Eigentlich
wollten wir zum Karneval nach Rio de Janeiro. Als unser Freund Dottore Umberto
dies hörte, erbleichte er und hielt uns eine Gardinenpredigt.
„In
Rio ist es viel zu gefährlich für allein reisende Schweizer. An der Copacabana
lauern Taschendiebe, die Girls von Ipanema sind auch nicht mehr was sie einmal
waren und in den Favelas lauern Mörder und Totschläger. Ich begleite euch, mein
Cousin der in Brasilien lebt, wird unser Führer sein.“
Leider
kam es nicht dazu.
„Der
Cousin ist im Krankenhaus, ihr müsst den Karneval verschieben“, beschied uns
der Dottore. „Taschendiebe haben ihm den Geldbeutel geklaut (Copacabana), das
Girl (aus Ipanema) kam ihm am Strand deutlich zu nahe, verschleppte ihn in die
Favelas, wo sie ihn mit ihrer Handtasche bewusstlos schlug und ausraubte.“
Da
auch Umberto den Karneval nicht verschieben konnte, flogen wir stattdessen nach
Port of Spain auf der Insel Trinidad. Denn dort sollte es mindestens so wild
her und zu gehen wie an der Basler Fasnacht und am Karneval in Köln. Einfach
ein bisschen heisser.
Das
Erdbeben weckte uns um drei Uhr nachts. Im Badezimmer klapperten die
Zahngläser, eine Tube Zahnpasta fiel auf den Boden. Die Fensterscheiben
zitterten und in der Ferne war ein dumpfes Grollen zu hören. Augenblicklich entnahm
ich meinem Reisegepäck das Merkblatt des schweizerischen Erdbebendienstes.
"Sofort
den nächstgelegenen, sicheren Platz aufsuchen.“ Wir warfen uns unter das Bett.
„Auf
starke Beben können in zeitlich unregelmässigen Abständen Nachbeben folgen“.
Wir blieben unter dem Bett.
„Einrichtungsgegenstände
können umkippen.“ Wir blieben unter dem Bett. „Deckenverkleidungen können sich
ablösen.“ Wir blieben unter dem Bett.
Nachdem
die Erde seit Stunden nicht mehr gebebt hatte, krochen wir unter den Betten
hervor und gingen frühstücken. Auf einem Bildschirm lief eine
Nachrichtensendung: Kein Erdbeben, nicht einmal ein kleines Seebeben, hatte die
Insel heimgesucht. Es war kein geologisches Ereignis gewesen das uns aus unsern
Betten gebebt hatte. Nein, es herrschte Karneval! Ein menschliches Beben hatte
die Stadt erfasst, Menschen stapften durchschwitzt zu den Beats von Soca und
Samba durch die Strassen, prachtvolle Wagen und Kostüme beherrschten die
Gassen. Ein unvorstellbares Klangerlebnis erwartete uns. Dumpfe Trommeln und
Unmengen von Steeldrums verursachten eine orgiastisch instrumentalisierte
Kakophonie. Wir taumelten durch den Tag und dachten weder an Rosenmontag noch
Aschermittwoch. Solche Gedanken hätten nur irritiert.
Sammler
Nach
drei Tagen Karneval flogen wir weiter zur Nachbarsinsel Tobago, der Insel aller
Sammler. Deren bekannteste Abteilung sind wohl die Schmetterlingssammler. Mit
Netzen und bunten Botanisierbüchsen bewaffnet hüpfen sie durch hüfthohes Gras.
Haben sie dann endlich ein Exemplar im Köcher, wird es umgebracht um später
zuhause an die Wand genagelt zu werden.
Zur
gleichen Gattung gehören die Fischsammler. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass
ihr Sammeltrieb meistens nur einem einzigen Fischlein gehört. Meistens sind es
irgendwelche Liliput-Fische wie Pygmäen-Seepferdchen, die sich hinter Steinen,
grossen Muscheln oder Korallenblöcken verstecken. Der Sammler muss diese
unentwegt aufheben und umdrehen. Um an Land dann mit Sätzen wie „Du glaubst
nicht, was ich gesehen habe“ zu frohlocken. Er wird allen die es auch nicht
hören wollen, den Unterschied in der Färbung der Afterflosse bei den juvenilen
Graubarschen im Westpazifik gegenüber ihren Artgenossen im Südpazifik erklären.
Zurück an Land wird er sein Bestimmungsbuch („Alle Fische dieser Welt“)
aufschlagen. Um beim Abendessen zu erklären, dass er eben eine neue Fischart
entdeckt habe. Er hat sie bereits mit Farbstiften in sein Heft gezeichnet. Der
Fisch soll nach seinem österreichischen Entdecker
„Geheimrat-Doktor-von-Platschensky-Barsch“ heissen.
Aber
auch für ökologisch interessierte Taucher ist Tobago ein Paradies. Sie lassen
gerne ein ganzes Hotel an ihren umweltpolitischen Erkenntnissen teilnehmen.
