Samstag, Januar 30, 2016

Der Gast auf 31 F - Die Hauptspeise

Miami, 8.11.2015. Die Swiss-Maschine, Kurs LX065 startete mit leichter Verspätung. Weder hatte mich der Stromausfall auf dem Flughafen, noch ein medizinischer Notfall einige Reihen hinter mir beunruhigt („Hilfe, Hilfe, er stirbt!“). Der herbeigeeilte Purser verwies auf Komplikationen bei Todesfällen auf amerikanischen Flughäfen. Der zur Begutachtung der Sachlage zugezogene Hilfselektriker stimmte ihm zu und verstaute Defibrillator und Sauerstoff wieder an dem dafür vorgesehenen Ort. Ob der Mann wohl überlebt hat?
Ich sass auf Sitz 31E in der mittleren Reihe. Links hatte ein stark schwitzender Mann mittleren Alters und erheblicher Körpergrösse Platz genommen. Gottseidank war der Sitz rechts neben mir frei geblieben. Auf der Gangseite rechts hatte sich eine spanisch sprechende Dame mit russischem Reisepass niedergelassen. Mit ihr könnte ich auf den nächsten acht Stunden sicher den leeren Sitz teilen.

Während des Starts fiel ich in einen leichten Schlaf und erwachte erst wieder, als das Flugzeug seine Reiseflughöhe erreicht hatte. Eben wollte ich meine Beine in die Richtung des freigebliebenen Platzes strecken, als ich gewaltig erschrak: Der Platz war nicht frei! Allerdings konnte ich im schummrigen Kabinenlicht nicht erkennen, was sich dort niedergelassen hatte, es schien sich nicht um ein menschliches Wesen zu handeln.

ES antwortete nicht, als ich ES ansprach. War es etwa E.T. auf der Rückreise in seine interstellare Heimat oder hatte sich in Miami heimlich ein Vieh an Bord geschlichen? Ob es Alligatoren mit Fell gab? Handelte es sich etwa um einen tasmanischen Teufel? Fliegt Swiss auch nach Tasmanien? Hatte ich ein Bier zu viel getrunken? Ich schloss die Augen und ging in mich. Als ich genug weit gegangen war, nahm ich den restlichen Mut zusammen, öffnete wieder die Augen und starrte ES an: Ich schaute dem Teufel direkt in die Augen! Diese schienen blutunterlaufen zu sein, das Vieh erwiderte meinen Blick gänzlich regungslos. Nur die Pupillen irrlichterten zitternd und glänzten im matten Licht. Genauso hatte mich Kaderli angeschaut, als ich ihn letztens völlig besoffen und bekifft angetroffen hatte. Kaderli aber, so erinnerte ich mich, hatte kein Fell und war deutlich grösser als dieses Etwas auf Sitz 31F. Ich sprach ES an:

„Hallo, auch auf dem Weg nach Zürich? Warum hast du den Pelzmantel nicht ausgezogen? Kalt, hä?“

31F antwortete nicht und ich wurde etwas mutiger.

„Was hast du geraucht und wo bekommt man das Zeugs? Muss ja arg stark sein!“

Das Ding hatte nicht die Absicht mir zu antworten, erhob sich, machte einen Buckel, verdrehte die Augen und kotzte mich an. ES war ein schwarzer, vollgedröhnter Kater gewaltigen Ausmasses. Nur der Sitzabstand von 72 cm rettete mich davor, die volle Ladung abzukommen. Der Gestank jedoch, Reinhard Mai hatte es so ähnlich bereits früher besungen, war tatsächlich grenzenlos. Auch über den Wolken.

Die Dame mit russischem Pass auf Sitz 31G sagte nichts und packte das Vieh in den vorgeschriebenen Transportbehälter. Die Flugbegleiterinnen welche das Spektakel beobachtet hatten, sagten auch nichts.

Und so beschloss auch ich, nichts zu sagen.

Bis heute.

Denn diese Geschichte ist einfach zu schön, um nicht geschrieben zu werden.

 

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