Nuku Hiva
Heute Morgen hat die Aranui die Marquesas-Inseln erreicht.
Erster Halt: Taiohae auf der Insel Nuku Hiva.
„Kurz nach Sonnenaufgang zeigten sich verschiedene Kanus,
die uns eine Menge Brotfrucht gegen kleine Nägel brachten. () Einer der Eingeborenen fing an, uns offenbar zu
betrügen und Nägel, wofür er Brotfrüchte angeboten hatte, an sich zu nehmen,
ohne die Früchte abzuliefern. Der Kapitän hielt es deshalb für notwendig, sich
und seine Leute bei diesem Volke in Ansehen, den Betrüger aber in Furcht zu
setzen und liess eine Muskete abfeuern. Der unerwartete Knall hatte die
erwünschte Wirkung, der Dieb reichte uns nämlich ganz bestürzt die Brotfrüchte,
um die er uns hatte betrügen wollen. () Ein Offizier, der gerade an Deck
gekommen war, verkannte die Situation, griff nach einem Gewehr und schoss den
Unglücklichen auf der Stelle tot.“ Soweit Georg Forster in seinem Buch „Entdeckungsreise
nach Tahiti und in die Südsee 1772 – 1775“ an Bord der „Resolution“ unter dem
Kommando von James Cook
Derart drastisch verlief unser Kontakt mit den Einwohnern
von Taiohae nicht, ganz im Gegenteil. Wir setzten uns beim Pier in ein kleines
Bistrot und schauten den Fischern zu, wie sie ihren Fang an Land brachten, die
Fische putzten und in handliche Stücke schnitten. Das überflüssige Fleisch
schmissen sie gleich ins Wasser, ein Festmahl für ein Dutzend Zitronenhaie. Der
Kaffee im Bistrot war frisch, dazu gab‘s gratis Bananen so viel man wollte. Und
einen kostenlosen Zugang zum Internet! Ich wollte heute endlich meinen Bericht
über das Leben eines alten Häuptlings und Kannibalen der Redaktion übermitteln.
Ich schaffte es tatsächlich, meinen Briefkasten zu öffnen und las begierig die
neusten Mails. Medikamente aus Schanghai, eine gratis Kreditkarte und mehrere
Millionengewinne obskurer Lotterien warteten auf meine umgehende Bestellung
oder Kontaktaufnahme. Als ich mein Mail aufgesetzt hatte, kam die Technik
jedoch gewaltig ins Stottern. Die Buchstaben versuchten, sich einer nach dem
andern ins unsichtbare Kabel zu schleichen und ihren Weg zum nächsten
Satelliten zu suchen. Es gelang nicht allen und beim Satz
„Atotupo Hakamanew-ta-Tikimaniana – Mein Leben als
Kannibale“ war Schluss. Nichts ging mehr. Auch mein Versuch, den
Atotupo-Bandwurm wieder rückwärts aus dem Internet zu ziehen, scheiterte
kläglich. Ich beschloss, auch Nuku Hiva zu den glücklichen Inseln dieser Welt
zu zählen
Dank der nun gewonnen Zeit konnte ich mich wieder den
existentiellen Fragen des Leben zuwenden. Warum zum Beispiel hat man auf den
Marquesas-Inseln im Vergleich zu Tahiti die Uhren um eine halbe Stunde
vorgestellt? Nicht eine Stunde, nein, 30 Minuten mussten es sein! Als ob die „normalen“
Zeitunterschiede mein Leben als Reisender nicht schon genügend erschweren
würden! Vielleicht sollte ich es wie meine Tischnachbarin Frau Schmitz aus
Berlin halten. Sie hat sich gleich zwei Uhren umgeschnallt, die eine zeigt die
lokale Zeit an, die andere die Zeit auf dem Kurfürstendamm. So weiss Frau
Schmitz immer haargenau, ob jetzt zu Hause der Tatort aus Münster, die
Lindenstrasse aus Berlin oder bereits die Morgenshow bei RTL läuft. Toll, nicht
wahr?!
Mit genau dieser Frau Schmitz und ein paar andern
Seniorinnen sind wir nun mit einem Jeep unterwegs durch den Dschungel von Nuku
Hiva. Wir folgen dem angeblichen Fluchtweg von Herman Melville („Moby Dick“),
besuchen alte Tempelanlagen, Opferstätten und werden Zeugen von rituellen
Tänzen und kriegerischen Gesängen. Uralte Banyan-Bäume, moosbewachsene Petroglyphen
und von Nebel behangene, hoch aufragende, spitze Basaltfelsen scheinen eine
perfekte Kulisse für einen nächsten Abenteuerfilm mit Harrison Ford zu sein.
Frau Schmitz interessiert sich ungemein für den „Kannibalen
von Nuku Hiva“, der vor einiger Zeit laut Bild-Zeitung einen deutschen
Touristen aufgefressen haben soll. Sie erschauert leicht, als uns der Führer
unterwegs das Inselgefängnis zeigt und anmerkt, sämtliche Gefangenen würden
jeden Morgen entlassen und müssten sich erst bei Sonnenuntergang wieder
einschliessen lassen. Sie müsse sich jedoch keine Gedanken machen, der
Menschenfresser sitze nämlich in Tahiti ein. Und – die Geschichte sei sowieso
erstunken und erlogen. Aufgefressen worden sei überhaupt niemand, der Deutsche
vielleicht schwul gewesen, oder auch der Einheimische, und ob wer, wen oder
überhaupt jemand vergewaltigt habe, liege ebenfalls völlig im Dunkeln.
Dieses „Dunkel“ kommt uns gut gelegen, diese Geschichte zu
verlassen und wir setzen auf die ARANUI über. Dort ruhen wir uns vom
aufregenden Tagwerk aus, träumen ein wenig und genehmigen uns ab und zu einen
Drink.
Gute Nacht, bis morgen auf der Insel Ua Pou!
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