Sonntag, Mai 22, 2016

Bürger Gsell

1978 erschien der Film «Die Schweizermacher». Regisseur Rolf Lyssy nimmt darin die schweizerische Einbürgerungspraxis aufs Korn: Emil Steinberger und Walo Lüönd brillieren als gnadenlose Einbürgerungsbeamte.

1979 zügelte ich mit meiner Familie nach Sissach. An eine Einbürgerung dachte ich nicht: Das Altersheim im bernischen Rüeggisberg schien mir durchaus passabel, die vielen Miststöcke im Dorf störten mich nicht. Auch die Tatsache, dass mein Bürgerort an einem der Hauptwege des Jakobswegs nach Santiago de Compostela liegt, interessierte mich als Nichtwanderer nicht besonders.

36 Jahre und ein paar Monate später aber änderte ich meine Meinung. Obwohl ich mich längst als Sissacher fühlte: Jetzt wollte ich auch einer werden! Ich studierte die Gesetze und Verordnungen, stellte fest, dass ich die wesentlichen Anforderungen erfüllte und schickte den Einbürgerungsantrag ab. Noch aber war ich mir nicht sicher, ob das alles wirklich so problemlos ablaufen würde. Immerhin war ich in jüngeren Jahren in die DDR gereist. Ob ich damals geheimdienstlich erfasst wurde? Stand in meiner Fiche obendrein, dass ich einige Zeit in Beirut gelebt hatte und von dort aus Aleppo und Damaskus besucht hatte? Ich trank damals, in der Nähe eines Minaretts und inmitten von Muselmanen, mit einem Mullah ein Tässchen Pfefferminztee. Sicher würde man dies alles überprüfen!

Während ich mir im Dorf einen Aperitif genehmigte, beobachtete ich heimlich die Umgebung. Heimlich deshalb, weil ich mir die Volksstimme vor den Kopf hielt und durch ein Loch schielte. Eben ging Tännli vorbei, begrüsste Chnorzi und Battli, hielt einen kurzen Schwatz mit Klick. Auffällig lange starrten sie auf meine Volksstimme. Und als sich dann auch noch Bibi, Bubu und Bippli an den Nebentisch setzten wusste ich es: Ich wurde überwacht! Gottseidank hatte ich Eptinger bestellt und nicht einen ausserkantonalen Sprudel! Zwei unauffällige Schlapphüte wandten allzu auffällig ihre Köpfe ab. Der Mann auf der Strassenwischmaschine hielt an und kehrte die Überreste einer Drohne zusammen. Sollten sie doch prüfen so viel sie wollten! Ich hatte ein ruhiges Gewissen. Obwohl, man hat mich als Vierzehnjähriger auf einem frisierten Puch erwischt und manchmal habe ich hinter dem Gemeindeschopf einen Rösslistumpen geraucht…Tempi passati!

Heute nun bin ich endlich Sissecher Bürger, war schon im Schloss Ebenrain, im Kino und auf der Fluh, kenne den Cheesmaier, das Henker- sowie das Heimatmuseum. Ich weiss wer JR ist und auch, dass der Abt gar kein Abt ist. Ich kaufe das Brot auf dem Bure Märt, den Aperitif gibt’s im Stöpli, das Kalbssteak in der Sonne und die Aussicht im Alpbad. Und ich weiss auch, dass in Sissach mehr Menschen namens Buser als Sutter oder Schaub wohnen. Nur Gysin’s – vereint mit den Gisin’s, Gisi’s und Gysi’s – gibt’s noch mehr.
Zwischen all den i’s und y’s hatte es für einen Gsell problemlos noch Platz.

 

 

 

 

 

Samstag, Mai 21, 2016

Der Tag danach

Immer nach Ostern bin ich tief beeindruckt von der Preisschlacht unter den Schoggihasen. Kostete solch ein Ding VOR den Feiertagen 20 Franken, ist es nachher noch ganze 10 Franken wert. Wartet man noch etwas zu, gibt’s das Vieh glattwegs für einen Fünfliber. Stellen sie sich vor, SIE wären ein Osterhase! Da ist doch ihr ganzes Selbstbewusstsein weggeblasen! Was folgt, sind Selbstzweifel und Depressionen! Habe ich meine Steuererklärung etwa zu früh eingereicht? Wäre es günstiger gewesen, sie erst nach Pfingsten abzuliefern?

