Montag, Mai 18, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Hiva Oa - Ueber die Kunst

Während sich Jean-Louis, der arme, reiche Fischer und Urenkel des Dorfbäckers immer noch über seinen Urgrossvater ärgert, lustwandle ich im Gauguin-Museum von Atuona. Dort hängen mehr Bilder des Malers als anderswo auf der Welt. Leider aber keine Originale. Die müssen Sie sich schon in Basel ansehen.

Ich gebe es gerne zu, so etwas wie Kunstverständnis habe ich nicht. Deshalb werde ich auch kein Wort über Gauguins Werk verlieren. Nur vielleicht dies: Die Frauen in Polynesien sind in Wirklichkeit deutlich schöner, als er sie gemalt hat. Vielleicht war sein Blick durch die Syphilis doch schon ziemlich getrübt. Zu Gauguins Palmenhainen meinte meine Tante Martha schon vor Jahren, dass so eine wackere Blautanne mindestens so schön sei. Und Jahreszeiten habe es „dort unten“ ja auch keine.
„Aber diese Farben!“ entgegnete ich. „Nur Gauguin konnte die Farben der Südsee so gekonnt interpretieren!“
„Quatsch, mein Neffe Kevin, kann das auch. Und zwar ganz ohne Pinsel. Mit seinen Fingerfarben hat er ein prächtiges Bild mit Geranien gemalt.“
Aber eben, auch Tante Martha hatte kein Kunstverständnis.

Gleich hinter dem Gauguin-Museum befindet sich eine weitere Memorabilien-Ausstellung. Denn auch ein anderer berühmter Künstler hatte sich in Atuona ein Häuschen gebaut. Jacques Brel, belgischer Chansonnier hatte sich 1976 auf der Insel angesiedelt. Im Gegensatz zu seinem Malerkollegen war er jedoch äusserst beliebt. Mit seinem Flugzeug, einer zweimotorigen Twin Bonanza flog er Kranke nach Tahiti und machte sich auf den Inseln nützlich, etwa indem er die Post transportierte.

 
In der Abgeschiedenheit der Marquesas fand Brel noch einmal die Inspiration für neue Chansons, die um seinen Rückzugsort kreisten, aber auch immer wieder um den nahenden Tod. Und hier soll er auch das Lied „Une Île“ geschrieben haben:

„Voici qu’une île est en partance
Et qui sommeillait en nos yeux
Depuis les portes de l’enfance“

 
„Eine Insel die die Anker lichtet
Und die seit den Pforten der Kindheit
In unseren Augen schlummerte“

1978 kehrte er zu einer Tumorbehandlung nach Frankreich zurück wo er am 9. Oktober starb. Seine Leiche wurde nach Hiva Oa überführt und unweit vom Grab Gauguins beigesetzt. Im Gegensatz zu Gauguin liegt er aber wirklich dort. Ganz real und nicht nur virtuell.
Während ich das Museum verlasse, ertönt ein letztes Lied von Jacques Brel.

„Ne me quitte pas
Il faut oublier
Tout peut s’oublier
Qui s’enfuit déjà“

„Geh nicht fort von mir
und was war vergiss
wenn du kannst vergiss
die Vergangenheit“

Leider muss ich trotzdem gehen, mein lieber Jacques. Bis zum nächsten Mal……..

 

 

Sonntag, Mai 17, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Im Freudenhaus

Guten Morgen, herzlich willkommen auf dem Friedhof von Hiva Oa!

Auf dieser Insel liess sich der französische Maler Paul Gauguin im Herbst 1901 nieder nachdem er sich auf Tahiti zunehmend unwohl gefühlt hatte. Ein Unwohlsein, dass er vornehmlich sich selbst zuzuschreiben hatte. Einmal mehr war ihm das Geld ausgegangen, die Syphilis plagte ihn und seine 13jährige Geliebte war des 52jährigen überdrüssig geworden. Er legte sich mit Jedem an: Nachbarn, Politiker oder die Kirche, alle wurden sie von ihm aufs übelste beschimpft und beleidigt. Einen Selbstmordversuch mit Arsen überlebte er knapp, seine Herzprobleme machten ihm das Leben schwer.

