Donnerstag, August 31, 2017

An Bord der Thorfinn - Aus dem Logbuch eines Inselsammlers 8

Satawal, Yap Outer Islands

Der vierte Teil der Reportage aus Mikronesien beschreibt eine Dampferfahrt an Bord der S.S.Thorfinn. Ziel ist Satawal, die Insel der Navigatoren.

Warmes Bier und Lendenschurz

Wir erreichen die Insel Satawal kurz vor Tagesanbruch. Mit grösster Vorsicht hat die S.S.Thorfinn die Passage durch das Riff gemeistert und vielleicht zweihundert Meter vom Ufer entfernt den grossen Anker gesetzt. Die Dämmerung bricht an, erste Sonnenstrahlen beleuchten das Ufer und geben die Sicht frei auf eine beinahe biblische Szene. Hunderte von Menschen, jung und alt, säumen den Strand. In bunten Kleidern, manchmal auch nur von Lendenschurz oder Bast-Rock bedeckt, sitzen, stehen oder liegen sie zwischen Palmen und windgeduckten Sträuchern.
Bevor wir an Land dürfen, läuft die übliche Zeremonie ab. Manno, der Chief der Insel, kommt an Bord. Die Frau des Kapitäns serviert ihm als Willkommenstrunk ein eiskaltes Bier. Welch’ herrliche Wohltat für unsern Besuch! Denn, auch wenn es Bier gäbe auf Satawal, es wäre mangels Kühlschränken vierzig Grad warm.
Es entwickelt sich das übliche Palaver über Gott, die Welt und Geld. Beim zweiten Bier erfährt der Kapitän, dass die Hafengebühren gestern eben verdoppelt wurden. Dass es in Satawal keinen Hafen gibt, spielt diesbezüglich keine Rolle. Zusätzlich wird eine neue Ankergebühr, eine Besuchsgebühr und ein Obolus für die Tanzvorführungen verlangt.
Das dritte Bierglas ist leer und der Kapitän drängt zum Aufbruch. Jetzt setzt der Kapitän mit einem Matrosen und dem etwas angeschlagenen Besucher in einem kleinen Boot zur Insel über. Dort wird er vom insularen Gemeinderat begrüsst, die Gastgeschenke (Bier, Tabak, Kaffee, Zucker) werden übergeben. Nach einem kurzen Blick in die Schachteln nickt der Chief, und auch wir dürfen die Insel betreten.

Die Begrüssung ist überaus fröhlich, die Stimmung beinahe ausgelassen. Die Einheimischen schliessen sich uns an, begleiten uns über Trampelpfade zu ihren Hütten, zeigen uns stolz ihr kleines Paradies. Man serviert uns Palmwein und Kokosnüsse, ich rauche eine selbstgedrehte Zigarette. Das Papier stamm von einer alten Zeitung, ich erkenne japanische Schriftzeichen. Zutrauliche Vögel hüpfen uns auf die Schulter, wir klettern über Flugzeugwracks aus dem Zweiten Weltkrieg. Am Strand liegen glückliche Schweine. Allerdings sind sie angebunden, sie würden sonst innert kürzester Zeit die Taro-Gärten umgraben und zerstören. Das Schulhaus ist geschlossen, der Lehrer schon längst abgehauen. Auch die kleine Sanitätsstation scheint unbesetzt zu sein. Die Solaranlagen sind defekt, genauso wie der grosse Stromgenerator. Das letzte Versorgungsschiff besuchte die Insel vor sechs Monaten. Es hatte Reis und Kunststoffsandalen im Angebot. Und somit ist die Frage geklärt, warum alle Inselbewohner die gleichen, blauen Schlappen tragen.
Angesichts der, für unsere Augen doch ziemlich desolaten Situation, müssten wir eigentlich auf lauter unglückliche, verzweifelte und depressive Menschen stossen. Tun wir jedoch nicht. Nicht ein einziger Anwärter auf ein Burnout weit und breit!

Mittwoch, August 30, 2017

An Bord der Thorfinn - Aus dem Lobuch eines Inselsammlers 7

Der vierte Teil der Reportage aus Mikronesien beschreibt eine Dampferfahrt an Bord der S.S.Thorfinn. Ziel ist Satawal, die Insel der Navigatoren.

