Wir sind
zu Besuch in einem kleinen Winzerdorf im Oltrepò Pavese, einem
fruchtbaren Weinbaugebiet in der südlichen Lombardei. In grossen
Fässern lagern sprudelnde Bonardas, fruchtige Barberas, duftige
Moscati. Wilde Spargeln säumen einsame Wege; auf abgelegenen Höfen
werden Käse hergestellt, die zu den besten der Welt gehören. Varzi,
das Dorf hinter den sieben Hügeln, gibt einem grobkörnigen Salami
seinen Namen. Und in der nahen Po-Ebene wächst einzigartiger
Carnaroli-Reis.
Wir
sitzen zusammen mit der Winzerfamilie im Schatten eines
Kastanienbaumes und geniessen die letzten Sonnenstrahlen. Grossmutter
hantiert in der Küche mit ihren Töpfen,
als ob
es das nahe Kirchengeläut zu übertönen gelte; ein Topf voller
Risotto soll die hungrigen Mäuler stopfen.
Die
Sekretärin bringt einen Stapel Dokumente zur Durchsicht. Giovanni
erstarrt. „Sind sie wahnsinnig, keine Mahnung! Der Cavaliere
bezahlt doch keine Rechnungen! Es ist uns Ehre genug, dass er unsern
Bonarda süffelt!“
Es ist
allgemein bekannt, dass die Zahlungsmoral in Italien jeder
Beschreibung spottet. Aber dass auch Ministerpräsidenten ihre
Rechnungen nicht bezahlen, war für mich neu. Und ich verstand
plötzlich unsere südlichen Nachbarn, dass sie jeden Morgen
aufstanden mit nichts anderem im Sinn, als ihr italienisches Elend zu
vergessen. Miguel Cervantes, Schöpfer des unvergesslichen Don
Quixote und für einige Jahre in Rom zuhause, hat es wohl richtig
erkannt: „Elend wird vergessen, gibts nur was zu essen.“
Und
deshalb kehren wir zurück in die Küche. Grossmutter interessiert
sich nicht für Politik und hat die Zwiebeln im Olivenöl
angedünstet, den Reis dazu gegeben, und, sobald er glasig wurde, mit
Rotwein abgelöscht. Anschliessend hat sie Hühnerbouillon dazugeben,
weiter gerührt, noch mehr Bouillon beigegeben, weitergerührt. Und
irgendwann war er al dente, noch leicht körnig, gut im Biss. Und
alles Elend war vergessen.
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