Und so bestieg er mit den letzten Sous eine Schaluppe, die ihn am Strand von Atuona auf der Insel Hiva Oa absetzte. In kürzester Zeit hatte er sich eine Hütte zusammen gezimmert und sich dort mit einem 14jährigen Mädchen einquartiert. Natürlich war diese nicht seine Geliebte! Wer würde denn schon angesichts seines späteren Ruhms sowas aussprechen wollen! Nein – sie war seine Muse, sein Modell! Seine Hütte nannte er allerdings „Maison de Jouir“, was nichts anderes als „Freudenhaus“ bedeutet. Honi soit qui mal y pense - ein Schelm, wer Böses dabei denkt!


Auch auf Hiva Oa schaffte er es wiederum, sich überall unbeliebt zu machen. Mit missionarischem Übereifer setzte er sich für die Rechte und Interessen der einheimischen Bevölkerung ein und provozierte damit die Obrigkeit. Zwischendurch malte er seine Musen und steckte sie mit Syphilis an. Mit seinen Bildern und Zeichnungen bezahlte er die offenen Rechnungen in der Bäckerei. Die ständigen Auseinandersetzungen gipfelten in der Verurteilung zu einer Haft- und einer Geldstrafe. Gauguin war mittlerweile bettlägerig geworden und bekämpfte seine Schmerzen mit Morphin. Er starb 54-jährig am 8. Mai 1903 und wurde auf der Insel begraben. Und genau vor diesem Grab stehen wir nun, hier sollen seine Gebeine ruhen.

Tun sie aber nicht, man hat sie an einem unbekannten Ort auf der Insel verscharrt, das Grab ist leer. Sind Sie jetzt enttäuscht? Müssen Sie nicht, nur einer hat einen guten Grund dazu, er heisst Jean-Louis, ist Fischer in Atuona und Urenkel des Dorfbäckers. Dort hatte auch Gauguin seine frischen Baguettes gekauft und diese mangels Geld mit Bildern, Zeichnungen und Skizzen bezahlt. Grossvater hat sie artig gesammelt und an einem trockenen Ort aufbewahrt. Als er genügend gesammelt hatte, zündete er sie an und briet über dem Feuerchen eine Brotfrucht. Die Gauguins sollen wunderbar gebrannt haben…..

 

 

Dienstag, Mai 12, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Ua Huka

Ua Huka

Heute wird in unserer Kabine gehämmert und geschraubt, der Safe lässt sich nämlich seit gestern Abend nicht mehr öffnen. Die ersten Versuche, das elektronische Verriegelungssystem zu überlisten, schlagen fehl. Auch mit Hammer und Meissel ist ihm nicht beizukommen. Jetzt muss der Schiffsingenieur ran! Er begutachtet alles und beschliesst, den Safe nach Art der Panzerknacker aufzubohren. Nachdem auch noch der zweite Bohrer abgebrochen war, griff er zum Satellitentelefon und versuchte, die Herstellerfirma zu erreichen. Leider war diese in der Zwischenzeit nach China verkauft worden. Da der zuständige Chinese nur chinesisch konnte, unser Ingenieur aber nur französisch mit polynesischem Akzent sprach, verliefen auch diese Bemühungen im Sande.

Nun wollte er von uns wissen, was sich denn so alles im Safe befinde. Denn er habe sich entschlossen, den Tresor aufzuschweissen und es bestünde die Gefahr, dass der Inhalt in Brand geraten könne. Ich dachte an meinen Pass und die Tickets für die Weiterreise. Wäre es nicht wunderschön, gleich für immer hier zu bleiben? An weissen Stränden sitzen, die Füsse von den sanften Wellen des Stillen Ozeans streicheln zu lassen, sich an der Milch der Kokosnüsse und nicht an Kuhmilch zu laben, ab und zu unter Palmen eine Kolumne zu schreiben, nichts anderes als pure Lebenslust zu geniessen. Sollen die doch schweissen so viel sie wollen!