Die S.S.Thorfinn wurde 1953 in Norwegen als Walfangschiff gebaut. Seit mehr als dreissig Jahren kreuzt sie in den Gewässern Mikronesiens und dient Tauchern als schwimmende Basis. Forscher, darunter Meeresbiologen und Umweltschützer nutzen sie als Expeditionsschiff.
Obwohl etwas in die Jahre gekommen, bietet sie vielerlei Vorzüge. Sie verfügt über einen äusserst leistungsstarken Antrieb, ist wendig, stabil und kann weitgehend autark betrieben werden. Und obwohl der Dampfer manchmal stinkt und dampft wie das alte Waldenburgerli, könnte man die Thorfinn als umweltfreundliches Schiff bezeichnen. Sie übernimmt bei ihren Besuchen auf den Inseln das verschmutzte Öl von Kleinkraftwerken und Stromgeneratoren. Dieses verfügt immer noch über genügend Brennwert, um damit die Boiler der Dampfmaschinen zu heizen. Auf den Inseln wäre es früher oder später direkt im Pazifik entsorgt worden.
Eigner und Kapitän ist der Kanadier Lance Higgs, ein erfahrener Seebär, hervorragender Kenner des Pazifiks und begnadeter Geschichtenerzähler. An Bord befindet sich ein wild zusammen gewürfelter Haufen aus Touristen, Forschern und Fotografen.
 
→ wird fortgesetzt

Dienstag, August 29, 2017

Zeitlosigkeit - Aus dem Logbuch eines Inselsammlers 6

Ulithi-Atoll, Yap Outer Islands

Dieser Teil der Reportage führt uns zu den äusseren Inseln Mikronesiens. Und zur Einsicht, dass eine Reise nach Mallorca deutlich einfacher gewesen wäre.

Himmel und Hölle

Es gibt den Orkan, den Hurrikan, den Taifun, Blizzards, Tornados, Wind- und Wasserhosen. Je nach Weltgegend und Ausmass nennt man es anders, wenn einem der Wind die Haare zerzaust.

Klar haben wir alle schon mal einen Sturm erlebt. Im Vergleich zu ihren tropischen Vettern war dieser wohl eher ein Sturm im Wasserglas. Wenn die äquatorialen Wettergötter mal so richtig schlecht gelaunt sind, dann ist die Hölle los! Bei Windstärken von weit über 200 km/h und Spitzen von bis zu 300 km/h fliegt buchstäblich alles davon.
Solche Super-Taifune sind keineswegs selten. Eher selten brechen sie über bewohnte Gebiete herein. Sollte es trotzdem passieren, sind die Folgen verheerend. Keine Palme steht mehr, Hütten und Häuser lösen sich in ihre Bestandteile auf und landen nach Hunderten von Kilometern irgendwo im Meer. Noch gefährlicher als der Wind an sich, sind umherfliegende Kokosnüsse und Wellblechdächer. Die Nüsse werden zu fliegenden Kanonenkugeln, die Dächer zu messerscharfen Wurfmessern, die eine Palme mühelos durchsäbeln können. Die brüllenden Winde überdecken locker den Lärm eines startenden Jumbojets.
Zum Albtraum werden die Taifune auf flachen Inseln. Das Land wird völlig überflutet und alles, was nicht fest verankert ist, verschwindet für immer im Meer.
Auf solchen Inseln hält man sich deshalb immer ein paar dicke Seile in Reserve. Hat Grossvater Hütte und Boote so gut wie möglich gesichert, bindet er zuerst seine Familie und zuletzt sich selbst an einer möglichst dicken Palme fest.
Im Anschluss hilft nur noch Beten und die Hoffnung auf himmlischen Beistand. Da sich der dafür zuständige Missionar angesichts der bedrohlichen Wetterprognosen längst aus dem Staub gemacht hat, wartet Grossvater auch heute noch auf eine göttliche Eingebung.
Wir hingegen wollten nicht auf eine solche warten und gingen an Bord der S.S.Thorfinn. Der umgebaute Walfänger würde uns an unser nächstes Ziel bringen, eine abenteuerliche Fahrt wartet auf uns. (Amen).

