der Fahrt unterrichtet er die Mitreisenden freiwillig über Geschichte und Kultur dieses Eilandes. Dabei schien es ihn nicht zu stören, dass die meisten bereits eingeschlafen waren.
„Der ist sicher Geschichtslehrer“, flüstert mir meine Frau zu.
„Nein“, entgegne ich. „Dieser Heini ist Liftboy bei Harrods und hat die Reise bei einem Preisausschreiben gewonnen. Briten tun immer so wichtig!“

 Die Briten unter den Tauchern erkennt man übrigens schnell. Nicht nur weil sie wie Briten aussehen und zum Frühstück Tee mit Milch sowie Porridge bestellen. Sondern weil sie vielfach noch Tauchausrüstungen aus der Zeit von Lord Nelson dabei haben, von der Schlacht bei Trafalgar fabulieren und ein Englisch sprechen, dass man nur schwer versteht. Selbstverständlich tauchen sie nach den Regeln der königlichen Kavallerie. Briten erkennt man nicht nur an der seltsamen Aussprache, sondern auch daran, dass sie Maggie Thatcher nachtrauern, Cameron zum Teufel wünschen und jedem der es auch nicht wissen will, von früher erzählen.

Wir verbringen wunderbare Tage und laute Nächte. Leider sind es keine Nachtigallen, die durch unsere Träume fliegen, sondern deutlich grössere Vögel. Da die Insel genau so lang ist wie die Piste, liegen auch alle Hotels genau neben der Piste. Pünktlich um drei Uhr nachts landet eine Maschine aus New York. Bis zu deren Abflug vergehen 40 Minuten. Es lohnt sich also kaum, sich dazwischen wieder ins Bett zu legen.
Den Liftboy sehen wir Gott sei Dank kaum. Aus unbekannten Gründen schliessen sich nämlich Alleinreisende immer wieder gerne uns an. Wir aber wollen nur träumen, tauchen und ab und zu mal was trinken.
Bei einem Tauchgang aber kann ich nicht mehr ausweichen und stosse mit ihm zusammen. Ich bin unterwegs zum vorgelagerten Riff, als er plötzlich wie ein Torpedo von links angeschossen kommt und mich rammt. Er macht entschuldigende Zeichen, zeigt auf Tauchcomputer und Kompass.
Der Liftboy bedeutet mir, ihm zu folgen, was ich gerne tat, da ich mich mit Bussolen immer schwer tue. Sein Tempo aber war atemberaubend, noch nie hatte ich jemanden erlebt, der sich derart wendig, sicher und präzise bewegen konnte. Dieser Geschichtslehrer war garantiert kein Liftboy! Und schon gar nicht bei Harrods.
Ob er vielleicht Mitglied der königlichen Kampftaucher war? Obwohl: Die meisten Kampftaucher sprechen deutsch, stammen aus Preussen und sind paramilitärisch organisiert: Schon vor dem Frühstück gibt’s ein gemeinsames Frühturnen, anschliessend Strammstehen und Ansage des Tagesbefehls. Abmarsch in das Frühstückscasino, strammer Max, Wurst, manchmal Käsescheibletten. Um 08.00 Uhr wird in Einerreihe eingestanden und durchgezählt. Pünktlich und nicht ohne ein martialisches „Gut Luft“ stürzen sie sich ins Wasser. Sollte diese Unterwassersturmtruppe über oder unter Wasser einem nicht preussischen Objekt begegnen, wird dieses im besten Fall ignoriert. Im zweitbesten Fall wird es unter Einsatz der Flossen – die zu diesem Zweck mit rostfreien Stahlkappen ausgestattet sind – vom Weg gedrängelt. Im schlimmsten Fall entledigt man sich des Eindringlings, indem man ihm die Schläuche durchschneidet, das Blei abreisst, die Tarierwest aufschlitzt, die Maske wegnimmt und die Flossen auszieht. Nein, dieser Liftboy war kein Kampftaucher!

