Hanspeter Gsell, Verlag BoD
Ich gebe es gerne zu: In jungen Jahren war mir der Coiffeur-Besuch
immer ein Graus. Vielleicht lag es daran, dass ich mir auf dem schwarzen Stuhl
immer die neusten Gruselgeschichten aus dem Koreakrieg anhören musste. Vater
Stähli war ein begnadeter Erzähler und Schauspieler. Wenn nötig, konnte er den
Angriff auf einen Nordkoreaner auch lebensecht nachstellen. Dazu warf er sich
hinter die kleine Kommode mit den farbigen Shampoo-Flaschen, schaute durch das
imaginäre Visier seiner Schere und feuerte durch das Schaufenster auf die
Bäckertochter, die eben ihr Gesicht an der Scheibe platt drückte.
Mein nächster prägender Kontakt mit einem Coiffeur
erfolgte in den 70er-Jahren in der Stadt Basel. Er war klein, grau und
schwatzhaft; sein Kaffee war miserabel. Nach kurzer Inspektion meiner
Lockenpracht führte er seine Schere Richtung Ohr und entfernte mir gekonnt
einen Teil meines rechten Ohrläppchens. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass
er die blutende Wunde fachmännisch versorgte. Da der besagte Schnitter nicht
mehr unter uns weilt, werde ich seinen Namen natürlich nicht preisgeben.
Obwohl
ich dem Täter keinen Vorsatz nachweisen konnte, wechselte ich trotzdem zu einem anderen
Coiffeur. Dieser war jedoch offensichtlich von seinem Kollegen informiert
worden. Nach einem schlechten Kaffee und wenigen Schnitten versuchte er, mich
mittels eines gezielten Stiches in meinen Hals zu ermorden. Das Vorhaben
misslang kläglich.
Seither ist natürlich alles anders geworden. Ich gehe
wieder gerne zum Coiffeur und geniesse die entspannenden Momente, eine kleine
Pause in der Ruhelosigkeit eines langen Tages. Niemand erzählt mir Kriegsgeschichten
und auch die Rasierer dröhnen nicht mehr wie alte Rasenmäher. Ich lese
gescheite Zeitungen und interessante Magazine; manchmal versinke ich in einen
leichten Schlaf. Dann träume ich vom Duft einer wunderbaren Zigarre und der
Prosecco prickelt erfrischend in meinem Glas. Wenn ich dann aufwache, zerplatzt der
Traum und ich erhalte zum Abschied ein Sugus.
Seit es im Quartier
so viele Coiffeure gibt, ist der Kaffeeumsatz im Café Schüümli massiv
zurückgegangen. Das liess man sich natürlich nicht gefallen, und so kann man
sich jetzt im Schüümli zum Macchiato gratis rasieren lassen.
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Hanspeter Gsell
Immer wieder Fernweh - Aus dem Logbuch eines Inselsammlers - erschienen im Verlag BoD
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