Der Osterhase von Pulau Pef / Raja Ampat ..Danke Maya!

Und wie steht’s eigentlich mit Tante Marthas Drohung «Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen! »? War das auch wieder nur Erpressung? Habe ich ihretwegen ein Leben lang zu viel bezahlt für das Schokoladenvieh? Rein rechnerisch komme ich auf einen Verlust von über 500 Franken! Dabei hat mich Tantchen noch nicht einmal beerbt! Obwohl sie reich war. Sehr reich sogar. Und das kam so:

 Ihr Vater hatte als Müller ein Vermögen verdient. Er besass nämlich eine gutgehende Getreidemühle und belieferte unzählige Bäckereien mit Mehl. In Zeiten grosser Not gab er bedürftigen Bäckern auch mal ein Darlehen für einen neuen Backofen. Konnte der arme Bäcker die fälligen Raten nicht mehr bezahlen, machte er kurzen Prozess und übernahm den Betrieb für weniger als nichts.

Tante Martha mahlt schon lange kein Getreide mehr, sondern lebt ganz gut von den vielen Immobilien. So weit, so gut. Doch Tante Martha ist nicht nur sehr reich, sondern auch geizig. Schuld daran sind, wie könnte es auch anders sein, die bösen Eltern, eine schwierige Jugend sowie ein paar Blumen.
Martha war vielleicht 8 Jahre alt, als sie ihre Mamma zum Muttertag beschenken wollte. Sie erschlug hinterrücks ihr Sparschein, ging in die nobelste Blumenboutique der Stadt und kaufte das teuerste Bouquet.
„Für Sie, Frau Mutter!“ stammelte sie und wollte ihr die Blumen überreichen. Sie kam nicht dazu. „Martha“, sagte sie. „Martha, so wird nie etwas aus dir!“ Da Frau Mutter sie nur selten beim Namen nannte, befürchtete sie das Schlimmste. Sie hatte recht.
Frau Mutter – nie hätte sie diese Frau „Mamma“ genannt – versetzte ihre Arme in Pendelbewegungen, gab ihr eine gewaltige Ohrfeige und drohte, ihr auch noch die Ohren stehen zu lassen.
„Nimm dir ein Vorbild an deinem Vater. Der kaufte den Strauss immer erst NACH dem Muttertag. Dann kosten Blumen nur noch die Hälfte! Und vergiss die Boutique, Blumen kauft man beim Discounter. Und überhaupt, der Muttertag ist eine Erfindung der internationalen Blumenhändlermafia, also vergiss gleich den ganzen Mist. Oder kauf dir wenigstens Plastikblumen, die kannst du mehrmals verwenden!“

 
Natürlich gibt es Tage, die man unter keinen Umständen vorbeigehen lassen sollte. Gestern war so ein Termin, gestern war Bürgergemeindeversammlung. Weshalb ich diese nicht verpasst habe, erfahren sie am 20. Mai an dieser Stelle.

 

 

 

 

Freitag, Mai 20, 2016

Erdbeben in Trinidad

Eigentlich wollten wir zum Karneval nach Rio de Janeiro. Als unser Freund Dottore Umberto dies hörte, erbleichte er und hielt uns eine Gardinenpredigt.
      „In Rio ist es viel zu gefährlich für allein reisende Schweizer. An der Copacabana lauern Taschendiebe, die Girls von Ipanema sind auch nicht mehr was sie einmal waren und in den Favelas lauern Mörder und Totschläger. Ich begleite euch, mein Cousin der in Brasilien lebt, wird unser Führer sein.“
Leider kam es nicht dazu.
     „Der Cousin ist im Krankenhaus, ihr müsst den Karneval verschieben“, beschied uns der Dottore. „Taschendiebe haben ihm den Geldbeutel geklaut (Copacabana), das Girl (aus Ipanema) kam ihm am Strand deutlich zu nahe, verschleppte ihn in die Favelas, wo sie ihn mit ihrer Handtasche bewusstlos schlug und ausraubte.“
Da auch Umberto den Karneval nicht verschieben konnte, flogen wir stattdessen nach Port of Spain auf der Insel Trinidad. Denn dort sollte es mindestens so wild her und zu gehen wie an der Basler Fasnacht und am Karneval in Köln. Einfach ein bisschen heisser.

