Donnerstag, Mai 22, 2014

Risotto

Wir sind zu Besuch in einem kleinen Winzerdorf im Oltrepò Pavese, einem fruchtbaren Weinbaugebiet in der südlichen Lombardei. In grossen Fässern lagern sprudelnde Bonardas, fruchtige Barberas, duftige Moscati. Wilde Spargeln säumen einsame Wege; auf abgelegenen Höfen werden Käse hergestellt, die zu den besten der Welt gehören. Varzi, das Dorf hinter den sieben Hügeln, gibt einem grobkörnigen Salami seinen Namen. Und in der nahen Po-Ebene wächst einzigartiger Carnaroli-Reis.

Wir sitzen zusammen mit der Winzerfamilie im Schatten eines Kastanienbaumes und geniessen die letzten Sonnenstrahlen. Grossmutter hantiert in der Küche mit ihren Töpfen,
als ob es das nahe Kirchengeläut zu übertönen gelte; ein Topf voller Risotto soll die hungrigen Mäuler stopfen.
Die Sekretärin bringt einen Stapel Dokumente zur Durchsicht. Giovanni erstarrt. „Sind sie wahnsinnig, keine Mahnung! Der Cavaliere bezahlt doch keine Rechnungen! Es ist uns Ehre genug, dass er unsern Bonarda süffelt!“
Es ist allgemein bekannt, dass die Zahlungsmoral in Italien jeder Beschreibung spottet. Aber dass auch Ministerpräsidenten ihre Rechnungen nicht bezahlen, war für mich neu. Und ich verstand plötzlich unsere südlichen Nachbarn, dass sie jeden Morgen aufstanden mit nichts anderem im Sinn, als ihr italienisches Elend zu vergessen. Miguel Cervantes, Schöpfer des unvergesslichen Don Quixote und für einige Jahre in Rom zuhause, hat es wohl richtig erkannt: „Elend wird vergessen, gibts nur was zu essen.“

Und deshalb kehren wir zurück in die Küche. Grossmutter interessiert sich nicht für Politik und hat die Zwiebeln im Olivenöl angedünstet, den Reis dazu gegeben, und, sobald er glasig wurde, mit Rotwein abgelöscht. Anschliessend hat sie Hühnerbouillon dazugeben, weiter gerührt, noch mehr Bouillon beigegeben, weitergerührt. Und irgendwann war er al dente, noch leicht körnig, gut im Biss. Und alles Elend war vergessen.


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