Dienstag, September 19, 2017

Ich schreibe, also bin ich

ISBN 978-3-7448-5647-8 Verlag BoD


«Lieber Monsieur Descartes, verzeihen Sie mir bitte meinen lockeren Umgang mit der Sprache. Der von Ihnen geprägte Grundsatz heisst natürlich: ‘Ich denke, also bin ich’. Ich bezweifle sogar, dass meine Überschrift wirklich zur Geschichte passt. Ich schreibe zwar tatsächlich, denke jedoch nicht, dass ich dieser Tatsache mein Dasein verdanke.»
Vielleicht sollte mein derzeitiges Lebensmotto eher heissen: «Ich korrigiere, also bin ich.» Oder, da auch meine Frau mitarbeitet: «Wir korrigieren, also sind wir.»

Ein allerletztes Mal überprüfen wir die Texte meines neuen Buches: 296 Seiten, 390'620 Zeichen, 57'749 Wörter. Zum Vergleich: Diese Kolumne beinhaltet 2'845 Zeichen und 424 Wörter. Und dies in einer Sprache, zu welcher Mark Twain einst anmerkte: «Es gibt ganz gewiss keine andere Sprache, die so unordentlich und systemlos daherkommt und dermassen jedem Zugriff entschlüpft. Aufs Hilfloseste wird man in ihr hin und her geschwemmt, und wenn man glaubt, man habe endlich eine Regel zu fassen bekommen, blättert man um und liest: ‘Der Lernende merke sich die folgenden Ausnahmen’ …»
Aber nicht nur die Sprache, auch die Technik birgt üble Überraschungen: So hat sich mein Korrekturprogramm neulich geweigert, das Manuskript in deutscher Sprache zu überprüfen. Es hatte beschlossen, für einmal den armenischen Wortschatz zu verwenden und somit 57’749 Fehler angezeigt. Hatte nicht Erasmus von Rotterdam behauptet, der Umgang mit Büchern führe zum Wahnsinn?
Ein anderes Mal verabschiedete sich der Computer scheinbar endgültig aus seinem digitalen Leben. Die Bedienungsanleitung empfahl mir einen Neustart. Dazu sollte man eine Büroklammer in eine Öse an der Rückseite stecken. Doch entweder war die Öse zu klein oder die Klammer zu gross. Ich entschied mich für eine Nähnadel aus den Beständen meiner Frau. Und es funktionierte! Die Anweisungen allerdings verstand ich nicht: Ich nehme an, dass es koreanisch war. Erst ein neuerlicher chirurgischer Eingriff mit der Nadel half weiter.
Während der Korrekturarbeiten kam es prompt zu Albträumen. Auf Seite 76 fehlte ein Einzug, zwei Seiten weiter frassen Himbären rote Braunbeeren, und auf Seite 136 fand ich das mir völlig unbekannte Wort «zutergeltern». Etwas später in der Nacht waren alle Kommas aus dem Text verschwunden. An ihrer Stelle befanden sich jetzt lustige Kringel. «Schreiben ist geschäftiger Müssiggang», befand Goethe. Mag sein, aber Goethe schrieb noch von Hand.

 
Eines Tages fand meine Frau heraus, dass ich mit einem vorsintflutlichen Korrekturprogramm aus dem letzten Jahrhundert arbeitete, sie hingegen mit dem aktuellsten Duden. Da sie zudem feststellte, dass meine Korrekturen weitere Fehler erzeugten, die zu neuen Korrekturen und weiteren Fehlern führten, beschloss ich, nochmals Mark Twain zu Rate zu ziehen:

«Schreiben ist doch so leicht! Du musst nur die falschen Wörter weglassen!»
Danke Herr Twain.
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.