Die Unfähigkeit, mir all die schönen Namen der Inseln, Dörfer und Berge zu merken, haben mich gestern ganz schön in die Nesseln (solche gibt es hier allerdings nicht) setzen lassen. Denn noch sind wir nicht auf Hiva Oa sondern noch in Ua Huka.

Auf keiner anderen Insel habe ich die tropischen Düfte des Pazifiks so intensiv erlebt wie hier. Die vermeintlich zivilisierte Welt hat ja die natürlichen Düfte praktisch ausgerottet. Wiesen und Äcker riechen bestenfalls nach Dünger, Gülle oder Pestiziden. Unsere Brauereien müssen ihre wohlriechende Abluft aufgrund gesetzlicher Vorschriften reinigen. Wie gut roch es immer, wenn wir auf dem Weg in die Ostschweiz kurz vor Winterthur die Maggi-Fabrik passierten. Heute gibt es Einsprachen von Nachbarn gegen Bäckereien und Kaffeeröstereien, weil sie sich durch Geruchsimmissionen gestört fühlen. Und Richter, die solche Einsprachen mit unsinnigen Urteilen unterstützen. Solchen Richtern und all den netten Nachbarn sollte es untersagt werden, die Südsee und den Pazifik zu bereisen.

Wohlgerüche werden nicht mehr toleriert, sind nicht mehr populär, sind verboten. Die einzigen Gerüche, die noch diskutiert werden, heissen Gucci, Armani und Dior. Im Pazifik ist alles anders. Alles riecht. Einige der Gerüche sind tiefgründig, verführerisch und entzückend. Andere schockieren, sind abgründig, scheinen ausserhalb jeder Ordnung zu sein. Auch der Pazifik – das Meer, die See – riecht.: ein Geruch nach Iod, Algen, getrocknetem Salz; an den Ufern: nach fauliger Vegetation, tropischen Pflanzen, nach Muscheln, Krabben, Seegras, Schlamm.

Viele Inseln haben ihre ureigenen Duftmarken hinterlassen. Und so gab es früher Seeleute, die einzelne Insel mit Hilfe ihrer Nasen riechen und so bestimmen konnten. Dazu gehörte auch Tahiti, genauer gesagt die Meerenge zwischen Moorea und Tahiti. Zu gewissen Tageszeiten, wenn die Fallwinde durch die Täler Mooreas zum Meer drängten, vermischten sie sich mit dem reichen und überwältigenden Geruch von Vanille. Sandelholz war früher ein Signal für die Matrosen, dass sie demnächst in Waikiki an Land gehen konnten. Der ganze Bestand an diesen wohlriechenden Bäumen auf Hawaii wurde längst abgeholzt. Nun riecht Waikiki nach Ananas. Grund dafür ist die nahe Konservenfabrik welche Ananas in Dosen abfüllt.

Zurück nach Ua Huku. Trotz einiger Erfahrung als Sensoriker kann ich die Insel geruchlich nicht zuordnen. Ich gebe ihr trotzdem 100 von 100 möglichen Punkten, ich kenne keine andere Insel auf der Welt – als Inselsammler kenne ich davon eine ganze Menge – die derart wohl riecht.

Ich betupfe meinen Hals mit ein paar Tropfen Eau de Parfum, bestelle mir an der Schiffsbar Bier aus Tahiti und warte auf den Sonnenuntergang.

Gute Nacht, bis morgen. Wir werden uns morgen um 08.30 Uhr auf dem Friedhof von Hiva Oa wieder sehen. Bitte seien Sie pünktlich.

