Samstag, März 31, 2018

Frühstück inbegriffen

Aus dem Buch Hühnerbrust und Federkiel von Hanspeter Gsell, erschienen bei BoD. Auch als E-Book bei bod.ch / bod.de erhältlich.


Es gibt das Kunststück. Und es gibt das Frühstück. Manchmal haben sie etwas gemeinsam. Meistens jedoch nicht wirklich. Das durchschnittlich inbegriffene Hotelfrühstück ist eher der Beweis für das Kunststück, aus nichts noch weniger zu machen. Was mir hier zur angeblich schönsten Stunde des Tages vorgesetzt wird, ist meist ein klägliches Stück gastronomischer Biederkeit. Das einzige „Gold im Mund zur Morgenstund“ ist meist nur in Form von Zahngold anwesend.

Seit Jahr und Tag erhalte ich die gleichen Einheitsaufbackgipfel, das Hausbrot von gestern und ein Knäckebrot, welches das Knacken schon längst verlernt hat. Dazu die unsäglichen Portionen-Konfitüren – warum nur trifft es mich immer mit der Zwetschge? Der Honig eignet sich höchstens als Klebemittel – mit dieser Melasse lockt man nicht eine einzige Biene aus der Wabe. Die Käseauswahl besteht aus Scheibletten und Gerberkäsli neben einem unreifen Tilsiter. Sorgfältig aufgetürmte Berge von Cornflakes erheben sich, die Früchte sind zum fürchten und der Orangensaft ist ein rückverdünnter Schatten seiner selbst. Der Schinken kennt das Schwein nur vom Hörenriechen und auf das 135-Minuten-Ei würde sich nicht einmal mehr ein altes Suppenhuhn setzen. Das Kaffee-Kännchen leckt auch noch 200 Jahre nach dem Tag, als die Muselmanen vor den Toren Wiens standen. Aber vielleicht sind Kaffeekannen beseelt und ihre Leiber verweigern den Befehl. Deshalb wird wohl auch dieser neuartige Kaffee – der aus dem Konzentrat und mit der 8-Stunden-Schaumhaltegarantie – nur in der Tasse serviert. Die Kannen würden ihre Schnäbel krümmen vor Scham!

Eine Art magische Frühstücks-Zahl ist die Zehn. Zehn wie 10.00 Uhr. Um 10.00 Uhr wird die Kaffeeküche kalt und morgenmufflige Oberkellner mit dem Habitus eines Strafversetzten vollziehen den Räumungsbefehl. Ich will aber nicht vor 10.00 Uhr frühstücken! Ich träume lieber etwas länger vom paradiesischen Frühstücks-Buffet im Bayrischen Hof über den Dächern von München, vom verrückten Breakfast bei Brennan’s an der Rue Royale in New Orleans, dem Zmorge bei Haris im Pochtenfall und von Basil’s Brunch auf der Dachterrasse des Cobblestone Inn auf St. Vincent.

Aber eben: Eigentlich will ich überhaupt nicht mehr im Hotel frühstücken. Und schon gar nicht vor 10.00 Uhr. Und sicher nicht inbegriffen. Ich werde es zukünftig wie unsere südlichen Nachbarn halten: so rasch wie möglich
in die nächste Kaffeebar und zwei Ristretti schlürfen. Dazu ein Panino essen und die grosse, rosarote Zeitung lesen. Und mit den Ragazzi über Gott und die Welt plaudern. Und mich ausgesprochen wohl fühlen. Was für ein herrlicher Morgen!
Mehr Geschichten zum Schmunzeln im neuen Buch von Hanspeter Gsell
Immer wieder Fernweh - Logbuch eines Inselsammlers Verlag BoD

Donnerstag, März 29, 2018

Fandango

Aus dem Buch Hühnerbrust und Federkiel von Hanspeter Gsell.
Erschienen bei BoD - erhältlich überall dort,wo's gute Bücher gibt. Vielleicht auch in der Brockenstube Ihres Vertrauens.