Montag, August 28, 2017

Zeitlosigkeit - Aus dem Logbuch eines Inselsammlers 5

Ulithi-Atoll, Yap Outer Islands

Es gibt Ziele, die einfacher zu erreichen sind. Zum Beispiel Mallorca. Aber dorthin können wir hoffentlich auch später noch reisen. Und dies ganz ohne umständliche Anreisen und komplizierte Einreisebestimmungen. Von Europa bis nach Yap reist man noch einigermassen entspannt. Nur gerade die amerikanische Insel Guam muss überwunden werden.
Ein Aufenthalt auf den «Outer Islands», den äusseren Inseln, muss frühzeitig organsiert werden. Nicht nur, weil man für deren Besuch ein lokales Visum benötigt, sondern auch, weil die Insel nur von kleinen Propellermaschinen einer Missionsgesellschaft angeflogen werden.
Wir hatten die Reise sorgfältig geplant. Da man die Flüge von Yap nach Ulithi nicht beim nächsten Reisebüro buchen konnte, schrieb ich direkt den Missionaren in Yap. Und bekam überraschend schnell eine Antwort. Der Chefmissionar der «Pacific Mission Aviation ― Serving Jesus Christ in the Islands of Micronesia ― meldete sich persönlich mit dem kurzen Satz: «Kein Problem, ich komme am 28. Dezember um 18.00 Uhr in ihr Hotel und bringe den Flugschein, Halleluja!»
 
Auf den äusseren Inseln kann es durchaus sein, dass während Monaten kein Schiff vorbeikommt. Nur auf wenigen Inseln können kleine Propellermaschinen landen. Man hat deshalb alle Zeit dieser Welt, um über die Zeit an sich nachzudenken. Denn Zeit ist ein Begriff, denn es so in diesen Breitengraden nicht gibt. Zeit ist, wenn die Sonne aufgeht oder wenn eine Kokosnuss herunterfällt. Zeit ist, wenn die Sau zum Eber und der Fisch zur Angel geht.
Die Menschen sind die Herren der Zeitlosigkeit. Und manchmal schenken sie dir ein Stück davon. Und wenn du die Zeit dann endlich vergessen hast, weisst du, dass du im Paradies angekommen bist.
Viele Inseln sind für Besucher schlicht tabu. Weise Chiefs – Häuptlinge – haben erkannt, welchen Schaden Prediger und ihre Kohorten anrichten können. Sie haben zusehen müssen, wie ganze Inseln ihre Kultur, das alte Wissen und die Zeitlosigkeit verloren haben.
Sollte zwecks Familienplanung oder während des Wahlkampfs jemand die Insel besuchen wollen, benötigt er ein Visum. Ausgestellt wird dieses vom «Outerisland Council». Dieser Seniorenrat tagt jedoch nur viermal im Jahr, nimmt sich dabei ausführlich Zeit und, wer würde es ihnen vergönnen, ab und zu ein Gläschen Palmwein.  Gelangen die Senatoren zum Schluss, dass der Antragssteller genehm ist, erhält er ein Visum und eine Einkaufsliste. Tatsächlich waren die Chiefs unserm Ansinnen ihr Eiland zu besuchen, überaus gnädig gestimmt und vergassen auch nicht, uns ihren Einkaufszettel zu übermitteln: Bier, Kaffee, Zucker, Tabak und Nähmaschinenöl.
Und so warteten wir am Vorabend des Weiterfluges an der menschenleeren Bar unseres Hotels auf den Piloten. Es war genau 18.00 Uhr, als sich eine bleiche, etwas unsicher wirkende Gestalt neben uns setzte.

«Grüezi, mein Name ist Gabriel. Wie der Erzengel, Halleluja! Ich wäre ihr Pilot gewesen. Wenn nicht gestern ein Taifun das Atoll ins Meer geblasen hätte. Alle Flüge sind abgesagt. Amen.»

