Freitag, Oktober 24, 2014

Wer kork denn da?

Jedem Weinliebhaber ist es wohl schon so ergangen: Der Kellner hat eine Flasche geöffnet und bittet den Gast, den Wein zu degustieren. Schmeckt er wie er schmecken sollte, hat er Korkgeschmack oder stimmt sonst was nicht? Eine nicht immer einfache Angelegenheit!

Der Sommelier eines bekannten Restaurants hat mir folgende Geschichte erzählt: Sie handelt von einem durchaus erfolgreichen Unternehmer der eine Gruppe von Freunden regelmässig zum Essen einlädt. Er wollte sich nicht nur als Unternehmer, sondern auch als Gourmet und Connaisseur profilieren – sich einen Namen machen. Wie bei jedem Besuch gab er die erste Flasche Weisswein mit der Begründung "Der Wein korkt!" zurück. Nach dem ersten Schluck aus der neuen Flasche meinte er "Wunderbar. Wie schön, dass man auch im Dézaley den Barrique-Ausbau entdeckt hat. Ober! Einschenken!" Der Kellner schenkte die übrigen Gläser voll, der erfolgreiche Unternehmer brachte einen Toast aus, man prostete sich zu und trank. Der Wein aber hatte einen mordsmässigen Korkgeschmack, war, so der Sommelier, eigentlich untrinkbar. Diesen Korkgeschmack aber hatte der erfolgreiche Unternehmer zum Barrique-Aroma verklärt.

Wie aber erkennt man Korkgeschmack? Es gibt Menschen, die am Korken riechen nachdem sie ihn herausgezogen haben. Nützt gar nichts! Ich habe an fauligen Zapfen gerochen, der Wein war wunderbar. Ich habe an perfekten Zapfen gerochen, der Wein war untrinkbar. Ich habe Weine degustiert, die einen deutlichen Korkgeschmack auswiesen, nach einer halben Stunde war er weg. Der Höhepunkt: Ich degustiere einen Wein und deklariere ihn als wunderbar, nach ein paar Minuten schmeckt er nach Kork. Tja.

Probieren geht über studieren. Zum Beispiel an der Basler Weinmesse. Das Verb „korken“ sollte man jedoch nicht verwenden. Auch wenn der Ausdruck „er hat Zapfen“ sprachlich nicht korrekt ist: Zapfen bleibt Zapfen.

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Donnerstag, Oktober 16, 2014

Degustieren in Mailand

Wir waren zu einer Weindegustation in Mailand eingeladen. Der bekannte Winzer, Önologe und Wichtigtuer Dottore Ettore Strozzi di Napoli wollte uns seine neusten Weine kredenzen. Um uns Journalisten auch richtig auf den Anlass einzustimmen, wurden wir im edelsten Hotel der Stadt einquartiert.

Bereits die Ankunft vor dem ehrwürdigen Palazzo war denkwürdig. Ich stoppte den Wagen genau neben dem roten Teppich. Noch bevor ich den Motor abgestellt hatte, wurden wir von zwei Pagen in nordkoreanischen Generalsuniformen umzingelt. Der grössere, ich tippte auf Schuhgrösse 64, riss die Fahrertüre auf und salutierte. Der kleinere öffnete meiner Frau galant die Beifahrertüre und hauchte einen angedeuteten Handkuss. Ein Feldwebel hatte in der Zwischenzeit den Kofferraum geöffnet, stellte unser Gepäck auf einen vergoldeten Pollerwagen und brachte uns auf unser Zimmer.

Die Degustation fand in der Fechthalle eines altehrwürdigen Klubs, dem „Circolo delle Rose“, statt. Da gemäss den Statuten aus dem Jahre 1498 nur Männer Zutritt zu den heiligen Hallen hatten, stand Dottore Ettore Strozzi di Napoli vor einem ernsthaften Problem. Denn ich weigerte mich standhaft, meine Frau in irgendeinem Salon zwischenzulagern.

Es kam zu einem unblutigen Staatsstreich und der gesamte Klubvorstand trat zurück. Eine Militärjunta, zusammengesetzt aus einem pensionierten Offizier der Carabinieri, einem subalternen Mitarbeiter der Guardia di Finanza sowie dem früheren Hausmeister der benachbarten Postamtes übernahm das Territorium.

Es war gegen Mitternacht, als ich zusammen mit meiner Frau den Fechtsaal betrat. Sowohl die andern Gäste als auch der Gastgeber hatten sich längst wieder verabschiedet, der adlige Oberkellner schnarchte leise vor sich hin. Da wir ihn nicht wecken wollten, schlichen wir aus dem Haus und machten uns von dannen.