„Das Atmen geht schwer. So muss sich ein Feuerschlucker vorkommen, wenn er die Flamme raus bläst. Wow – ein richtiges Kraftbündel mit dem man die Fundamente vom World Trade Center bauen könnte. Sie wirkt so elegant, dass sogar der Roadster Viper eine lahme Ente wäre. Wer damit die Frau seiner Träume nicht rumkriegt, muss wirklich aussehen wie Frankenstein und das Biest zusammen. Man hat das Gefühl, es fliegen einem die Zähne raus, die Haare wachsen nach innen.“




Was Sie hier lesen, ist weder der schüttere Aufsatz eines pubertierenden Jünglings, noch der Fahrbericht eines Autojournalisten. Der Text stammt aus der Angebotskarte eines Weinhändlers. Es handelt sich um die nicht wirklich schlicht gehaltene Beschreibung eines seiner Weine.

Und jetzt vergleichen Sie diesen Beschrieb doch einmal mit der Vertextung einer Menükarte. Und was steht da? Etwa: „Zartes Kalbsfilet mit frischer Morchelsauce und feinen Nüdeli?“ Vielleicht noch etwas ausgeschmückt mit dem üblichen „hausgemacht“, aus CH-Fleisch oder auf einem Pilzbeet und dem unvermeidlichen Aceto Balsamico? Vergessen Sie doch endlich diese altmodische und vorväterische Auflistung nach Paulianischer Tradition. Fantasie ist gefragt!

Wie wär’s damit? „Unser heutiges Filet stammt vom Kalb Ignaz, das an einem lauen Frühlingsmorgen vom Muni Fandango im Natursprung mit der Kuh Flora gezeugt wurde. Der stramme Ignaz, stark wie ein Rasenmäher mit 16 Zylindern und Liebling aller Eichhörnli, entwickelte sich zu einem wahren di Caprio unter stieren Kälbern und bei seinem Anblick überkam auch die ältesten Kühe im Stall das Verlangen aller Schwiegermütter. Letzte Woche nun ging Ignaz den Weg aller Kälber, wurde gut abgehangen, zerlegt und ausgebeint: sein bestes Stück liegt auf ihrem Teller.“
Oder vielleicht so: „Als unsere Köchin heute Morgen die getrockneten Hochland-Morcheln von ihrer tödlichen Plastikhülle befreite, lief es ihr kalt den Rücken hinunter und warm wieder hinauf. Und als sie etwas später die
verschrumpelten Kümmerlinge ins kalte Feucht des Bergbachs legte, fühlte sie sich wie eine wahre Stauffacherin. Demütig und voller Hingabe beobachtete sie die Wiedergeburt der Gummimorcheln“. Und so weiter und so koch.

Lassen wir doch diese kleine Geschichte mit einer grossen Frage enden: Wer ist denn hier eigentlich das grösste Kalb?

Noch mehr Geschichten von Hanspeter Gsell finden Sie im neusten Buch.
Immer wieder Fernweh - Logbuch eines Inselsammlers / Verlag BoD


Mittwoch, März 28, 2018

Billig


 
Nennen wir ihn Kari Koch. Ersten gibt es ihn nicht. Zweitens aber gibt es ihn sehr wohl. Er ist eine Art virtueller Feind geistiger Festplatten, ein bösartiger und virulenter Virus der Gattung „Rentabilitosa gastronomis“. Übertragen wird er durch Tröpfcheninfektion an Vereins- und Verbandsanlässen, Urheber ist eine Gruppe betriebswirtschaftlicher Endzeit-Strategen.

