Freitag, September 01, 2017

An Bord der Thorfinn - Aus dem Logbuch eines Inselsammlers 9

Satawal, Yap Outer Islands


Navigatoren

Satawal ist die Insel der Navigatoren. Dank der Abgeschiedenheit haben die Menschen uraltes Wissen über die Seefahrt bewahrt. Aber wie navigieren Seefahrer, die keinerlei nautische Instrumente besitzen, auf ihren Tausende von Kilometern weiten Reisen? An einem schönen, sonnigen Tag mag es noch einfach erscheinen: Man richtet sich nach der Sonne. Und in einer sternenklaren Nacht helfen Mond und Sterne weiter. Ansonsten konnte sich der Navigator mithilfe der Winde und der Dünung des Meeres orientieren. Dünungswellen ändern ihre Richtung kaum, was dem Navigator hilft, sein Kanu auf dem gewünschten Kurs zu halten. Denn, je nachdem wie sich das Kanu mit der oder gegen die Dünung bewegt, kann der Navigator abschätzen, ob sein Boot in die richtige Richtung fährt. Navigatoren sind an und für sich schweigsame Menschen. Einige unter ihnen aber sind wunderbare Geschichtenerzähler. Urupoa, einem Bruder des berühmten Navigatoren Piailug, verdanken wir die folgende Geschichte:


Das kleine grüne Muschel

David war – obschon Australier – ein unglaublich wissbegieriger Mensch. Neben seinem ausgeprägten Sammeltrieb für leere Bierdosen, hatte er noch eine zweite, heimliche Leidenschaft: Er sammelte Muscheln. Mit der Absicht, seine Sammlung mit einigen neuen Exemplaren zu ergänzen, war er nach Satawal gereist.
David hatte eben eine ihm unbekannte Muschel gefunden und suchte nach jemandem, der ihm helfen konnte sie zu identifizieren. Er stellte sich bereits lebhaft vor, dass er vielleicht eine bisher unbekannte Spezies entdeckt hatte!

Kurz vor Sonnenuntergang begegnete David seinem nichts ahnenden Opfer.
„Kennen Muschel? Wollen Bier?“, fragte er den stummen Unbekannten und klopfte im jovial auf die Schulter.
„Du sagen Name von das Muschel, ich geben dir Bier!“, fuhr er fort.
„?“
„Okydoky – ich spendier’ ein Sixpack und noch ein paar schicke Glasperlen für dein Weib – jetzt mach’ mal Namen von das Muschel rüber!“

Der Unbekannte räusperte sich leise und sah David in die Augen.
„Erstens hast du eine grauenhafte Aussprache und zweitens heisst das Ding nicht ‘das’ Muschel, sondern ‘die’ Muschel. Drittens heisst diese kleine grüne Muschel genauso wie sie aussieht, nämlich ‘kleine grüne Muschel’. So, und jetzt schleich’ di dahin zurück, wo du hergekommen bist, du Depp!“

David merkte, dass die Zeit gekommen war den Rückzug anzutreten und machte sich von dannen.
Leider hat er nie erfahren, wer sein Gesprächspartner war. Beim Unbekannten handelte es sich um den zukünftigen Präsidenten der Föderierten Staaten von Mikronesien.

 
 


 
 
 
 
 
 
 


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