Heute nun reist der Lift fahrende Kampftaucher und Geschichtslehrer ab. Artig verabschiedet er sich mit einem angedeuteten Knicks. Er trägt einen schlecht sitzenden Anzug, Krawatte sowie Schuhe in Übergröße. Er schwitzt nicht, als er uns seine Visitenkarte überreicht.

John W. M., Chefpilot, British Airways.

 


 

 

 

 

Freitag, Oktober 09, 2015

Ménage a trois

Diese Überschrift ist natürlich irreführend, möglicherweise sogar journalistisch unkorrekt. Es geht hier um das Menage, um das „Tischgestell für Salz, Pfeffer und sonstige am Tisch benötigten Gewürze“. (Wikipedia)
Auf Grossmutters Tisch war früher, ausser dem Sonntagsbraten, gar nichts zu finden. Bei Tante Martha erschien in den 60er-Jahren ein versilbertes Menage mit winzigen Salz- und Pfefferstreuern die meist verstopft waren. Onkel Otto manifestierte daraufhin seine Auslandsreisen in Form von Ketchup, Worcestersauce und Tabasco.

Was aber gehört heute auf den gepflegten Tisch? Angesichts der aus Gesundheitsgründen immer fader werdenden Gerichte gehört Salz auf jeden Tisch. Gutes Schweizer Salz aus einer Salzmühle. Von „Fleur de Sel“ und rosa Salz aus dem Hindukusch lassen sich höchstens noch Neureiche beeindrucken.
Zur Pflicht gehört auch eine Pfeffermühle, gefüllt mit schwarzem Pfeffer. Nur Dilettanten füllen gläserne Mühlen mit kunterbunten Mischungen farbiger Körner. Besonders der rosa Pfeffer – der botanisch gar keiner ist – beweist eindrücklich die Unwissenheit eines jeden Gastgebers. Rosa Pfeffer ist weder scharf noch besonders würzig und eignet sich nur zur Dekoration farbloser Gerichte.
Bereits zur Kür gehört ein gutes Olivenöl. Kaufen sie ihr Olivenöl bei einem Händler ihres Vertrauens. Er sollte sich im Dschungel der Qualitäts- und Herkunftsbezeichnungen auskennen. Und – obwohl der Preis an sich noch keine Qualität garantiert – gönnen sie sich das Teurere. Sollten sie übrigens für einen Liter Motorenöl mehr bezahlen als für einen Liter Olivenöl, dann vergessen sie diesen Text umgehend.

Nicht auf den Tisch gehört Aceto Balsamico. Kaum noch ein Gericht, das nicht auch noch mit Balsamico „veredelt“ wird. Balsamierte Rindsfilets sind an der Tagesordnung, beim Salat ist die undefinierbare Brühe zum reinsten Ärgernis verkommen. Der Balsamico oder „Aceto balsamico di Modena“ war ursprünglich ein absolut aussergewöhnlicher Würzessig. Es gibt ihn natürlich immer noch: Er ist jedoch nur echt mit der Bezeichnung „Tradizionale“ und dem Zusatz D.O.P (Denominazione di Origine Protetta). Ein Tradizionale ist mindestens 12 Jahre alt. Ein Flacon (1 dl) kostet ab Fr. 80.--, ein Extravecchio (mindestens 25 Jahre gelagert) auch mal Fr. 250.--. Was landauf, landab unter dem Namen Balsamico unsere Gaumen beleidigt, ist ein Industrieprodukt billigster Qualität und zweifelhafter Herkunft und nichts anderes als eingekochter, oxydierter und im Schnelldurchgang fermentierter Traubenmost.

Natürlich gibt es auch Gastgeber, die gar nichts aufstellen. Für solche Fälle habe ich immer drei Döschen dabei. Zwei davon sind gefüllt mit Salz und Pfeffer. Mit deren Inhalt – die Döschen selbst stammen aus dem Krämerladen meines Enkels – wird jedes noch so fade Gerichte geniessbar. Sie wollen wissen, was sich im dritten Döschen befindet?
Natürlich Aromat!

Die perfekte Ménage à trois!