Donnerstag, April 24, 2014

Schlaflos im Tirol

Steiner hatte sich seine Ferienwoche im Südtirol anders vorgestellt. Ganz anders.
Er hatte für die ganze Familie Zimmer in schönsten Wellnesshotel des ganzen Tales gebucht. Das Angebot an scheinbar gesunden Aktivitäten war schon beinahe obszön gross. Ein ganzer Irrgarten voller Schlammbäder, Salzgrotten, Saunen mit und ohne Steinbeschwörungen, duftende Chilloutbereiche, türkische Dampfbäder und fernöstliche Ritual, bedampft gepeelt, massiert, Ganzkörperpackungen mit Teezeremonien, Erlebnisduschen im Krätuerstadel, Feuerberg mit Schwitzstube, Jägersauna mit Reflexzonenpfad, Sprudelliegen mit Nackenschwall, Vollmondwellness.
Nur schlafen konnte er nicht mehr. Stundenlang drehte er sich im wohligen Himmelbett, weckte sein Frau, drehte sich wieder um, stand auf und unternahm einen längeren Spaziergang. Nada. Nichts. Kein Schlaf wollte sich einstellen.
Tagsüber unternahm er noch mehr, jagte seine müden Knochen durch all erdenklichen und angebotenen Folterapplikationen, bestieg einen Viertausender. Doch auch die zweite Nacht gabs keinen Schlaf. Am dritten Tag stellte er die Ernährung um, ernährte sich bereits am Mittag nur noch biovegan und gegen Abend nur noch frugan. Selbstredend verzichtete er auf Alkohol und hörte mit dem Rauchen auf.
Nada. Nichts.
In der Nacht rannte er einen Marathon, dachte kurz an die Magie des Synchronschwimmens und legte sich um 6 Uhr morgens erschöpft ins Bett. Um sich nach 30 Minuten wieder zu erheben.
Ob er auch noch auf seinen geliebten Morgenkaffee verzichten musste? Eben brachte ihm Sean, sein 11-jähriger Sohn die dritte Tasse herrlich duftenden Café Crème.
Papi, warum muss ich an der Kaffeemaschine immer 11 mal die Taste „R“ drücken bis die Tasse voll ist?“
Hugentobler kapierte sofort, dass die Taste „R“ für Ristretto stand. 3 Tassen mal 11 Ristretto das waren dann 33 Ristretti. Jeden Morgen.



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Donnerstag, April 17, 2014

Die Osterdiät

Nicht nur Osterhasen stehen vor der Türe. Nein, auch unzählige Nachahmer aus Schokolade, Zuckerguss und Nougat bitten um Einlass. Trillionen von Kalorien warten nur darauf, meinen Speckgürtel zu infiltrieren. Da ich nicht im Traum daran denke, mich einzuschränken, habe ich nach Möglichkeiten gesucht, die zu erwartenden Kollateralschäden einzugrenzen. Während ich lustlos vor mich hin suchte, erinnerte ich mich an das Myrtios-Prinzip.

Kreta, letzten Herbst. Unwegsame Strassen mit Abgründen so tief wie der Marianengraben quälten mich und mein Auto. Tretminen gleich, vereitelten tiefe Schlünde ein menschenwürdiges Fortkommen. Krater, die mich an die Fangtrichter mordlustiger Ameisenlöwen erinnerten, versprachen Höllenqualen.
Es waren jedoch weniger die Klüfte die mich irritierten, sondern die Tausenden von ganz normalen Löchern. Ich fragte deshalb meinen Freund Aristoteles (nein, nicht den Philosophen, sondern den Wirt der Taverne von Myrtios) nach Rat. „Kein Problem. Du musst nur rasend schnell über die Löcher fahren, dann haben die Räder keine Zeit hineinzufallen.“
Obwohl in Sachen Physik eher bildungsfern aufgewachsen, wusste ich, dass Griechenland brillante Physiker hervorgebracht hatte und vertraute ihm. Und er hatte recht! Anstelle von zwanzig langen und unruhigen Minuten, brauchte ich nur fünf Minuten für die schnelle und sanfte Fahrt über die Buckelpiste zur Taverne! Ich hatte das Myrtios-Prinzip entdeckt!
Dieses Prinzip habe ich nun weiter verfeinert: Ich werde sämtliche österlichen Kalorienbomben auf einen Streich und in nur wenigen Minuten verschlingen. Somit wird mein Körper keine Zeit haben, sich mit den Kalorien zu beschäftigen! Ein Selbstversuch soll es beweisen: Ich habe ein kiloschweres Nougat-Ei, zwei Schoggihasen sowie eine Ziege gekauft.
Das Resultat meiner Osterdiät finden Sie nächsten Donnerstag an dieser Stelle.