Kari Koch ist stolz darauf, dass seine getrüffelte Gänseleberpastete noch nie – auch nicht von weitem – eine Gans gesehen hat. Zu den Trüffeln schweigen wir lieber. Sein Coq ist ein dänisches Käfighuhn und der Dézaley dazu stammt von den zusammengeschütteten Resten des letzten Banketts. Der Parmaschinken kommt aus dem Tessin, das Bündnerfleisch ist ein billiges Imitat. Der Champagner im Sorbet ist keiner und das Cüpli ist ein Frizzantino. Die Bodenseefelchen stammen aus holländischen Aquakulturen, die Mozzarella di Bufala von ordinären Kühen. Karis hausgeräucherter Speck kommt vom Cash & Carry und sein Schinken ist ein aus irgendwelchen Teilen zusammengepresster jämmerlicher Fleischhaufen. Seine Pouletschnitzel sind, wie auch die unvermeidlichen Fischstäbli, zerkleinerte und wieder zusammengesetzte Bestandteile animalischer Herkunft. Karis Kaviar ist eingefärbter Rogen unbekannter Abstammung, der Weisse Trüffel ist ein aromatisiertes Ersatzprodukt aus der Türkei. Wenn man bei Kari Mineralwasser bestellt, bekommt man selbstverständlich karbonisiertes Leitungswasser und den zwanzigjährigen Whisky macht er aus vier Fünfjährigen. Statt Martini gibt’s ein Generikum.

Nun – Kari Koch gibt’s nicht wirklich. Oder – Kari Koch ist immer der andere. Aber – Kari Koch sieht man nicht. Aber auch – Kari Koch kann in allen sein. Im Küchenchef, wenn er stolz erzählt, dass er noch günstigere Poulets gefunden hat. Im Einkäufer, wenn er eine noch günstigere Quelle für „Weissnichtwas“ gefunden hat. Im Sommelier, wenn er einen wirklich günstigen Schaumwein gefunden hat. Und im Chef de Bar, wenn er den absolut günstigsten Cognac eingekauft hat.

Billig bleibt billig, auch wenn man günstig dazu sagt. Vergessen Sie deshalb diese Worte sofort. Überlassen Sie diese Unwörter den Discountern, Telefongesellschaften und dem Nachbarn. Denn die Steigerungsreihe von billig lautet: billig, billiger, am billigsten, nichts. Denn nur „nichts“ ist billiger und erst noch gratis. Kari Koch hilft gerne dabei. Günstig und billig.



Wenn Markt im Dorf war, zog es mich als kleinen Jungen unwiderstehlich zum „Billigen Jakob“. Bei ihm gab es alles zu kaufen, was man auf dem Land zum täglichen Leben so brauchte: Hagenbuchige Hosen, Nagelschuhe und Melkschemel. Allerhand Lederzeug, grosskarierte Hemden und handgestrickte Socken. War ein Verkauf abgeschlossen, liess er gekonnt ein paar Hosenträger in die Streben des grossen Sonnenschirms schletzen, warf das Geld in eine grosse Holzkiste und knallte den Deckel so laut zu, dass man es noch bei Bartholdi hinter der Kirche hörte. Der Billige Jakob war alles, aber sicher nie „billig“.
 

Dienstag, März 27, 2018

Geisterfahrt

Die Ansprüche der globetrottenden Jugend an Nervenkitzel und Adrenalinstösse steigen jährlich. Höher – schneller – kälter heisst die Devise, oder aber auch nässer, tiefer, dunkler. Touristikmanager sind gefordert und meistens überfordert: Denn laufend müssen immer neue Risikosportarten erfunden und vermarktet werden. Mit dem Militärvelo einen Gletscher hinunter brausen? Pipifax von gestern! Übernachtungen in Gletscherspalten werden höchstens noch von Seniorengruppen gebucht und Riverrafting ist zum lahmen Familienausflug verkommen. Ich habe mich deshalb bei den wichtigsten Anbietern von Adventure-Reisen umgehört.

In der Innerschweiz organisiert die Göschener Telltour Tauchgänge durch die Druckstollen des heimischen Wasserkraftwerks mit anschliessendem Biwak bei km 3.4 im Gotthard-Basistunnel.
 
Im hinteren Rheintal offeriert Ogitour eine spannende Edelweiss-Suche im Zielhang eines übenden Panzerregiments. Überlebende dürfen am Kompanieabend den Fahnenmarsch steppen.



