Wir sind zu Besuch in einem kleinen Winzerdorf
im Oltrepò Pavese, einem fruchtbaren Weinbaugebiet in der südlichen Lombardei.
Wilde Spargeln säumen einsame Wege; auf abgelegenen Höfen werden Käse
hergestellt, die zu den besten der Welt gehören. Varzi, das Dorf hinter den
sieben Hügeln, gibt einem grobkörnigen Salami seinen Namen. Und in der nahen
Po-Ebene wächst einzigartiger Carnaroli,
der Risotto-Reis schlechthin.
Zusammen mit der Winzerfamilie sitzen wir im
Schatten eines Kastanienbaumes und geniessen die letzten Sonnenstrahlen.
Grossmutter hantiert in der Küche mit ihren Töpfen, als ob es das nahe
Kirchengeläut zu übertönen gelte; ein Topf voller Risotto soll die hungrigen
Mäuler stopfen. Sie hat die Zwiebeln in Butter angedünstet, den Reis dazu
gegeben, und, sobald er glasig wurde, mit Rotwein abgelöscht. Anschliessend hat
sie den Risotto mit Hühnerbouillon aufgekocht, weiter gerührt, noch mehr
Bouillon beigefügt, weitergerührt. Und irgendwann war er al dente, noch leicht körnig, gut im Biss. Nur noch etwas Reibkäse,
am besten Grana Padano, darunterziehen.
Bevor jetzt ein Hobbykoch aufbegehrt und mir
einen Brief schreiben möchte, gebe ich ihm Folgendes zu bedenken: Natürlich
dürfen sie anstelle von Butter auch Olivenöl verwenden. Da Risotto-Gerichte
jedoch vorwiegend in Norditalien gegessen werden, man also der Butter näher als
der Olive steht, muss eigentlich auch Butter verwendet werden.
Sie wollten gar nicht wegen der Butter,
sondern wegen des Rotweins schreiben? Da muss ich sie ebenfalls enttäuschen. Man
verwendet Weine, die im Dorf angebaut werden. Und da in Italien mehr Rot- als
Weisswein angebaut wird, ist auch diese Sachlage wohl klar. Beziehungsweise
unklar. Genauso wie bei den zu verwendenden Reissorten: In alphabetischer
Reihenfolge sind dies Arborio, Baldo, Carnaroli, Maratelli, Rosa Marchetti,
Sant'Andrea, Vialone nano.
Ganz in der Nähe findet jährlich ein
Risotto-Kochwettbewerb statt. Jedes Dorf präsentiert dort jeweils sein eigenes piatto, sein eigenes Gericht. Die
Besucher kaufen sich einen Teller, wandern von Stand zu Stand und geben am
Ausgang einen Zettel ab, auf dem sie ihr Lieblingsgericht notiert haben. Unter
grosser Anteilnahme der Bevölkerung, und einer Liveübertragung durch den
lokalen Fernsehsender, wird das Risotto-Dorf des Jahres gewählt. Eher
unglaubwürdig ist die Aussage eines Bewohners von Paveggio, der abschätzig bemerkte,
das preisgekrönte Dorf würde auch noch eine Risotto-Königin wählen und diese
während eines Jahres, als Reiskorn verkleidet, im Zirkus auftreten lassen.
Und auch dies noch: Al dente («für den Zahn»)
bedeutet «bissfest». Also nicht verkocht, sondern genau auf den Punkt gegart.
1953 soll ein Küchenchef erstmals die Bezeichnung «alla protesa» verwendet
haben. Er meinte damit ein völlig verkochtes und pampiges Gericht, dass man nur
noch Trägern von dritten Zähnen servieren könne. Damit lag er völlig falsch,
denn ein gewisser Herr Wilson soll bereits in den 30er-Jahren das Haftpulver
erfunden haben.
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