Donnerstag, Juli 31, 2014

Hurni gibt seinen Senf dazu

Hurni hat mir letzthin ungefragt erklärt, dass die gesalzenen Erdnüsse auf der Bartheke unhygienischer seien als mancher WC-Deckel. Hurni mag zwar gescheit sein und Recht haben. Aber von Senftuben hat er keine Ahnung.
Als Liebhaber deftiger Gerichte begegnen mir solche Tuben immer wieder. In einigen Restaurants kann man aufgrund ihres Äusseren durchaus auf die allgemeine Hygiene des Betriebes schliessen. Was sich unter den Deckeln in Tagen, Wochen oder Monaten angesammelt hat ist meistens schlicht und ergreifend saumässig. Gerne würde ich den Zustand der Tuben präziser beschreiben. Aber diese Zeitung legt Wert auf einen gewissen Stil. Machen sie deshalb bei ihrem nächsten Restaurantbesuch die Probe aufs Exempel und öffnen sie mal eine Tube!
Ob auf dem Rütli, am Rheinufer oder auf dem Bruderholz: Am morgigen Nationalfeiertag werden wiederum unzählige Bratwürste ihr kurzes Leben lassen. Und obwohl diese ohne Senf genossen werden sollten, werden manche Politiker ihren persönlichen Senf dazugeben. Dabei sollten sie jedoch darauf achten, nicht plötzlich als arme Würstchen da zu stehen. Denn, wo Würstchen regieren, wird der Senf verboten.
Noch weiss ich nicht, wo ich den Abend verbringen werde. Vorsichtshalber habe ich deshalb ein Schlechtwetterprogramm geplant. Ich beabsichtige die 1.August-Feiern nicht mehr wirklich und in der freien Natur, sondern nur noch scheinbar und vor dem Laptop zu zelebrieren. Vielleicht hole ich mir den alten Gessler auf die Festplatte, verpasse ihm einen neuen Hut und lasse den Walterli den Bundesbrief per Quickmovie aufsagen. Den Funken gibts via Livecam aus Ammel, das Feuerwerk via Satellit aus der Ukraine.

Damit es trotzdem ein wenig nach 1. August riecht, werde ich am Bildschirm einen Lampion befestigen und meine obligate Zigarre mit einem bengalischen Zündholz entflammen.

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Sonntag, Juli 27, 2014

Im Wursthimmel

Ziellos bin ich unterwegs im Emmental. Ich bin vor dem Grauen dieser Tage aufs friedliche Land geflohen. Ich höre mir keine Nachrichtensendungen mehr an, den Fernseher habe ich schon seit Tagen nicht mehr eingeschaltet.

Das kleine Gasthaus liegt irgendwo zwischen Lützelflüh und Langnau, sein tiefgezogenes Walmdach verheisst Geborgenheit, der Geranienschmuck stimmt versöhnlich und ich stelle mein Auto auf den Parkplatz hinter dem Haus. Von der nahen Weide grunzen gefällige Schweine.
Im Nebengebäude befindet sich eine Metzgerei. Neugierig werfe ich einen Blick in den Verkaufsraum und erstarre. Unter einem Himmelszelt voller Würste entdecke ich IHN. Ihn, den ich bereits ausgestorben glaubte, so wie das doppelt gehörnte Murmeltier oder die Moosgrundel. So muss es Gustl B. ergangen sein, als er vor wenigen Jahren die vermeintlich ausgestorbene Bayrische Kurzohrmaus wiederentdeckte!
Ich betrete das Paradies und deute wortlos auf IHN. Vorsichtig pflückt ihn die Metzgersfrau vom Wursthimmel und stemmt den prächtigen Beinschinken auf ein Schneidebrett. Von Hand schneidet sie sorgfältig Tranche um Tranche, der Duft ist himmlisch. „Darfs es bitzi meh sii vom Hamme?“ Jaaaa! Viel mehr! Denn seit vielen Jahren habe ich keinen echten, ganzen, gekochten Beinschinken mehr gesehen oder davon gegessen.
Ich denke an Hurni mit seinem lächerlich teuren, spanischen Schinken von Schweinen der Rasse Pata negra, das Kilo zu 150.-- Franken. Als er letzte Woche wiedermal die Schweizer Sauen durch den Dreck ziehen wollte, entgegnete ich verärgert: „Mein lieber Hurni, Würstchen sollten nie ein Schwein eine Sau nennen!“