Das Erdbeben weckte uns um drei Uhr nachts. Im Badezimmer klapperten die Zahngläser, eine Tube Zahnpasta fiel auf den Boden. Die Fensterscheiben zitterten und in der Ferne war ein dumpfes Grollen zu hören. Augenblicklich entnahm ich meinem Reisegepäck das Merkblatt des schweizerischen Erdbebendienstes.
      "Sofort den nächstgelegenen, sicheren Platz aufsuchen.“ Wir warfen uns unter das Bett.
„Auf starke Beben können in zeitlich unregelmässigen Abständen Nachbeben folgen“. Wir blieben unter dem Bett.
      „Einrichtungsgegenstände können umkippen.“ Wir blieben unter dem Bett. „Deckenverkleidungen können sich ablösen.“ Wir blieben unter dem Bett.

Nachdem die Erde seit Stunden nicht mehr gebebt hatte, krochen wir unter den Betten hervor und gingen frühstücken. Auf einem Bildschirm lief eine Nachrichtensendung: Kein Erdbeben, nicht einmal ein kleines Seebeben, hatte die Insel heimgesucht. Es war kein geologisches Ereignis gewesen das uns aus unsern Betten gebebt hatte. Nein, es herrschte Karneval! Ein menschliches Beben hatte die Stadt erfasst, Menschen stapften durchschwitzt zu den Beats von Soca und Samba durch die Strassen, prachtvolle Wagen und Kostüme beherrschten die Gassen. Ein unvorstellbares Klangerlebnis erwartete uns. Dumpfe Trommeln und Unmengen von Steeldrums verursachten eine orgiastisch instrumentalisierte Kakophonie. Wir taumelten durch den Tag und dachten weder an Rosenmontag noch Aschermittwoch. Solche Gedanken hätten nur irritiert.

Sammler

Nach drei Tagen Karneval flogen wir weiter zur Nachbarsinsel Tobago, der Insel aller Sammler. Deren bekannteste Abteilung sind wohl die Schmetterlingssammler. Mit Netzen und bunten Botanisierbüchsen bewaffnet hüpfen sie durch hüfthohes Gras. Haben sie dann endlich ein Exemplar im Köcher, wird es umgebracht um später zuhause an die Wand genagelt zu werden.

Zur gleichen Gattung gehören die Fischsammler. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Sammeltrieb meistens nur einem einzigen Fischlein gehört. Meistens sind es irgendwelche Liliput-Fische wie Pygmäen-Seepferdchen, die sich hinter Steinen, grossen Muscheln oder Korallenblöcken verstecken. Der Sammler muss diese unentwegt aufheben und umdrehen. Um an Land dann mit Sätzen wie „Du glaubst nicht, was ich gesehen habe“ zu frohlocken. Er wird allen die es auch nicht hören wollen, den Unterschied in der Färbung der Afterflosse bei den juvenilen Graubarschen im Westpazifik gegenüber ihren Artgenossen im Südpazifik erklären. Zurück an Land wird er sein Bestimmungsbuch („Alle Fische dieser Welt“) aufschlagen. Um beim Abendessen zu erklären, dass er eben eine neue Fischart entdeckt habe. Er hat sie bereits mit Farbstiften in sein Heft gezeichnet. Der Fisch soll nach seinem österreichischen Entdecker „Geheimrat-Doktor-von-Platschensky-Barsch“ heissen.
Aber auch für ökologisch interessierte Taucher ist Tobago ein Paradies. Sie lassen gerne ein ganzes Hotel an ihren umweltpolitischen Erkenntnissen teilnehmen.
      „Ich denke, dass mindestens 60 % der Korallen ausgebleicht und tot sind.“ Liebevoll reinigt er alles, was ihm unter Wasser verschmutzt vorkommt. Mit Hilfe von Druckluft aus seinem Atemregler entfernt er schleimige Braunalgen von lieblichen Matrosenhirnen. Man erkennt ihn an Merksätzen wie: „Freizeittaucher sind eine Umweltkatastrophe. Ich habe gesehen wie diese amerikanische Tussi mit ihren Flossen auf eine seltene Rotkopfalge der Gattung der Braunen Schwellalgen aus der Familie der braunblättrigen Küstensumpfalgen auf die Extremitäten gestanden ist.“ Obwohl ich ihm entgegnen wollte, dass Küstensumpfalgen meines Wissens nicht über Extremitäten verfügen, verzichtete ich auf eine Wortmeldung.

