Interessierten mich auf
meinen frühen Reisen nach Italien vor allem die Winzer und ihre Weine, kamen
über die Jahre neue Sachgebiete dazu. Ich begann mich mit der lokalen
Geschichte, aber auch mit Geschichten und Sagen vertraut zu machen. In Italien
stösst man bekanntlich hinter jeder Ruine, um nicht zu sagen hinter jedem Olivenbaum,
auf «Geschichte». Das ist soweit ganz schön. Ausser man ist Besitzer eines
Hügels und möchte dort einen neuen Weinkeller bauen. Natürliche ahnt man, dass
unter einer dünnen Schicht Humus allerhand Wertvolles oder zumindest Kurioses
verborgen sein könnte.
Nehmen wir die fiktive
Ortschaft Paveggio in den Hügeln des Oltrepò Pavese. Die ersten Bewohner
waren wohl Gallier. Eines Tages waren die Römer da und fochten ganz in der Nähe
wilde Schlachten. Etwas später soll ein gewisser Hannibal vorbeigezogen sein.
Keine Ahnung ob mit oder ohne Elefanten; auch diese Wandergruppe liess jede
Menge Abfälle in und um Paveggio liegen.
Das war Littering vom Feinsten!
Das Dorf war im 5.
Jahrhundert das letzte Bollwerk der Ostgoten gegen die Oströmer. Nach der
Eroberung durch die Langobarden, wurde Paveggio
zu einem wichtigen Handelsplatz ausgebaut. Zwei Jahrhunderte später war es
Karl der Grosse, der unser Dorf einnahm. Wieder etwas später sah man Heinrich
II., Otto III. und Konrad I. vor den Toren stehen. Anfangs des 19. Jahrhunderts
schlugen die Truppen Napoleons die Österreicher. Fünfzig Jahre später wurden letztere
vor den Toren der kleinen Stadt von den Franzosen, verstärkt mit Soldaten aus
dem Piemont, geschlagen. Wie sie sehen: Da blieb einiges liegen in der Gegend um
Paveggio.
Und so hat der Bauherr des
Weinkellers auf dem kleinen Hügel in der Nähe von Paveggio den Aushub heimlich und in der Nacht vorangetrieben.
Sollte man zufälligerweise und
höchstwahrscheinlich auf altes Zeugs treffen, könnte man die Sache kurz vor
Anbruch des Tages von einem Bulldozer wieder bedecken lassen. Denn auch in
Italien ist der Denkmalschutz unerbittlich und kann einen Bauherrn kurzerhand
in den Ruin treiben.
Als ich neben Daniele
stand und zuschaute, wie der Schaufelbagger auch noch die letzten Tonscherben
wieder eingrub, erzählte er mir die Geschichte von Canossa.
Heinrich IV. aus dem
Geschlecht der Salier war römischer Kaiser von 1084 bis 1105, und er hatte, wie
man heute wohl sagen würde, Stress mit Papst Gregor VII. Dieser hatte ihn
nämlich kurzerhand wegen ein paar Lappalien exkommuniziert, das heisst zur
Kirche rausgeworfen.
Man vereinbarte ein
klärendes Gespräch und traf sich auf halben Weg bei Mathilde von Canossa. Nicht
dass sich diese um ein solches Treffen bemüht hätte. Aber wer hatte schon die
Möglichkeit, gleichzeitig Papst und Kaiser in den eigenen Gemächern zu
beherbergen!
Zudem hatte man von ihrer
Burg, auf einem Hügel in der Nähe des heutige Reggio Emilia gelegen, einen guten Überblick über die Po-Ebene.
Im Winter 1076/1077 soll
es gewesen sein, als Mathilde auf dem steilen Weg zur Burg einen bärtigen
Wanderer entdeckte. Es war eisig-kalt, der Wind heulte grausig durch die Hügel.
«Herr Papst, ich glaube,
der Heiri ist im Anmarsch! Solle’ mir ihn
reinlasse’?», fragte Mathilde.
«Nein. Man lasse den Heiri
noch warten.»
Und so liess man den
Kaiser drei Tage warten. Kurz bevor er erfroren war, das Protokoll hatte
nämlich nur ein einfaches Büssergewand vorgesehen, rief man ihn in die Burg.
Keuchend und mit blauen Händen zog er sich die steile Treppe hinauf.
Nach einigem Zögern
entschloss sich Gregor, das Tor zu öffnen. Heinrich warf sich zu Boden, Gregor
sprach seinen Segen, erlöste Heinrich vom Bann und nahm den reuigen Sünder
wieder in die Kirche auf: Die Sage vom «Gang nach Canossa» war geboren.
Ob man während des
ungemütlichen Beisammenseins ein Glas Lambrusco, von diesem herrlich-süssen,
roten Prickler gesüffelt hat, ist nicht überliefert. Vielleicht hatte Heiri
diesen Wein noch aus seinen letzten Campingferien in Rimini in Erinnerung und
vorsorglich ein paar Flaschen Rheinwein mitgenommen.
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