Montag, Juni 17, 2019

Nein, nicht in den Süden!



Als ich meinen Freund Umberto wissen liess, dass wir eine Reise nach Süditalien planten, war er ausser sich. Es gelang ihm mühelos, seine vornehme Erziehung in kürzester Zeit zu vergessen; sein südlicher Teint wurde eine Spur blasser, seine Stimme senkte sich um zwei Oktaven.

«Nach Süditalien? Womöglich gar nach Apulien? Nach Kalabrien? Nach Sizilien? Nein, kommt nicht in Frage, nicht in den Süden! Ihr könnt zu mir nach Mailand kommen, auf meinem Golfplatz wohnen, jeden Abend im Salon speisen und anschliessend einen Passito di Pantelleria süffeln.»

Da mich weder die Aussicht auf einen Golfplatz noch auf einen Salon mit Passito reizte, lehnte ich sein Ansinnen ab und wiederholte meine Frage.

«Wir werden bald nach Süditalien fahren und nicht nur Apulien und Kalabrien besuchen, sondern obendrein die Abruzzen, das Molise sowie die Marken bereisen. Und Pantelleria. Kannst du mir ein paar nette Hotels empfehlen?»

«Nein. Ich werde dir keine netten Hotels empfehlen. In Afrika gibt es keine netten Hotels.»

Es ist auch für ungeübte Italienreisende unschwer zu erkennen, dass Umberto Anhänger der Lega Nord ist. Deren Anhänger würden noch so gerne Padanien, den nördlichen Teil Italiens, vom Süden abspalten. Umberto wäre somit sofort bereit gewesen, die Gebiete hinter der Porta Romana, dem südlichen Stadttor von Florenz, den Libyern abzutreten.

Dass deren Chefbeduine demnächst das Zeitliche segnen und sich mit seinen mutmasslich 99 Jungfrauen im Himmel tummeln würde, konnte er in diesem Moment noch nicht wissen.

Auf meinen Einwand hin, so schlimm könne es ja wohl nicht sein, meinte er ärgerlich:

«Es wird wesentlich schlimmer werden! In Apulien wird dich die Mafia ausrauben, in Kalabrien erschiessen und in Sizilien entführen. Man wird dich in einem alten Schafstall bei Wasser und Brot gefangen halten, dir das rechte Ohr abschneiden und ein Lösegeld verlangen.»

Da ich niemanden kannte, der für meine Freilassung aus der Geiselhaft Geld bezahlen würde, lächelte ich nur müde.

Die anderen Geschichten glaubte ich ihm auch nicht, Umberto ist ein begnadeter Geschichtenerzähler.

«Ich kenne da ein nettes Hotel in Rimini», fuhr er fort.

«Nein», entgegnete ich ihm und konnte es mir nicht verkneifen, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass es am Teutonengrill keine netten Hotels gibt.

Sonntag, Juni 09, 2019

Die Risotto-Königin (Volksstimme)


Wir sind zu Besuch in einem kleinen Winzerdorf im Oltrepò Pavese, einem fruchtbaren Weinbaugebiet in der südlichen Lombardei. Wilde Spargeln säumen einsame Wege; auf abgelegenen Höfen werden Käse hergestellt, die zu den besten der Welt gehören. Varzi, das Dorf hinter den sieben Hügeln, gibt einem grobkörnigen Salami seinen Namen. Und in der nahen Po-Ebene wächst einzigartiger Carnaroli, der Risotto-Reis schlechthin.

Zusammen mit der Winzerfamilie sitzen wir im Schatten eines Kastanienbaumes und geniessen die letzten Sonnenstrahlen. Grossmutter hantiert in der Küche mit ihren Töpfen, als ob es das nahe Kirchengeläut zu übertönen gelte; ein Topf voller Risotto soll die hungrigen Mäuler stopfen. Sie hat die Zwiebeln in Butter angedünstet, den Reis dazu gegeben, und, sobald er glasig wurde, mit Rotwein abgelöscht. Anschliessend hat sie den Risotto mit Hühnerbouillon aufgekocht, weiter gerührt, noch mehr Bouillon beigefügt, weitergerührt. Und irgendwann war er al dente, noch leicht körnig, gut im Biss. Nur noch etwas Reibkäse, am besten Grana Padano, darunterziehen.




Bevor jetzt ein Hobbykoch aufbegehrt und mir einen Brief schreiben möchte, gebe ich ihm Folgendes zu bedenken: Natürlich dürfen sie anstelle von Butter auch Olivenöl verwenden. Da Risotto-Gerichte jedoch vorwiegend in Norditalien gegessen werden, man also der Butter näher als der Olive steht, muss eigentlich auch Butter verwendet werden.
Sie wollten gar nicht wegen der Butter, sondern wegen des Rotweins schreiben? Da muss ich sie ebenfalls enttäuschen. Man verwendet Weine, die im Dorf angebaut werden. Und da in Italien mehr Rot- als Weisswein angebaut wird, ist auch diese Sachlage wohl klar. Beziehungsweise unklar. Genauso wie bei den zu verwendenden Reissorten: In alphabetischer Reihenfolge sind dies Arborio, Baldo, Carnaroli, Maratelli, Rosa Marchetti, Sant'Andrea, Vialone nano.


Ganz in der Nähe findet jährlich ein Risotto-Kochwettbewerb statt. Jedes Dorf präsentiert dort jeweils sein eigenes piatto, sein eigenes Gericht. Die Besucher kaufen sich einen Teller, wandern von Stand zu Stand und geben am Ausgang einen Zettel ab, auf dem sie ihr Lieblingsgericht notiert haben. Unter grosser Anteilnahme der Bevölkerung, und einer Liveübertragung durch den lokalen Fernsehsender, wird das Risotto-Dorf des Jahres gewählt. Eher unglaubwürdig ist die Aussage eines Bewohners von Paveggio, der abschätzig bemerkte, das preisgekrönte Dorf würde auch noch eine Risotto-Königin wählen und diese während eines Jahres, als Reiskorn verkleidet, im Zirkus auftreten lassen.

Und auch dies noch: Al dente («für den Zahn») bedeutet «bissfest». Also nicht verkocht, sondern genau auf den Punkt gegart. 1953 soll ein Küchenchef erstmals die Bezeichnung «alla protesa» verwendet haben. Er meinte damit ein völlig verkochtes und pampiges Gericht, dass man nur noch Trägern von dritten Zähnen servieren könne. Damit lag er völlig falsch, denn ein gewisser Herr Wilson soll bereits in den 30er-Jahren das Haftpulver erfunden haben.