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Donnerstag, Oktober 09, 2014

Suser

Ein leuchtend gelbes Plakat verunstaltet die Eingangstüre zur Gaststube. „Suser past. im Stadion“. Was will man uns damit sagen? Was soll hier in welches Stadion passen? Dass es sich beim Gestalter dieser Affiche um eine Person mit akzentuierter Schreibschwäche handelt, ist unschwer zu erkennen.

Was ist eigentlich Suser? Um das Rätsel zu lösen, tauchen wir ab ins 16. Jahrhundert, bzw. ins Idiotikon, ins Schweizer Wörterbuch. Hier finden wir folgenden, durchaus allgemein gültigen Satz: „Suser ist der Saft nit grad der ersten zyt wyn, sunder zum ersten most, darnach suser, zuletst erst wyn.“ Sauser (Suser) ist also noch kein Wein, sondern aus Trauben gepresster Most, dessen alkoholische Gärung gerade begonnen hat. Sauser nennt man ihn, weil er im Glas – und manchmal auch in den Gedärmen – so schön „saust“. Man nennt ihn auch „Neuer Wein“, manchmal Rauscher (Südtirol), Sturm (Österreich), Bitzler (Pfalz) oder Bremser (Franken).
In alten Zeiten hatte man keine grosse Ahnung, wie denn der Alkohol in den Wein gelang. Man presste die Trauben und füllte den frischen Saft in ein Fass. Anschliessend betete man zu Bacchus (bei den alten Römern) oder Dionysos (wenn man Grieche war). Wollten unsere Vorfahren „Met“, den altgermanischen Honigwein herstellen, zog man höchstwahrscheinlich die gute alte Freya, Göttin der Fruchtbarkeit und der Liebe, die Schirmherrin des Ackers und der Feldfrüchte zu Rate.
Erst vor rund 150 Jahren brachte der Franzose Louis Pasteur Licht ins Dunkel der sausenden Säfte. Dank der von ihm entwickelten „Pasteurisierung“, der kurzzeitigen Erhitzung auf 100 Grad Celsius, gelang es, eine Gärung zu verhindern oder jederzeit zu stoppen. Man konnte ab sofort Sauser in einem bestimmten Stadium pasteurisieren, ihm das Leben entziehen. Somit ist pasteurisierter Sauser ein önologischer Kastrat, ist weder Fisch noch Vogel, ist nichts, gar nichts.








Samstag, Oktober 04, 2014

Im Ausgang

Der altherrschaftliche Bau trieft geradezu von helvetischer Geschichte. In seinen legendären Räumen wurden Regierungen gestürzt, Vögte in die Wüste geschickt und neue Staaten gegründet. Und auf der alten Sandsteintreppe zum heutigen Restaurant verlor manch dubioser Despot seinen Kopf und manchmal auch sein Leben. Und hier also, so stehts zumindest im Gourmetführer geschrieben, soll heute ein Mensch „mit viel Liebe marktfrisch kochen“. Mit seiner kreativen Küche und seinem Charme will er mich als Stammgast gewinnen und „mich am Zauber des Individuellen teilhaben lassen“ (!?). Er stelle mein Bedürfnis in den Mittelpunkt und biete Qualität ohne Wenn und Aber. Ich muss sogar davon ausgehen, dass ich nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes sondern in wirklich jeder Beziehung „König“ sein werde. Sogar etabliertes Mitglied einer Gilde sei er, dieser Charmebolzen. Noch ahnte ich nicht was dies zu bedeuten hatte und suchte mir in der Weinkarte einen Schoppen Wein aus. Verzaubert erklärte mir der designierte Königsmacher, dass dieses hehre Tröpfchen leider gerade ausgegangen sei. Obwohl ich natürlich wahnsinnig gerne gewusst hätte, wohin es denn ausgegangen sei, verzichtete ich auf eine Wortmeldung und wählte eine Alternative. Leider war auch sie bereits ausgegangen. Etwas irritiert deutete ich auf die Nummer drei, die sich aber bereits mit Nummer vier, fünf und sechs im Ausgang befand. Schön, dass man hier meine Bedürfnisse sofort erkannt hat. Ich wählte ebenfalls den Ausgang.

Ich erwarte in keinem Restaurant der Welt eine Weinkarte mit Hunderten von Provenienzen. Ich habe auch kein Problem damit, wenn einmal ein Wein nicht vorrätig sein sollte. Wenn jedoch die Hälfte aller angebotenen Flaschen nicht verfügbar ist, dann ist dies unprofessionell und gastfeindlich. Solchen Wirten bleibt nur der Weg aller Flaschen: den Abgang durch den Ausgang.




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