Samstag, Oktober 04, 2014

Im Ausgang

Der altherrschaftliche Bau trieft geradezu von helvetischer Geschichte. In seinen legendären Räumen wurden Regierungen gestürzt, Vögte in die Wüste geschickt und neue Staaten gegründet. Und auf der alten Sandsteintreppe zum heutigen Restaurant verlor manch dubioser Despot seinen Kopf und manchmal auch sein Leben. Und hier also, so stehts zumindest im Gourmetführer geschrieben, soll heute ein Mensch „mit viel Liebe marktfrisch kochen“. Mit seiner kreativen Küche und seinem Charme will er mich als Stammgast gewinnen und „mich am Zauber des Individuellen teilhaben lassen“ (!?). Er stelle mein Bedürfnis in den Mittelpunkt und biete Qualität ohne Wenn und Aber. Ich muss sogar davon ausgehen, dass ich nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes sondern in wirklich jeder Beziehung „König“ sein werde. Sogar etabliertes Mitglied einer Gilde sei er, dieser Charmebolzen. Noch ahnte ich nicht was dies zu bedeuten hatte und suchte mir in der Weinkarte einen Schoppen Wein aus. Verzaubert erklärte mir der designierte Königsmacher, dass dieses hehre Tröpfchen leider gerade ausgegangen sei. Obwohl ich natürlich wahnsinnig gerne gewusst hätte, wohin es denn ausgegangen sei, verzichtete ich auf eine Wortmeldung und wählte eine Alternative. Leider war auch sie bereits ausgegangen. Etwas irritiert deutete ich auf die Nummer drei, die sich aber bereits mit Nummer vier, fünf und sechs im Ausgang befand. Schön, dass man hier meine Bedürfnisse sofort erkannt hat. Ich wählte ebenfalls den Ausgang.

Ich erwarte in keinem Restaurant der Welt eine Weinkarte mit Hunderten von Provenienzen. Ich habe auch kein Problem damit, wenn einmal ein Wein nicht vorrätig sein sollte. Wenn jedoch die Hälfte aller angebotenen Flaschen nicht verfügbar ist, dann ist dies unprofessionell und gastfeindlich. Solchen Wirten bleibt nur der Weg aller Flaschen: den Abgang durch den Ausgang.




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