Natürlich sagte ich ihm nicht, dass ich diesen Spruch beim österreichischen Satiriker Karl Kraus entliehen hatte.
Und ich werde ihm auch nicht sagen, wo es den besten Hamme zum Preis von 30.-- Franken das Kilo zu kaufen gibt. Nein. Ihm nicht.


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Sonntag, Juli 20, 2014

Primitivo on the Rocks

Endlich Sommer! Ich schwitze ungewohnt und trotzdem gemütlich vor mich hin und freue mich auf einen angenehmen Abend in der Gartenwirtschaft, auf einen Abend ganz ohne Fussball. Das Resultat der WM wurde übrigens bereits 1990 vom legendären englischen Stürmer Gary Lineker vorausgesagt: „Fussball ist ein Spiel von 22 Leuten, die rumlaufen, den Ball spielen, und einem Schiedsrichter, der eine Reihe dummer Fehler macht, und am Ende gewinnt immer Deutschland.“

Ich freue mich auch auf ein kühles Glas Weisswein. Leider aber ist die Vorfreude nicht nur die schönste Freude sondern manchmal auch völlig deplatziert.

Denn Sommer ist dann, wenn das Bier in warme Gläser gezapft wird, wenn das helle Blonde wärmer ist als der unterkühlte Charme der blondierten Servicemitarbeiterin. Sommer ist auch dann, wenn ich die Flasche Weisswein, ohne Weinkühler serviert, in 10 Minuten austrinken muss. Und Sommer ist dann, wenn der Rotwein wärmer ist als die Spaghetti auf dem kalten Teller. Wenn der Rosé so lauwarm ist wie die verwelkten Salatblätter auf dem warmen Teller. Sommer ist, wenn Kellner und Kühlschränke überfordert sind, der einzige Weinkühler bereits benutzt wird und die Eismaschine defekt ist. Da schreien alle nach Sommer, und wenn er endlich da ist, merkt es keiner !

Frustriert sitze ich vor meinem temperierten Zweier und entschliesse mich, nach reichlicher Abwägung der verfügbaren Waffen, zur Guerilla-Taktik. Ich robbe zu Tisch 4 und fische mir heimlich ein paar Eiswürfel aus Nachbars Weinkühler. Geschickt verberge ich das Diebesgut und lasse es unbemerkt in mein Glas gleiten. Der Wein schäumt zwar ein wenig und das Eis klirrt bedrohlich. Aber immerhin ist er jetzt trinkbar, der Primitivo. Der ist zwar nicht weiss, sondern tiefrot. Aber Sommer ist auch, wenn mich die Wanderkellner aus dem Hindukusch nicht verstehen.
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Donnerstag, Juli 10, 2014