Fast immer ausverkauft ist auch das teuerste Angebot von Jump-Tours: Der Flug im Radkasten einer alten DC-8 von Genf nach Zürich mit Fallschirmabsprung in den Kühlturm des AKW Gösgen. Die morgendlichen Geisterfahrten mit den Rollerskates durch den Bareggtunnel entwickeln sich zum Top-Event. Leider sind bereits auch die ersten unseriösen Angebote aufgetaucht. Das „Giftpfeil-schiessen mit Bruno Manser im botanischen Garten von Hugelshofen“ (!) gehört wohl ins Reich der Fantasie.
Gewarnt sei ausdrücklich auch vor der Gipfelbesteigung im Café Morgenrot mit Sherpa Tensing. Erstens hat’s dort nur ungeeignete Butter-Gipfel und zweitens ist Sherpa Tensing eine Sonnencrème.
 

Der Schweizer Menschenrechtsaktivist und Regenwaldschützer Bruno Manser ist seit seiner letzten Reise nach Malaysia im Mai 2000 spurlos verschwunden. Am 10. März 2005 wurde er vom Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt für verschollen erklärt. Ich habe lange überlegt, ob ich die Passage über Bruno Manser weglassen soll. Ich habe es – im Andenken an Bruno Manser – nicht gemacht.

Auch diese Kolumne entstammt dem Buch Hühnerbrust du Federkiel von Hanspeter Gsell, erschienen bei BoD. Erhältlich im guten Buchshop, im Internet oder in der Brockenstube.
Noch mehr unglaubliche Geschichten von Hanspeter Gsell finden Sie im neusten Machwerk:



 

Montag, März 26, 2018

Presskopf





Ein guter Freund bat mich einst und nicht erst im Mai, mir Gedanken über das Verhältnis zwischen Küche und Presse zu machen. Sicher ist grundsätzlich jedes Verhältnis an sich problematisch. Und dies nicht erst, seit Adam der Eva an der Rippe rummachte. Dieses bis heute ungelöste Rätsel vereinfacht natürlich die Ausgangslage für meine Reihenuntersuchung überhaupt nicht. Eine Annäherung über Wortspielereien führt zwar zum Presskopf. Da ein solcher jedoch heute nicht mehr aufgetischt wird, und sich kaum ein Journalist gerne so nennen lässt, dürfte dieses Thema ebenfalls abgeschlossen sein.

Manchmal schreiben Köche Kochbücher die niemand braucht. Und manchmal schreiben Journalisten über Köche. Im Gegensatz zu Rezepten sind jedoch Köche der natürlichen Fluktuation unterworfen. Und so kommt es, dass die Presse über Köche schreibt, die schon längst die Küche gewechselt haben. Über Hoteliers und Wirte, die schon längst nicht mehr da sind, wo sie einmal waren.

So publizierte die grösste Weinzeitschrift der Schweiz eine Reportage über die angeblich erfolgreichste Weinbar der Nordwestschweiz. Pech war, dass dieser Betrieb beim Erscheinen der Zeitschrift bereits seit vier Wochen geschlossen war. Was aber ein anderes Zürcher Hochglanzmagazin nicht davon abhielt, zwei Monate später diesen angeblichen Betrieb als „Konzept, das man unbedingt gesehen haben muss“ aufzuzählen. Und auch wenn Köche manchmal erpresst werden, ergibt sich daraus faktisch noch kein Zusammenhang. Auch nicht, wenn die Presse bekocht wird. Das wäre dann schon ganz schön abgekocht.


Aus dem Buch Hühnerbrust und Federkiel von Hanspeter Gsell, erschienen im Verlag BoD. Erhältlich überall wo's gute Bücher gibt.

