Um hinter das Geheimnis seines für diese Gegend doch eher seltsamen Namens zu kommen, sollte ich vielleicht zuerst erklären, was ein Paramount-Chief denn ist. Chiefs sind Vorsitzende von Grossfamilien.
So ein Clan kann sich durchaus aus einigen Hundert Menschen zusammensetzen! Als
Chief ist er Standesbeamter, Aussenminister, Polizeichef, Richter,
Abteilungsleiter des Büros für die Gleichstellung von Mann und Frau, Verwalter
der Alkohol- und Dieselreserven, Amtsarzt, Chef der Feuerwehr, Forstwart und
Staatsanwalt in einer Person.
Sind nun
auf einer Insel mehrere Clans angesiedelt, oder haben sich mehrere Eilande zu
insularen Kooperativen zusammengeschlossen, muss der Häuptling aller Chiefs
bestimmt werden. Wie auch bei der Wahl zum Chief sitzen die weisen Männer
zusammen, trinken ein Gläschen und palavern unter schattigen Palmen.
So eine Wahl kann
sich durchaus über mehrere Tage hinziehen. Mindestens aber, solange es noch zu
essen und zu trinken gibt. Die einzelnen Kandidaten geben sich äusserst
grosszügig und lassen auch mal eine Schiffsladung Budweiser andampfen, um die Wahlmänner günstig zu stimmen. Ein ganz
normaler Wahlkampf also! Der Gewinner der Wahl darf sich nun Paramount-Chief nennen, er ist der neue
Herr über die Völker „hinter und vor den Bergen“.
Unser Otto ist also Paramount-Chief von Ik, einer kleinen Insel irgendwo im unendlichen
Blau des Pazifischen Ozeans. Ik ist ein sogenanntes High Island, eine hohe Insel. Im Gegensatz zu den Flat Islands, den flachen Inseln,
verfügt sie über einen Berg von mindestens 90 Meter Höhe. Wenngleich solche
„Gebirge“ wohl nur gerade Holländer und Dänen in Begeisterungsstürme ausbrechen
lassen: In Zeiten der Klimaerwärmung und steigender Meeresspiegel ist es von
unschätzbarem Wert, auf einer hohen Insel zu sitzen. Und nicht auf einer Sandbank,
die gelegentlich im Meer verschwinden wird.
Ik ist quasi ein
Hügel im Wasser, von undurchdringlichen Mangrovenwäldern umgeben, mit Palmen bewachsen
und mit einem Berg von eigenartiger Gestalt. So haben sich die Amerikaner einst
erdreistet, das Symbol von Ik Chickenshit-Mountain
zu nennen. Ich denke nicht, dass ich diesen Ausdruck übersetzen muss.
Allerdings ist der einheimische Name dieses bewaldeten Haufens auch nicht viel
einfacher auszusprechen: er heisst Ifekit-raen-mongowatte-watte,
was frei übersetzt in etwa „Haufen mit viel Wasser drumrum“ bedeutet.
Auf unserm Haufen im Wasser plätschert auch
ein Wasserfall. Und Inhaber dieses Wasserfalls ist, wie bereits erwähnt, Chief
Otto.
Auf pazifischen
Inseln gehört jeder Stein und jeder Stock einer Familie. Es gibt praktisch kein
Land, das einer Gemeinde oder einem Staat gehört. So kann es durchaus sein,
dass der Inselflughafen im Besitz von 35 Familien ist. Muss nun über eine Pistenverlängerung,
über eine neue Anflugregelung oder ein neues Lärmschutzgesetzabgestimmt werden,
ist dies immer sehr lustig. Die Auseinandersetzungen können locker auch mehrere
Generationen beschäftigen! Landbesitz und Zeit – sehr viel Zeit – sind die
einzig wahren Besitztümer dieser Menschen.
Zurück zum
Wasserfall: Da sämtliche Touristen, es werden hier wohl um die 5’000 pro Jahr
eingeflogen, den schönsten, grössten und most
beautiful Wasserfall des ganzen Pazifiks besuchen wollen, kommt ein schöner
Batzen zusammen. Denn – wer den Wasserfall von Ik bestaunen möchte, bezahlt
zwei US-Dollar, Kinder die Hälfte, Einheimische haben freien Zutritt. Das
Kassieren obliegt traditionsgemäss dem ältesten Sohn der Familie.
Weitere
Einnahmequellen sind drei alte japanische Panzer. Da sowohl die Japaner als
auch die Amerikaner ihren alten Gerümpel nach Kriegsende einfach stehen und
liegen liessen, mussten die militärischen Hinterlassenschaften irgendwie versilbert
werden. Otto hat sie neu gestrichen und vor die Kirche stellen lassen. Einmal
fotografieren kostet einen Dollar. Keine Antwort erhält man auf die Frage,
weshalb der eine Panzer rosarot und der andere hellblau bemalt wurde. Was aber
weiter auch nicht stört. Denn immerhin sehen sie in diesen Farben eindeutig
weniger bedrohlich aus.
B
|
evor ich die Familienchronik weiter
erzähle, möchten Sie vielleicht noch wissen, wieso ein Insulaner eigentlich den
Familiennamen Otto trägt. Sicher werden Sie es ahnen: Es sind die letzten
Erinnerungen an die deutschen Südseekolonien.
Nachdem
Deutschland 1899 diese Kolonien günstig von den Spaniern erwerben konnte, tat
man zuerst das, was man am besten konnte: Man reorganisierte die Inseln
ruckzuck-zackzack. Und da die Einheimischen bis dahin keinerlei Nachnamen hatten,
wurde ihnen als Erstes ein christlich-germanischer Familienname verpasst. Auch
wenn es keine schriftlichen Unterlagen über das System der Namensgebung gibt,
kann ich mir die ganze Chose
folgendermassen vorstellen.
Eines schönen
Morgens, noch waren die Palmen von sanftem Tau überzogen, blies der kaiserliche
Trompeter zum Antrittsverlesen. Es wurde der Grösse nach in Einerreihe
eingestanden. An einem kleinen zusammenlegbaren Tischchen sass der Amtsschreiber
und tat seine Pflicht. Zu seiner Linken stand ein Edler Wilder und wedelte anmutig mit einem Palmblatt. Zu seiner
Rechten hielt Schütze Schmitz den Vorderlader im Anschlag.
Da man den
Einheimischen keine allzu komplizierten Namen zutraute, einigte man sich auf
eine Auswahl einfacher, möglichst einsilbiger und einprägsamer Namen. Zur
Auswahl standen beispielsweise Otto, Fritz und Franz. Je nach Körpergrosse und
Aussehen wurden diese Namen ehrlich und redlich unter den Anwesenden verteilt.
Und so kam es, dass
unser Chief vom kaiserlichen Amtsschreiber zum Otto geschlagen wurde. Aus
Solidarität zu Schütze Schmitz bat er gleich auch noch um einen neuen Vornamen.
Er wurde erhört und auf den schönen Namen Fritz getauft.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.