Donnerstag, April 03, 2014

Erntedank

Basel ist wohl die einzige Stadt in der Schweiz in welcher der Frühling auch gleichzeitig Herbst ist. Es wird nämlich nicht nur angesät sondern gleichzeitig auch heftig geerntet. Das Erntedankfest heisst Baselworld.
Das Glitzern der edlen Steine, das Funkeln teurer Uhren und das gehäufte Auftreten einer internationalen Kundschaft mit scheinbar unerschöpflichen Spesenbudgets wirkte auch dieses Jahr höchst ansteckend und führt zu seltsamen Auswüchsen. Liebevolle Hoteliers vermieteten ihre Lingerie als Suite mitleidsvoll an indische Goldhändler. Sogar auf ihre eigenen Wohnungen verzichteten sie grosszügig und überliessen sie Goldgräbern aus Südafrika. Die leer stehenden Personalzimmer – für die eigenen Mitarbeiter doch etwas zu dürftig – wurden meistbietend armen, wohnsitzlosen Diamantenhändlern aus New York vermietet.

Aber auch Restaurants liessen es spriessen. Damit die armen Uhrmacher ihre Budgets voll ausschöpfen konnten, wurden die Preise liebevoll erhöht. Mein Lieblingswirt hat sein diesjähriges Erntedankfest um eine neue Variante erweitert. Da seine Preise bereits vor der Messe bedenklich hoch waren, hat er schlicht und einfach die Portionen verkleinert. Die „Insalata caprese“ (Fr. 19.50) schrumpfte er mittels gastronomischer Telekinese von ursprünglich je vier auf gerade noch je zwei (2!) hauchdünne Scheiben Mozzarella und Tomaten (immer noch Fr. 19.50). Da mein Freund Max seine Kontaktlinsen zu Hause vergessen hatte, konnte er das Salätchen nicht erkennen und stocherte mit seiner, zum Blindenstock umfunktionierten Gabel, lustlos vor sich hin. Ich erbarmte mich seiner und überliess ihm meine Lesebrille. Wortlos ergriff er die beiden Käsescheiben, klebte sie auf die Brille und griff zur Zeitung. Noch heute morgen behauptete er, er hätte die dicke BAZ durch den dünnen Käse lesen können, wenn ihn nicht der Oberkellner aufgefordert hätte, das Lokal unverzüglich zu verlassen.

Alle Angaben zu meinen Büchern finden Sie hier: www.gsellschreibt.blogspot.com




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.