 

 

 

 

 

 

 

 

Montag, Mai 11, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Fatu Hiva

Fatu Hiva

Fatu Hiva ist die Insel der Superlativen: die Südlichste, die Insel mit den meisten Niederschlägen, die Üppigste, die Abgeschiedenste, die Authentischste. Ganz im Süden der Marquesas-Insel gelegen, besteht dieses Eiland aus zwei verschachtelten Vulkanen und Dutzenden von Buchten. Darunter befindet sich auch die Jungfrauenbucht, eine der wohl schönsten Flecken dieser Welt. Da ich beim Beschreiben von Landschaften einen deutlichen Hang zum Kitsch habe, versuche ich die Chose rezeptartig in den Griff zu bekommen: „Man nehme ein norwegisches Fjord, heize das Ganze auf 28 Grad auf und lasse rundherum Palmen und exotische Blumen fallen. Anschliessend setze man ein paar Hundert Pferde aus, stelle links und rechts riesige, phallusartige Felssäulen auf und fertig ist die Bucht der Jungfrauen.“

Ursprünglich hiess sie übrigens Bucht der Penisse. Dies passte den bigotten Missionaren natürlich nicht, sie änderten kurzerhand den Namen. Was diese Gesundbeter hier auf den Marquesas sonst noch angerichtet haben, geht auf keine Kuhhaut. Sie haben den Ureinwohnern so ziemlich alles genommen was deren Kultur repräsentierte. Ihre alten Götter wurden per Dekret abgeschafft und durch einen Neuen ersetzt. Kultstätten wurden zerstört, Tätowierungen verboten. Die alten Lieder durften nicht mehr gesungen werden, Choräle mussten her. Die freie Liebe wurde verboten, man durfte nicht mehr nackt durch die Wälder tanzen, Hemd und Hose, Jupe und Bluse mussten her. Bevor ich jetzt wieder in einen gottlosen Schreibrausch verfalle und sehr, sehr wütend werde, beende ich dieses Thema und empfehle Ihnen den Kauf meines Buches „Ikefang und Gutgenug – Geschichten aus der Südsee“, erschienen bei BOD.

Auch auf Fatu Hiva, wie auf allen andern Inseln in den Marquesas, gibt es Petroglyphen zu sehen, in Stein gehauene Abbildungen von Tieren, Symbolen und kleinen grünen Männchen. Grün deshalb, weil sie von Flechten überzogen sind. So wie die Petroglyphen waren auch die Tikis, steinerne Zeugnisse früherer Häuptlinge, immer wieder gut zur Begründung wilder Fantasien. Und deshalb war natürlich auch unser aller Erich von Däniken hier und hat erfolglos nach seinen UFO-Göttern gesucht. Auch der Norweger Thor Heyderdahl lebte über ein Jahr auf Fatu Hiva. Er war in den 50er-Jahren auf einem selbst gebastelten Floss, der Kontiki, von Peru nach Polynesien geblasen worden. Seine Reise hätte beweisen sollen, dass die Polynesier ursprünglich aus Südamerika stammten. Mit diesen Theorien – sie wurden inzwischen wissenschaftlich widerlegt – hat er sich auf der Insel ziemlich unbeliebt gemacht. Derart unbeliebt, dass er aus der Jungfrauenbucht vertrieben wurde.

 P.S. Auch heute wieder kein vollständig sichtbarer Sonnenuntergang. Vielleicht morgen.

 

 

 

 

Sonntag, Mai 10, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Ua Pou

Ua Pou

Willkommen auf der Insel Ua Pou! Steile Berge, grüner Dschungel, weisse Strände, blaues Meer, die gelben Blüten des Ylang-Ylang, die roten Blumen des Ginger: Alle Farben des Regenbogens findet man hier dicht gedrängt auf engstem Raum. Apropos Regenbogen: Von denen gibt es hier jede Menge zu sehen. Und als sich gerade wieder ein prächtiger Bogen über den Hügeln bildet, doziert Frau Schmitz aus Berlin, wir würden uns hier und jetzt auf einer Insel hinter dem Regenbogen befinden. Nein, entgegnet Jean-Louis aus Paris, Ua Pou liegt vor dem Regenbogen. Als sich dann auch noch ein Verschwörungstheoretiker meldet und behauptet, dies stimme alles nicht, die Welt sei immer noch eine Scheibe und überhaupt, die Regenbögen würden vom amerikanischen Geheimdienst manipuliert, erbarmt sich der Himmel und beendet die Diskussion mit einem äusserst heftigen Platzregen.