Freitag, März 23, 2018

Das Spiegelei

Nachdem es der Wissenschaft gelungen war, den Geschmack von Spiegeleiern zu isolieren, musste nur noch ein Verwendungszweck gefunden werden. Dem berühmten spanischen Molekularhühnerbiologen Don Sebastian della Hueva gelang letzten Sonntag das Meisterstück: Pommes Chips mit Spiegeleier-Geschmack. Endlich keine fettige Küche mehr. Sack aufreissen und Spiegeleier geniessen. "Knackt so schön zwischen den Zähnen".
PATATAS FRITAS CON SABOR A HUEVO FRITO
Gefunden bei SAURA in Cabo roig. Noch habe ich die Packung nicht geöffnet. Vielleicht an Ostern ...

Donnerstag, März 22, 2018

Tod in der Südsee

 

Schon vor vielen Jahren bekam ich den Auftrag, eine Serie über berühmte Köche zu schreiben. Nach schweiss-treibenden Recherchen kam ich zum Schluss, den Auftrag nicht nur nicht auszuführen, sondern zurückzugeben: Es wurde bereits alles geschrieben. Eher zufällig bin ich jedoch auf folgende kleine Geschichte gestossen. Ich habe mich deshalb entschieden, in lockerer Reihenfolge über unberühmte Köche zu schreiben.

Lassen Sie sich erzählen von alten Zeiten. Wir schreiben September 1944 und es begab sich auf der kleinen Insel Mogmog im Ulithi-Atoll, irgendwo in den unendlichen Weiten des Westpazifiks. Die Richtung Japan vorrückenden amerikanischen Truppen, hatten über der von feindlichen Soldaten besetzten Inselgruppe bereits Flugblätter abgeworfen, um die Einheimischen vor der bevorstehenden Invasion zu warnen. Trotzdem traf sich der amerikanische Küchengehilfe Bob K. heimlich, und in der Hitze der Nacht, mit Prinzessin Kalara, der Tochter von König Ueg, zu einem tropischen Techtelmechtel. Sie waren die ersten und letzten Toten des Kampfes um die Insel Mogmog. Die Prinzessin erhielt ein Staatsbegräbnis, der Koch wurde auch nicht berühmt.

Einige Wochen später traf sich der Vorgesetzte von Bob, Küchenchef Stewart ‚Stu’ Lucas, mit König Ueg zum Kartenspiel. Nach mehreren Flaschen Whisky gewann ‚Stu’ beim Pokern ein Grundstück auf der benachbarten Insel Mangajang. Dort gründete er am nächsten Tag die Republik Lucastan, ihre Flagge zeigt das siegreiche Pokerblatt. Leider wurde Lucastan völkerrechtlich nie anerkannt und so wurde auch dieser Koch nie berühmt. Aber die Geschichte ist zu schön um nicht geschrieben zu werden.

Lucastan liegt im Pazifik, 180 km nordöstlich von Yap "in the middle of bloody-damn-all.“ Es bedeckt einen Drittel der Insel Mangajang im Ulithi Atoll und besitzt eine Landfläche von etwas mehr als 1 km2. Die Koordinaten: 9º 47' N, 140º 7' E.

Aus dem Buch Hühnerbrust und Federkiel von Hanspeter Gsell, erschienen im Verlag BoD.




Freitag, März 16, 2018

Attribute

Die Einladung klang ausgesprochen verlockend. „Gekonnte Gastlichkeit und gehobene Küche“ waren angesagt, ein wahrer Geheimtipp sollte es sein: Spontan, kreativ, gemütlich, aufmerksam, raffiniert, aufregend, geniesserisch und angepasst will man sein. „Herzlich verwöhnen“ werde man die lieben Gäste und „jederzeit auf deren speziellen Wünsche eingehen“.
Unsere, wie immer fröhliche und zur Weinseligkeit neigende Gruppe von Besseressern und Leichtgläubigen, konnte diesen Attributen nicht widerstehen und beschloss, „den weit über die Region hinaus bekannten Starkoch“ zu besuchen.
Eine eidgenössisch diplomierte Servicefachfrau in der Gestalt von Fräulein Rottenmeier, gab uns gleich bei der Begrüssung den gekonnt gastlichen Tagesbefehl bekannt. „Da der Küchenchef heute alleine in der Küche steht, würden wir es schätzen, wenn alle das Gleiche bestellen würden.“ Sie liess dabei allerdings offen, ob es sich beim Gleichen um den angepriesenen Geheimtipp aus der gehobenen Küche handeln sollte. Vielleicht aber war diese gastronomische Ouvertüre nichts anderes als eine liebreizende Vorbotin der gekonnten Gastlichkeit?
Gemütlich diskutierten wir deshalb das raffinierte Angebot und genossen die kreative Diskussion. Wir beschlossen spontan auf die Wünsche des aufregenden Fräuleins einzugehen und verwöhnten sie aufmerksam mit unserer angepassten Einheitsbestellung.