Hungrig in Verona

11.Juli 1982 21.00 Uhr. In der Arena di Verona beginnt in wenigen Minuten die Ouverture zur Oper „Turandot“ von Giacomo Puccini. Mein Freund Umberto, sowie weitere 22'000 Zuschauer, freuen sich bereits auf die berühmte Arie des Prinzen Kalaf im dritten Akt: „Nessun dorma! Tu pure, o Pricipessa nella sua fredda stanza.....“ (Herrlich übersetzt von Google: „Jetzt wird nicht geschlafen, auch du nicht, holde Prinzessin im Kühlraum.....“) Umberto summt leise die bekannte Melodie und freut sich auf die Spaghetti bei Zia Maria. Niemand macht den besseren Sugo, ausser vielleicht Mamma.
Im Ristorante „Borgo“, nur wenige Schritte von der Arena, freut sich Zia Maria auf einen umsatzträchtigen Abend, reibt sich ihre schwieligen Hände und überlegt sich eben, ob sie noch einen Zuber Spaghetti köcheln soll.
1'300 Kilometer südwestlich von Verona: 90'000 Zuschauer freuen sich im Bernabéu Stadion in Madrid auf die zweite Halbzeit des WM-Endspiels Italien gegen Deutschland. Noch steht es 0:0. Der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt langweilt sich, während der italienische Staatspräsident Sandro Pertini, so eine Randnotiz des deutschen Goethe-Institutes „wie ein Gummiball auf seinem Platz herumhüpft.“
11. Juli 1982 21.45 Uhr. Italien gewinnt 3:1 gegen Deutschland und wird Weltmeister
In Verona ist das Orchester nach dem ersten Akt nicht mehr aufgetaucht und blieb verschwunden. Gegen das einsetzende Hupkonzert wären auch Pauken und Trompeten machtlos gewesen. Auch Zia Maria musste sich dem Fussball ergeben. Nachdem ihre Kellner und Köche vom Erdboden verschluckt worden waren, vergoss sie ein Tränchen und machte ihren Laden dicht. Derweil Umberto allein und hungrig auf der alten Stadtmauer sass und die Sterne zählte.
Seit diesem Datum gibt es an Tagen, an welchen die italienische Nationalmannschaft spielt, keine Opernaufführungen mehr in Verona. „Guardi le stelle, che tremano d'amore e esperanza....“.



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Donnerstag, Juli 03, 2014

Der Serviettenfalter

Es gibt den Hauhechel-Bläuling, den Hartheu-Spanner und den gemeinen Serviettenfalter. Bei letzterem handelt es sich nicht um einen Schmetterling sondern um eine von Tante Marthas Bosheiten.
Tante Martha führt ein durchaus nobles Haus, lebt ein vornehmes Leben und beabsichtigt, ihre älteste Tochter gelegentlich zu verheiraten. So lädt sie immer wieder junge Männer in ihren Salon ein und lässt die Köchin Speisen und Getränke auffahren bis sich die Balken biegen. Leckereien aus der ganzen Welt werden aufgetragen, sie lässt sich nicht lumpen. Während die Anwärter essen, beobachtet sie Tante Martha genauestens.
Besonderen Wert legt sie dabei auf den richtigen Umgang mit der Serviette. Natürlich handelt es sich dabei nicht um ordinäre Papierservietten sondern um edlen Damast, bestickt mit den Initialen des Hauses. Obwohl es in Tante Marthas Kreisen üblich ist, die Servietten zu kunstvollen Schwänen oder anderem Getier zu falten, hatte sie ihre Gouvernante angewiesen, auf solchen Firlefanz zu verzichten. Deren letzter „Schwan“ hatte eher einem brüllenden Ameisenlöwen als einem Federvieh geglichen.
Am Montag war – und dies trotz oder wegen der WM – der junge Tschümpperli zum Bewerbungsgespräch vorgeladen. Er machte soweit einen anständigen Eindruck, hatte gute Tischmanieren und Martha setzte ihn ganz oben auf ihre Kandidatenliste. Da aber passierte das Malheur: Kaum hatte er fertig gegessen, griff er zur Serviette und putzte sich damit seine Brille. Anschliessend faltete er das Mundtuch wieder sorgfältig zusammen und legte es auf den Tisch. NEIN und nochmals NEIN! So einer kam ihr nicht ins Haus und schon gar nicht an ihr Vermögen! Dachte dieser ungehobelte Banause etwa, sie würde die Servietten aus Spargründen morgen wieder auftischen?

Martha strich den Serviettenfalter von ihrer Liste, stand auf und empfahl sich.

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