Ich beobachte vom Schiff aus, wie die Fracht entladen wird. Hühnerbeine, Instantkaffee, Frühstücksflocken, Bier und Softdrinks werden an Land gebracht. Zurück kommen tropische Früchte und Säcke voller Kopra, getrocknetem Kokosnussfleisch. Am kleinen Pier stehen unzählige Pickups, einige davon scheinen brandneu zu sein. Wie viele Kokosnüsse müssen wohl gegen einen Pickup getauscht werden? Zehntausend? Hunderttausend? Nein! Keine einzige! Die Marqusas-Inseln sind französisches Territorium, die Bewohner profitieren von Subventionen aus Paris. Wenn es nun einem Marquesaner nach einem Pickup gelüstet, gründet er flugs eine eigene Firma. Sein klappriges Fischerboot dient als Eigenkapital und da die Firma in einer Entfernung von etwa 500 Metern zum Hafenliegt, benötigt man zum Transport der Fische einen Pickup. Das berechtigt den Fischer zu happigen Subventionen, das Firmenauto kostet noch einen Bruchteil des Katalogpreises. Da die einzelnen Inseln kaum über mehr als 10 km Strassen verfügen, haben die Autos nach 5 Jahren höchstens 10‘000 km auf dem Tacho. Jetzt werden sie in Tahiti, der Hauptstadt Französisch Polynesiens wieder verkauft. Und zwar zu einem Preis der immer noch um Einiges höher ist, als der ursprüngliche, subventionierte Kaufpreis. Vom Erlös kauft man sich wieder einen Neuen, dazu vielleicht noch einen Kühlschrank, einen Laptop und ein paar Kisten Bier.

Genau ein solches Bier genehmige ich mir jetzt, warte einmal mehr auf den perfekten Sonnenuntergang und freue mich auf die Insel Fatu Hiva. Dort werde ich wieder auf Spurensuche gehen. Diesmal auf die Suche nach den Fussabdrücken von Thor Heyderdahl.

 

 

 

 

 

