Samstag, Mai 09, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Nuku Hiva

Nuku Hiva
Heute Morgen hat die Aranui die Marquesas-Inseln erreicht. Erster Halt: Taiohae auf der Insel Nuku Hiva.
„Kurz nach Sonnenaufgang zeigten sich verschiedene Kanus, die uns eine Menge Brotfrucht gegen kleine Nägel brachten. () Einer der  Eingeborenen fing an, uns offenbar zu betrügen und Nägel, wofür er Brotfrüchte angeboten hatte, an sich zu nehmen, ohne die Früchte abzuliefern. Der Kapitän hielt es deshalb für notwendig, sich und seine Leute bei diesem Volke in Ansehen, den Betrüger aber in Furcht zu setzen und liess eine Muskete abfeuern. Der unerwartete Knall hatte die erwünschte Wirkung, der Dieb reichte uns nämlich ganz bestürzt die Brotfrüchte, um die er uns hatte betrügen wollen. () Ein Offizier, der gerade an Deck gekommen war, verkannte die Situation, griff nach einem Gewehr und schoss den Unglücklichen auf der Stelle tot.“ Soweit Georg Forster in seinem Buch „Entdeckungsreise nach Tahiti und in die Südsee 1772 – 1775“ an Bord der „Resolution“ unter dem Kommando von James Cook
Derart drastisch verlief unser Kontakt mit den Einwohnern von Taiohae nicht, ganz im Gegenteil. Wir setzten uns beim Pier in ein kleines Bistrot und schauten den Fischern zu, wie sie ihren Fang an Land brachten, die Fische putzten und in handliche Stücke schnitten. Das überflüssige Fleisch schmissen sie gleich ins Wasser, ein Festmahl für ein Dutzend Zitronenhaie. Der Kaffee im Bistrot war frisch, dazu gab‘s gratis Bananen so viel man wollte. Und einen kostenlosen Zugang zum Internet! Ich wollte heute endlich meinen Bericht über das Leben eines alten Häuptlings und Kannibalen der Redaktion übermitteln. Ich schaffte es tatsächlich, meinen Briefkasten zu öffnen und las begierig die neusten Mails. Medikamente aus Schanghai, eine gratis Kreditkarte und mehrere Millionengewinne obskurer Lotterien warteten auf meine umgehende Bestellung oder Kontaktaufnahme. Als ich mein Mail aufgesetzt hatte, kam die Technik jedoch gewaltig ins Stottern. Die Buchstaben versuchten, sich einer nach dem andern ins unsichtbare Kabel zu schleichen und ihren Weg zum nächsten Satelliten zu suchen. Es gelang nicht allen und beim Satz
„Atotupo Hakamanew-ta-Tikimaniana – Mein Leben als Kannibale“ war Schluss. Nichts ging mehr. Auch mein Versuch, den Atotupo-Bandwurm wieder rückwärts aus dem Internet zu ziehen, scheiterte kläglich. Ich beschloss, auch Nuku Hiva zu den glücklichen Inseln dieser Welt zu zählen
Dank der nun gewonnen Zeit konnte ich mich wieder den existentiellen Fragen des Leben zuwenden. Warum zum Beispiel hat man auf den Marquesas-Inseln im Vergleich zu Tahiti die Uhren um eine halbe Stunde vorgestellt? Nicht eine Stunde, nein, 30 Minuten mussten es sein! Als ob die „normalen“ Zeitunterschiede mein Leben als Reisender nicht schon genügend erschweren würden! Vielleicht sollte ich es wie meine Tischnachbarin Frau Schmitz aus Berlin halten. Sie hat sich gleich zwei Uhren umgeschnallt, die eine zeigt die lokale Zeit an, die andere die Zeit auf dem Kurfürstendamm. So weiss Frau Schmitz immer haargenau, ob jetzt zu Hause der Tatort aus Münster, die Lindenstrasse aus Berlin oder bereits die Morgenshow bei RTL läuft. Toll, nicht wahr?!
Mit genau dieser Frau Schmitz und ein paar andern Seniorinnen sind wir nun mit einem Jeep unterwegs durch den Dschungel von Nuku Hiva. Wir folgen dem angeblichen Fluchtweg von Herman Melville („Moby Dick“), besuchen alte Tempelanlagen, Opferstätten und werden Zeugen von rituellen Tänzen und kriegerischen Gesängen. Uralte Banyan-Bäume, moosbewachsene Petroglyphen und von Nebel behangene, hoch aufragende, spitze Basaltfelsen scheinen eine perfekte Kulisse für einen nächsten Abenteuerfilm mit Harrison Ford zu sein.
Frau Schmitz interessiert sich ungemein für den „Kannibalen von Nuku Hiva“, der vor einiger Zeit laut Bild-Zeitung einen deutschen Touristen aufgefressen haben soll. Sie erschauert leicht, als uns der Führer unterwegs das Inselgefängnis zeigt und anmerkt, sämtliche Gefangenen würden jeden Morgen entlassen und müssten sich erst bei Sonnenuntergang wieder einschliessen lassen. Sie müsse sich jedoch keine Gedanken machen, der Menschenfresser sitze nämlich in Tahiti ein. Und – die Geschichte sei sowieso erstunken und erlogen. Aufgefressen worden sei überhaupt niemand, der Deutsche vielleicht schwul gewesen, oder auch der Einheimische, und ob wer, wen oder überhaupt jemand vergewaltigt habe, liege ebenfalls völlig im Dunkeln.
Dieses „Dunkel“ kommt uns gut gelegen, diese Geschichte zu verlassen und wir setzen auf die ARANUI über. Dort ruhen wir uns vom aufregenden Tagwerk aus, träumen ein wenig und genehmigen uns ab und zu einen Drink.
Gute Nacht, bis morgen auf der Insel Ua Pou!
 
 
 
 
 



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