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Donnerstag, April 10, 2014

Rache

Schon immer wollte Kari K., der berühmte Kunstkocher, die Vinitaly in Verona besuchen. Er missgönnt mir nämlich die jährlichen Besuche dieser Weinmesse schon lange von Herzen. Nachdem er kürzlich wieder seine Gäste mit lampigen Spargeln, schlechter Sauce und lauwarmem Wein beleidigt hatte, kombinierte ich das Unnütze mit dem Angenehmen.
Letzten Sonntag war es soweit: Noch glaubte er an ein erholsames Wochenende als wir nach Italien fuhren. Auch als wir die Messehallen betraten, ahnte er noch nichts. Er ahnte nicht, dass über viertausend Weinproduzenten schätzungsweise 40'000 Weine zur Degustation bereit halten. Doch bereits nach dem vierzigsten Glas beklagte sich Kari über irritierte Zahnhälse, angesäuerten Zahnschmelz und bröckelnde Kronen.
Die nächsten Weine überlebte er zwar, konnte sich jedoch ab Km 8.4 nur noch kriechend fortbewegen. Seine Haare standen wild zu Berg, die Nase glänzte unfröhlich und die abgeschmirgelte Zunge hing leblos zwischen den blauen Lippen. Ich liess mich von diesem Aussehen jedoch nicht beeindrucken, dachte an seine lampigen Spargeln und verdonnerte ihn zu weiteren 32 Grappas. Als sich Kari anschliessend über Magenbrennen, Leberkoliken und Wandernieren beklagte, nannte ich ihn eine Memme, packte ihn auf einen Gepäckwagen und schob ihn weiter. Beim Brunello di Montalcino DOCG 2008 Riserva von Andrea Cortonesi war dann Schluss. Kari fiel wie ein Mehlsack zu Boden und verabschiedete sich lautlos und ohne mit der Wimper zu zucken in die Bewusstlosigkeit. Ich packte ihn daraufhin in den Kofferraum, passierte die Grenze ohne Probleme und deponierte ihn zwecks Ausnüchterung in einem abgelegenen Waldstück im Oberbaselbiet.



Seine Spargeln waren heute übrigens wirklich etwas besser. Nur der Weisswein war immer noch lauwarm. Vielleicht sollte ich ihn heute Abend ins Stadtcasino zwingen. Am dortigen Wymärt kann er locker nochmals 1'000 Weine degustieren.





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Donnerstag, April 03, 2014

Erntedank

Basel ist wohl die einzige Stadt in der Schweiz in welcher der Frühling auch gleichzeitig Herbst ist. Es wird nämlich nicht nur angesät sondern gleichzeitig auch heftig geerntet. Das Erntedankfest heisst Baselworld.
Das Glitzern der edlen Steine, das Funkeln teurer Uhren und das gehäufte Auftreten einer internationalen Kundschaft mit scheinbar unerschöpflichen Spesenbudgets wirkte auch dieses Jahr höchst ansteckend und führt zu seltsamen Auswüchsen. Liebevolle Hoteliers vermieteten ihre Lingerie als Suite mitleidsvoll an indische Goldhändler. Sogar auf ihre eigenen Wohnungen verzichteten sie grosszügig und überliessen sie Goldgräbern aus Südafrika. Die leer stehenden Personalzimmer – für die eigenen Mitarbeiter doch etwas zu dürftig – wurden meistbietend armen, wohnsitzlosen Diamantenhändlern aus New York vermietet.

Aber auch Restaurants liessen es spriessen. Damit die armen Uhrmacher ihre Budgets voll ausschöpfen konnten, wurden die Preise liebevoll erhöht. Mein Lieblingswirt hat sein diesjähriges Erntedankfest um eine neue Variante erweitert. Da seine Preise bereits vor der Messe bedenklich hoch waren, hat er schlicht und einfach die Portionen verkleinert. Die „Insalata caprese“ (Fr. 19.50) schrumpfte er mittels gastronomischer Telekinese von ursprünglich je vier auf gerade noch je zwei (2!) hauchdünne Scheiben Mozzarella und Tomaten (immer noch Fr. 19.50). Da mein Freund Max seine Kontaktlinsen zu Hause vergessen hatte, konnte er das Salätchen nicht erkennen und stocherte mit seiner, zum Blindenstock umfunktionierten Gabel, lustlos vor sich hin. Ich erbarmte mich seiner und überliess ihm meine Lesebrille. Wortlos ergriff er die beiden Käsescheiben, klebte sie auf die Brille und griff zur Zeitung. Noch heute morgen behauptete er, er hätte die dicke BAZ durch den dünnen Käse lesen können, wenn ihn nicht der Oberkellner aufgefordert hätte, das Lokal unverzüglich zu verlassen.

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