Freitag, April 20, 2018

Lustvoll essen

 
Sie ist klein, rund und grausam. Sie ist das Sinnbild einer fantasielosen Gastronomie-Branche. Sie ist meistens rot, sie wurde jedoch auch schon in grün oder gelb gesehen. Sie hat nur ein einziges dafür aber haarloses Bein. Es gibt sie mit und ohne Seele. Dies erkennt man jedoch erst, wenn man sie im Mund hat ...

... und dann ist es vielfach zu spät. Denn ihr Herz ist manchmal aus Stein und daran erfreuen sich höchstens Zahnärzte. Der Geschmack liegt irgendwo zwischen grauenvoll, grauenhaft und grausam. Sie wird deshalb in vielen Fällen in Alkohol ertränkt. Sie – das ist die so genannte Cocktail-Kirsche. Sie ist der eigentliche Sündenfall der Gastronomiegeschichte. Einer Geschichte, die nicht mit Adam, Eva, Schlange und Apfel sondern mit Cock, Tail, Dose und Kirsche begann.

Noch vor Hamburger, Ketchup und Cola hat sie die Bars dieser Welt erobert und ist völlig resistent gegen alle Versuche sie auszurotten. Ob im Bahnhöfli in Hugelshofen, in der weltmeisterlichen Kronenhallen-Bar in Zürich oder im Raffles in Singapur: Sie ist überall. Sie dekoriert mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit die einöden Drinks mittelmässiger Lokale, wie auch die abenteuerlichen Kreationen erstklassiger Bars. Mal untergetaucht, mal schwimmend. Ob zusammen mit einem Stück Ananas oder alleine an einem billigen Plastikspiess hängend. Sie verfolgt mich. Ihre künstliche Farbe beleidigt jedes Auge und ihr Aroma ist eines Gaumens nicht würdig. Ganz un-geniert tummelt sie sich in Schwarzwäldertorten, Fruchtsalaten und Saucen.
„Lustvoll essen – gentechfrei“, heisst eine vor einiger Zeit in Basel verabschiedete Petition. Ein grosses und unterstützungswürdiges Ziel. Hoffen wir, dass verabschiedet nicht allzu wörtlich genommen wird. Ein erstes Teilziel wäre jedoch eigentlich einfach zu erreichen. Ich verabschiede deshalb noch heute Abend eine Petition unter dem Namen „lustvoll trinken – Kirschen-frei“. Wenn Sie mitmachen wollen, nichts einfacher als das. Steigen Sie in ihren Keller und schmeissen Sie ihren Jahresvorrat an Cocktailkirschen sofort auf den Müll. Klären Sie aber bitte zuerst mit ihrem Kantonschemiker ab, ob es sich nicht eventuell um Sondermüll handelt!
 

Aus dem Buch Hühnerbrust und Federkiel von Hasnpeter Gsell, erschienen bei BoD. Noch mehr Geschichten finden Sie im neuen Buch von Hanspeter Gsell "Immer wieder Fernweh - Logbuch eines Inselsammlers".

 

 

 

 

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