Samstag, Mai 09, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Nuku Hiva

Nuku Hiva
Heute Morgen hat die Aranui die Marquesas-Inseln erreicht. Erster Halt: Taiohae auf der Insel Nuku Hiva.
„Kurz nach Sonnenaufgang zeigten sich verschiedene Kanus, die uns eine Menge Brotfrucht gegen kleine Nägel brachten. () Einer der  Eingeborenen fing an, uns offenbar zu betrügen und Nägel, wofür er Brotfrüchte angeboten hatte, an sich zu nehmen, ohne die Früchte abzuliefern. Der Kapitän hielt es deshalb für notwendig, sich und seine Leute bei diesem Volke in Ansehen, den Betrüger aber in Furcht zu setzen und liess eine Muskete abfeuern. Der unerwartete Knall hatte die erwünschte Wirkung, der Dieb reichte uns nämlich ganz bestürzt die Brotfrüchte, um die er uns hatte betrügen wollen. () Ein Offizier, der gerade an Deck gekommen war, verkannte die Situation, griff nach einem Gewehr und schoss den Unglücklichen auf der Stelle tot.“ Soweit Georg Forster in seinem Buch „Entdeckungsreise nach Tahiti und in die Südsee 1772 – 1775“ an Bord der „Resolution“ unter dem Kommando von James Cook
Derart drastisch verlief unser Kontakt mit den Einwohnern von Taiohae nicht, ganz im Gegenteil. Wir setzten uns beim Pier in ein kleines Bistrot und schauten den Fischern zu, wie sie ihren Fang an Land brachten, die Fische putzten und in handliche Stücke schnitten. Das überflüssige Fleisch schmissen sie gleich ins Wasser, ein Festmahl für ein Dutzend Zitronenhaie. Der Kaffee im Bistrot war frisch, dazu gab‘s gratis Bananen so viel man wollte. Und einen kostenlosen Zugang zum Internet! Ich wollte heute endlich meinen Bericht über das Leben eines alten Häuptlings und Kannibalen der Redaktion übermitteln. Ich schaffte es tatsächlich, meinen Briefkasten zu öffnen und las begierig die neusten Mails. Medikamente aus Schanghai, eine gratis Kreditkarte und mehrere Millionengewinne obskurer Lotterien warteten auf meine umgehende Bestellung oder Kontaktaufnahme. Als ich mein Mail aufgesetzt hatte, kam die Technik jedoch gewaltig ins Stottern. Die Buchstaben versuchten, sich einer nach dem andern ins unsichtbare Kabel zu schleichen und ihren Weg zum nächsten Satelliten zu suchen. Es gelang nicht allen und beim Satz
„Atotupo Hakamanew-ta-Tikimaniana – Mein Leben als Kannibale“ war Schluss. Nichts ging mehr. Auch mein Versuch, den Atotupo-Bandwurm wieder rückwärts aus dem Internet zu ziehen, scheiterte kläglich. Ich beschloss, auch Nuku Hiva zu den glücklichen Inseln dieser Welt zu zählen
Dank der nun gewonnen Zeit konnte ich mich wieder den existentiellen Fragen des Leben zuwenden. Warum zum Beispiel hat man auf den Marquesas-Inseln im Vergleich zu Tahiti die Uhren um eine halbe Stunde vorgestellt? Nicht eine Stunde, nein, 30 Minuten mussten es sein! Als ob die „normalen“ Zeitunterschiede mein Leben als Reisender nicht schon genügend erschweren würden! Vielleicht sollte ich es wie meine Tischnachbarin Frau Schmitz aus Berlin halten. Sie hat sich gleich zwei Uhren umgeschnallt, die eine zeigt die lokale Zeit an, die andere die Zeit auf dem Kurfürstendamm. So weiss Frau Schmitz immer haargenau, ob jetzt zu Hause der Tatort aus Münster, die Lindenstrasse aus Berlin oder bereits die Morgenshow bei RTL läuft. Toll, nicht wahr?!
Mit genau dieser Frau Schmitz und ein paar andern Seniorinnen sind wir nun mit einem Jeep unterwegs durch den Dschungel von Nuku Hiva. Wir folgen dem angeblichen Fluchtweg von Herman Melville („Moby Dick“), besuchen alte Tempelanlagen, Opferstätten und werden Zeugen von rituellen Tänzen und kriegerischen Gesängen. Uralte Banyan-Bäume, moosbewachsene Petroglyphen und von Nebel behangene, hoch aufragende, spitze Basaltfelsen scheinen eine perfekte Kulisse für einen nächsten Abenteuerfilm mit Harrison Ford zu sein.
Frau Schmitz interessiert sich ungemein für den „Kannibalen von Nuku Hiva“, der vor einiger Zeit laut Bild-Zeitung einen deutschen Touristen aufgefressen haben soll. Sie erschauert leicht, als uns der Führer unterwegs das Inselgefängnis zeigt und anmerkt, sämtliche Gefangenen würden jeden Morgen entlassen und müssten sich erst bei Sonnenuntergang wieder einschliessen lassen. Sie müsse sich jedoch keine Gedanken machen, der Menschenfresser sitze nämlich in Tahiti ein. Und – die Geschichte sei sowieso erstunken und erlogen. Aufgefressen worden sei überhaupt niemand, der Deutsche vielleicht schwul gewesen, oder auch der Einheimische, und ob wer, wen oder überhaupt jemand vergewaltigt habe, liege ebenfalls völlig im Dunkeln.
Dieses „Dunkel“ kommt uns gut gelegen, diese Geschichte zu verlassen und wir setzen auf die ARANUI über. Dort ruhen wir uns vom aufregenden Tagwerk aus, träumen ein wenig und genehmigen uns ab und zu einen Drink.
Gute Nacht, bis morgen auf der Insel Ua Pou!
 
