Samstag, Februar 10, 2018

Zuber ermittelt: Die Akte Guldenfinger

Zuber mochte es gar nicht, wenn man ihn mitten in der Nacht anrief. Als er den Hörer abnahm – Zuber weigerte sich vehement, ein Handy zu benutzen – holte er deshalb bereits zu einem rhetorischen Rundumschlag aus, besann sich dann aber doch noch eines Besseren und meldete sich mit einem dezenten „Hallo“. Schweigend hörte er zu, zog sich an und machte sich auf den Weg zum Tatort. Obwohl – eigentlich wusste er in diesem Moment noch nicht, ob der Fundort von Frau Guldenfinger auch der Tatort war. Forsch betrat er den Speisesaal des alten Hotels, nickte kurz rechts und links und machte sich an die Arbeit. Frau Guldenfinger musste bereits seit Jahren hinter dem Samtvorhang gelegen haben. Wobei, eigentlich nicht gelegen, sondern gesessen! Wie Zuber sofort feststellte, sass sie nämlich mausetot in einem eleganten Louis-Quatorze-Armlehnstuhl aus feinstem Nussbaum. Und sie sass da, als ob sie eben erst noch ihr Aktiendepot studiert hätte.

Vorsichtig, um ja nichts zu verändern, suchte Inspektor Zuber nach den untrüglichen Anzeichen eines Verbrechens. Mit Lupe, Pinzette und einem leicht gebogenen Sprüttel suchte er jeden Quadratzentimeter ab. Mit einem Pinsel entfernte er die dicke Staubschicht und zerblies die Spinnennetze. Nirgendwo konnte er Anzeichen von Gewalt entdecken. Vielleicht ein Herzinfarkt? Was aber könnte diese nette alte Dame dermassen erschüttert oder erschreckt haben? Da Zuber wusste, dass Frau Guldenfinger über ein stattliches Vermögen verfügt hatte, vermutete er eine Erbschaftsangelegenheit. Ob vielleicht so-gar Gift im Spiel war? Aber das müssten dann wohl die Gerichtsmediziner abklären. Noch einmal schweifte sein Blick über den Fundort. Da erblickte er auf dem Boden eine alte Speisekarte. Er hob sie auf und blätterte vorsichtig darin; es mussten über hundert Seiten sein!
Sofort wusste er, was hier passiert war. Frau Guldenfinger war bereits das dritte Opfer des grössenwahnsinnigen Kochs: Wieder hatte eine Speisekarte ein Opfer gefordert. Frau Guldenfinger war auf Seite 67 verhungert. Sie kam nur bis zu den Süsswasserfischen.

Aus dem Buch Hühnerbrust und Federkiel von Hanspeter Gsell, Verlag BoD

 

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