Jedes Adjektiv oder Partizip das als Attribut verwendet wird, hat eine starke und eine schwache Beugung. In der Werbung hingegen findet man vorwiegend die starke Beugung der Wahrheit.

Der „weit über die Region hinaus bekannte Starkoch“ steht nach wie vor hinter seinem vergoldeten Herd und schwadroniert spontan, kreativ, gemütlich, aufmerksam, raffiniert, aufregend, geniesserisch und angepasst. Nur hat’s noch niemand gemerkt.
 

 

 

 

Dienstag, März 13, 2018

Just in Time

Die Weinkarte war in feinstes Kalbsleder gebunden und ein güldener Bacchus versprach mir höchstes Trinkvergnügen. Hunderte von „sorgfältig ausgesuchten Tropfen“ warteten nur darauf, meine dürstende Kehle zu ent-zücken. Noch ahnte ich nichts vom Grauen der einbrechenden Nacht, entschied mich für einen leichten Roten und lief damit direkt in die gestellte Falle. „Leider ausverkauft!“
Als erfahrener Gast hatte ich natürlich bereits eine Alternative vorgesehen und so bestellte ich – immer noch lächelnd – den schweren Roten. Ich hätte es besser nicht getan! Inzwischen etwas vorsichtiger geworden, verlegte ich mich auf das Zufallsprinzip.
Mit geschlossenen Augen ertippte ich mir einen mittelschweren Roten. Der im Trunke ergraute Sommelier zog seine linke Augenbraue in die Höhe und erstarrte zur Sprechblase. Bevor auch nur eine einzige weitere Worthülse seine geschürzten Lippen verlassen konnte, ergab ich mich feierlich, warf sinnbildlich ein imaginäres Handtuch und überliess die weitere Auswahl dem befrackten Herrscher über tausend Weine.

Als ich mich umdrehte sah ich, wie sich im Fenster ein dunkler Schatten spiegelte. Gebückt, in Eile und mit Schlapphut, schlich sich eine sonderbare Gestalt durch den unordentlichen Vorgarten zum benachbarten Gasthof. Böses ahnend versteckte ich mich konspirativ unter den hängenden Zweigen einer Trauerweide und wartete ab. Da! Da war er wieder, der schwarze Schatten! Mit zwei Flaschen in der linken Hand turnte er über die Feuerleiter zurück in die Küche. Die Frackspitzen flatterten dabei lustig im Wind.



Noch immer herrscht der „Herr über tausend Weine“ über die sorgfältig ausgesuchten Tropfen. Von einem offensichtlich blinden Gastrotester hat er in der Zwischenzeit sogar noch ein paar zusätzliche Punkte erhalten. Womit nichts bewiesen sei.