„Ich
denke, dass mindestens 60 % der Korallen ausgebleicht und tot sind.“
Liebevoll reinigt er alles, was ihm unter Wasser verschmutzt vorkommt. Mit
Hilfe von Druckluft aus seinem Atemregler entfernt er schleimige Braunalgen von
lieblichen Matrosenhirnen. Man erkennt ihn an Merksätzen wie: „Freizeittaucher
sind eine Umweltkatastrophe. Ich habe gesehen wie diese amerikanische Tussi mit
ihren Flossen auf eine seltene Rotkopfalge der Gattung der Braunen Schwellalgen
aus der Familie der braunblättrigen Küstensumpfalgen auf die Extremitäten
gestanden ist.“ Obwohl ich ihm entgegnen wollte, dass Küstensumpfalgen meines
Wissens nicht über Extremitäten verfügen, verzichtete ich auf eine Wortmeldung.
Doppelschwanzwiderling
Kaum
waren wir in Tobago gelandet, wurden wir einmal mehr von einem Taxi abgeholt.
Und einmal mehr hiess der Fahrer John, trug Sonnenbrille und war ansonsten
nett. Er brachte uns ins Hotel. Und wieder einmal wollten wir träumen, tauchen
und manchmal etwas trinken.
Auf
Tobago tummeln sich jede Menge Unterwasserfotografen. Diese verpacken ihre
umfangreiche Ausrüstung (deren Anschaffungskosten locker den Preis eines Kleinwagens
übersteigen) in bruchsichere Überseekoffer. Die Kosten für das Übergepäck
entsprechen in etwa zwei Sätzen Winterreifen. Der Bedarf an
Unterwasserscheinwerfern, Speziallampen und den entsprechenden Stativen ist
enorm. Fotografen sind deshalb auf Träger angewiesen. Sie überlassen diese
Aufgabe meistens ihren nicht tauchenden Ehefrauen. Da es ungleich schwieriger
ist, einen Hai oder einen Manta als eine Nacktschnecke zu verewigen, haben sich
viele Fotografen auf die sogenannte Makrofotografie verlegt. Solang die Luft
reicht, liegen sie regungslos und getarnt hinter einer Muschel und warten darauf,
dass der kleine gelbe Doppelschwanzwiderling seine Höhle verlässt und sich
ablichten lässt. Sie hassen es, wenn man ihnen nach dem Tauchgang von den Grauhaien
erzählt, die hinter ihrem Rücken einen Hochzeitstanz aufgeführt haben.
Man
sollte zu Unterwasser-Fotografen immer Distanz wahren. Durch einen unbedachten
Flossenschlag würde man nämlich den endlich aufgetauchten Fisch in die Flucht
treiben. Solche Taten können zu wüsten Ausschreitungen an Bord ausarten.
No problem!
Selbstverständlich
unternahmen wir auch Exkursionen über die Insel. Unser ständiger Begleiter:
John, der Taxifahrer. Und auch am Tag unserer Rückreise stand er vor unserem
Hotel: John, der Taxifahrer.
Er
hielt unmittelbar vor den ersten Schaltern in der Abflughalle, riss unser
Gepäck aus dem Wagen und stellte es auf die Waage. Er wog es und füllte den Gepäckzettel
aus. Anschliessend verschwand er in einem Nebenraum und kleidete sich um. Die
schicke Uniform, die ihn jetzt als Angestellten des Flughafens auswies, stand ihm
gut. Er setzte sich an den Computer, druckte unsere Bordkarten aus und übergab sie
uns lächelnd. Wir wollten ihm danken, doch er war bereits wieder verschwunden.
Als
wir uns dem Flugzeug näherten, ertönte eine Hupe. Ich drehte mich um und wollte
eben ein paar gotteslästerliche Flüche ausstossen, da erkannte ich John. Auf
seinem Wägelchen ruhte unser Gepäck. Während wir das Flugzeug bestiegen, sahen
wir, wie er unser Gepäck mit Schwung ins Gepäckabteil beförderte und anschliessend
die Klappe schloss. Einen Augenblick später sahen wir ihn im Cockpit und ich
machte mir langsam Sorgen. Diese hätte ich mir jedoch für einen späteren
Zeitpunkt sparen können. Denn nach wenigen Minuten verliess John das Flugzeug wieder
über die Bordtreppe und machte dem Piloten ein Zeichen. Er winkte uns ein letztes
Mal zu und die Piloten gaben Gas.
Kaum
in der Luft, gab es ein Problem. Ganz offensichtlich war die Türe nicht richtig
geschlossen worden. Sie wackelte heftig und verursachte eigenartige Geräusche. Der
Copilot schien davon jedoch nicht beunruhigt. Mit einem Kalberstrick band er
die lotternde Türe am nächstgelegenen Sitz fest und bedeutete mir, ihn doch zu
rufen, wenn’s ein Problem geben sollte.
Es
gab keine.
No
problem!