 

Doppelschwanzwiderling

Kaum waren wir in Tobago gelandet, wurden wir einmal mehr von einem Taxi abgeholt. Und einmal mehr hiess der Fahrer John, trug Sonnenbrille und war ansonsten nett. Er brachte uns ins Hotel. Und wieder einmal wollten wir träumen, tauchen und manchmal etwas trinken.

Auf Tobago tummeln sich jede Menge Unterwasserfotografen. Diese verpacken ihre umfangreiche Ausrüstung (deren Anschaffungskosten locker den Preis eines Kleinwagens übersteigen) in bruchsichere Überseekoffer. Die Kosten für das Übergepäck entsprechen in etwa zwei Sätzen Winterreifen. Der Bedarf an Unterwasserscheinwerfern, Speziallampen und den entsprechenden Stativen ist enorm. Fotografen sind deshalb auf Träger angewiesen. Sie überlassen diese Aufgabe meistens ihren nicht tauchenden Ehefrauen. Da es ungleich schwieriger ist, einen Hai oder einen Manta als eine Nacktschnecke zu verewigen, haben sich viele Fotografen auf die sogenannte Makrofotografie verlegt. Solang die Luft reicht, liegen sie regungslos und getarnt hinter einer Muschel und warten darauf, dass der kleine gelbe Doppelschwanzwiderling seine Höhle verlässt und sich ablichten lässt. Sie hassen es, wenn man ihnen nach dem Tauchgang von den Grauhaien erzählt, die hinter ihrem Rücken einen Hochzeitstanz aufgeführt haben.



Man sollte zu Unterwasser-Fotografen immer Distanz wahren. Durch einen unbedachten Flossenschlag würde man nämlich den endlich aufgetauchten Fisch in die Flucht treiben. Solche Taten können zu wüsten Ausschreitungen an Bord ausarten.

No problem!

Selbstverständlich unternahmen wir auch Exkursionen über die Insel. Unser ständiger Begleiter: John, der Taxifahrer. Und auch am Tag unserer Rückreise stand er vor unserem Hotel: John, der Taxifahrer.

Er hielt unmittelbar vor den ersten Schaltern in der Abflughalle, riss unser Gepäck aus dem Wagen und stellte es auf die Waage. Er wog es und füllte den Gepäckzettel aus. Anschliessend verschwand er in einem Nebenraum und kleidete sich um. Die schicke Uniform, die ihn jetzt als Angestellten des Flughafens auswies, stand ihm gut. Er setzte sich an den Computer, druckte unsere Bordkarten aus und übergab sie uns lächelnd. Wir wollten ihm danken, doch er war bereits wieder verschwunden.

Als wir uns dem Flugzeug näherten, ertönte eine Hupe. Ich drehte mich um und wollte eben ein paar gotteslästerliche Flüche ausstossen, da erkannte ich John. Auf seinem Wägelchen ruhte unser Gepäck. Während wir das Flugzeug bestiegen, sahen wir, wie er unser Gepäck mit Schwung ins Gepäckabteil beförderte und anschliessend die Klappe schloss. Einen Augenblick später sahen wir ihn im Cockpit und ich machte mir langsam Sorgen. Diese hätte ich mir jedoch für einen späteren Zeitpunkt sparen können. Denn nach wenigen Minuten verliess John das Flugzeug wieder über die Bordtreppe und machte dem Piloten ein Zeichen. Er winkte uns ein letztes Mal zu und die Piloten gaben Gas.

Kaum in der Luft, gab es ein Problem. Ganz offensichtlich war die Türe nicht richtig geschlossen worden. Sie wackelte heftig und verursachte eigenartige Geräusche. Der Copilot schien davon jedoch nicht beunruhigt. Mit einem Kalberstrick band er die lotternde Türe am nächstgelegenen Sitz fest und bedeutete mir, ihn doch zu rufen, wenn’s ein Problem geben sollte.

Es gab keine.
No problem!