 

Mittwoch, März 07, 2018

Drei Martini

Mai 2003: Nachdem autofreie Sonntage einmal mehr – zumindest bis zur nächsten Volksinitiative – vom Tisch sind, kann ich mich wieder den schönen Dingen des Lebens zuwenden. So entschloss ich mich gestern spontan zum Besuch des neuen Trendlokals.
Ich drängte mich durch Hunderte von modisch juvenilen Menschen. Die Hosenböden an den Knien und die nach vorne gekämmten Haare in den Augen, nippten androgyne Jungs um die Gunst der Stunde. Die weiblichen Bauchnabel waren gepierct und textilfrei; die getigerten Tops erinnerten mich fatal an die Bar des Raffles in Singapur. Dort lag der Tiger früher allerdings vor der Bar und die Barmänner konnten zwar schiessen, hatten aber keine Ahnung von Shots und Alcopops. Dafür machten sie den besten Dry Martini der Welt. Dry Martini? Warum auch nicht!

Als mir der Barmann drei Martinis hinstellte, kamen mir erste Zweifel. Meine Erklärungsversuche erstickten kläglich im Lärm und ich verschenkte die überzähligen Drinks einem wildfremden Bauchnabel.
Ich startete einen weiteren Versuch. Der fröhliche Mann hinter der Bar empfahl mir einen weissen Cabernet aus Kolumbien und servierte mir einen Sauvignon aus dem amerikanischen Columbia Valley. Der Hosenboden links bestellte in der Zwischenzeit brüllenderweise einen „On-the-Rocks mit Eis“. Auf die Frage, was er damit meine, antwortete er schlicht „On-the-Rocks mit Eis“. Leider werden wir nie wissen, was der eine wollte und der andere nicht servierte. Vielleicht ist es auch besser so.

Einmal mehr wurde im Mai 2003 über autofreie Sonntage abgestimmt. Die Alcopops befinden sich seit den massiven Steuererhöhungen auf dem Rückzug und der ‚Dry Martini’ ist ausgestorben. Dafür sind Piercings und Hosenböden noch abenteuerlicher geworden. Ich habe mir trotzdem noch kein Arschgeweih zugelegt.  
 
Texte aus dem Buch Hühnerbrust und Federkiel
Hanspeter Gsell, Verlag BoD
Die Bilder sind alle urheberrechtlich geschützt. Allerdings nicht von mir.
 

Sonntag, März 04, 2018

Rücktritt

Eine unbedeutende Zeitungsmeldung hat mich veranlasst, über Rücktritte nachzudenken. Wie wir wissen, gibt es angekündigte und angedrohte Rücktritte. Und selbstverständlich gibt es den freiwilligen, aber auch den unter Druck zurückgezogenen, den unfreiwilligen und den altersbedingten Rücktritt. Man kann Rücktritte erklären oder davon aus der Zeitung erfahren. Eine Mutation des Rücktritts ist die Rücktrittbremse. Sie wurde 1903 von Sachs erfunden und begleitete Heerscharen von Schweizer Armee-Radfahrern in üblen Stunden durch dunkle Nächte. Als Füsilier kam auch ich in den fragwürdigen Genuss harter Sättel und gierender Bremsen. Unvergessen bleibt der Ritt mit Vollpackung durch das Tägermoos im Lichte des Neumondes. Allerdings kam dank kontinuierlicher Bergfahrt ein Rücktritt nicht in Frage. Und mit der Abschaffung der Rad fahrenden Soldaten gehört sie, die Rücktrittbremse, zumindest militärpolitisch zur Geschichte.

Rücktrittbremser hingegen findet man in den Chefetagen grosser Unternehmen. So hat doch eben ein schwedisch-amerikanischer Generalmanager den Rücktritt neu erfunden. Es handelt sich um eine weitere Variante des grund- und schuldlosen Rücktritts, den so genannten „medien-bedingten Rücktritt“. Man tritt nicht zurück wegen eines „im besten Fall zu missbilligenden Vorfalls“ der, ganz „nebenbei“, als schwerer Verstoss gegen die Firmenethik gewertet wird. Nein. Natürlich nicht. Man tritt zurück, weil die Berichterstattung der Medien dem Image der Company schadet. Der Rücktritt als Kollateralschaden der Pressefreiheit? 

Auch der Direktor eines sehr grossen Gastronomieunternehmens wurde – wegen sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen – „medienbedingt zurückgetreten“.