 
 
 
 



Auf der Suche nach Gauguin - Takapoto




 
Auf der Suche nach Gauguin sind wir in Papeete (Tahiti) an Bord der ARANUI 3 gegangen. Dieser Frachter wird uns mitnehmen auf eine Tour zu den Marquesas, einer Inselgruppe in Französisch Polynesien. Dort nämlich hat Gauguin gewirkt, ein sündiges Leben gelebt und auch seinen letzten Pinselstrich getan. Zu meinem Glück wurde sein Leben in den letzten Wochen ausführlich in der Presse abgehandelt, so dass ich mich auf andere Dinge konzentrieren kann. Zum Beispiel darauf, ob ich denn in den nächsten 2 Wochen eine Internetverbindung finden werde. Ich muss doch wissen was in Europa so passiert, ob in Sissach wieder eine Beiz gebrannt hat, ob die Griechen ihren Wein wieder in Drachmen bezahlen oder die Italiener den alten Lüstling Berlusconi wieder zum Präsidenten gewählt haben.

Wir ankern vor Takapoto, einer Insel im Tuamotu-Atoll. Hier werden Muscheln gezüchtet, die man anschiessend an die Perlenzüchter von Rangiroa verkauft. Dort produziert man jedoch nicht irgendwelche Perlen und schon gar keine, die man irgendwelchen Säuen zum Frass vorwerfen sollte. Nein, hier entstehen die berühmten schwarzen Perlen!  Schon nach wenigen Minuten ist klar, auf Takapoto gibt es keinen Zugriff aufs Internet. Ich habe deshalb auch keine Möglichkeit zu recherchieren. Sollten Sie also wissen wollen, weshalb denn die Perlen hier schwarz sind, dann müssen sie schon selbst googeln. Und ich weiss im Moment auch nicht, in welchem Jahr Chirac (oder ein anderer französischer Präsident) das Mururoa-Atoll (liegt ein paar Hundert Kilometer westlich von Takapoto) mit Atombombentests mehr oder weniger pulverisiert hat. Vielleicht dachte man ja, eine Insel die nicht einmal Internetanschluss hat brauche die Welt nicht. Da haben die Leute auf Takapoto aber schön Schwein gehabt!
Während ich so vor mich hin schreibe, sinkt die Sonne dem Meer entgegen. Vielleicht seit langen Jahren mein erster totaler Sonnenuntergang ins Meer? Endlich wieder mal eine richtig kitschige Foto! Aber ich habe mich zu früh gefreut. Kaum habe ich das Wort „kitschig“ zu Papier gebracht, schieben sich auch schon Wolken über die Sonne. Das haben die einfach nicht im Griff! Auf Takapoto gibt’s zwar Pain, Vin et Boursin. Aber Sonnenuntergänge? Nada!
Morgen wird die Aranui die Marquesas-Inseln erreichen. Nächster Halt: Taiohae auf der Insel Nuku Hiva. Dort werde ich mich auf die Spur von Herman Melville machen. Sollte ich damit keinen Erfolg haben, dann finde ich vielleicht ein Internet-Café!
 

P.S. Sie wundern sich vielleicht, wie es dieser Text – ohne jegliche Verbindung zum Internet – in meinen Blog geschafft hat  Des Rätsels Lösung ist ganz einfach. Ich habe ihn von Hand geschrieben, das Pergament in eine leere Flasche gepackt und ins Meer geworfen. Bekanntlich wird ja jede Flaschenpost irgendwann und irgendwo gefunden. Und so geschah es.