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Freitag, August 25, 2017

O'Keefe macht Geld - Aus dem Logbuch eines Inselsammlers 4

O’Keefe und das Steingeld

Wir befinden uns auf der Insel des Steingeldes. Bei diesem «Geld» handelt es sich nicht um Kleingeld, sondern um Riesenmünzen in der Grösse einer Pizza Napoli (5 Franken), eines Wagenrades (126 Franken) oder eines Mühlsteines (399 Franken).
Man ging mit diesen Münzen weder in die nächste Bar noch zur Sparkasse. Sie symbolisierten andere Werte. Sie waren zwar durchaus handelbar, allerdings wurden sie nur im Immobilien- und Ablasshandel verwendet. Tatsächlich brauchte man die Klopse vorwiegend, um allerhand Streit zu schlichten.
Sollte zum Beispiel Jüngling A der Jungfer B in einer Vollmondnacht etwas zu nahe getreten sein, wird Vater B von Vater A Genugtuung in Form eines Geldsteins verlangen. Man nannte dies hier auch «einen Stein vom Zaune brechen».
Die Chiefs verhandelten solche Fälle in einer öffentlichen Freiluftarena. Unter schattigen Palmen hatte man ihnen, da sie weise und somit auch schon ein bisschen älter waren, steinerne Rückenlehnen eingegraben. Dort sassen sie dann bis sie noch weiser geworden waren und gaben bereits nach wenigen Tagen ihren Richtspruch bekannt: Vater B erhielt von Vater A zwei Mühlsteine.

 O’Keefe wird König

Natürlich handelt es sich bei diesen Steinen nicht um irgendwelche ordinäre Felsbrocken. Da könnte ja jeder sein Geld selber machen! Den wunderbar glitzernden Aragonit/Kalzit findet man auch nicht in Yap, sondern auf der Insel Palau. Die Stein- und Geldbrüche waren ganz schön weit weg!
Musste die Staatsbank ihre Reserven aufstocken, konnte sie nicht einfach der nächsten Druckerei telefonieren. Da mussten schon die Auslegerboote losgeschickt werden! Nur die jüngsten und kräftigsten Männer wurden mit diesen aussergewöhnlichen Kanus auf die Reise übers Meer geschickt. Je nach Wind und Wetter dauerten solche Fahrten zwischen einigen Wochen und mehreren Monaten.
In Palau angekommen, musste zuerst mit den dortigen Chiefs verhandelt werden. War man sich handelseinig geworden, ging’s ab in die Steinbrüche. Man haute die Münzen Stück für Stück aus dem Berg. In die Mitte der steinernen Dublonen bohrte man anschliessend ein Loch. Zum Transport schob man ein Rundholz hindurch und konnte sie so mühelos auf zwei Schultern wegtragen.
Da das Geld zu gross und zu schwer war, um es im Boot zu transportieren, band man es kurzerhand darunter.
Wieder war man wochenlang unterwegs. Die Überfahrten waren vielfach stürmisch; eigentlich waren sie immer stürmisch. So kam es, dass nur wenige Boote die Fahrt bis nach Hause schafften. Umso weniger Steingeld jedoch die Heimat erreichte, desto wertvoller waren nachher die einzelnen Steine.
O’Keefe merkte bald einmal, wie das mit dem Steingeld funktionierte. Er heuerte eine Hundertschaft Palauer an und liess sie «Geld hauen». Mit einem voll beladenen Schiff fuhr er zurück nach Yap und warf das Geld auf den Markt. Bezahlbar in Seegurken.
Die Yaper staunten nicht schlecht, stürzten sich ins Wasser und pflückten Seegurken en gros. Wir kennen den Wechselkurs von Seegurken und Steingeld leider nicht. Tatsache ist, dass O’Keefe in kürzester Zeit zum Meister aller Seegurkenhändler aufstieg.
Er beschloss, sich zur Ruhe zu setzen und baute sich in der Lagune von Yap ein Häuschen. Die Yaper waren des Lobes voll, schwammen im Geld und lebten glücklich und zufrieden. Der Chief von Yap schenkte ihm seine minderjährige Tochter, schon bald heirateten sie, hatten viele Kinder, und als der Chief starb, wählte der Ältestenrat O’Keefe zum König von Yap.

Noch sind die Ruinen von O’Keefes Haus zu sehen. Und in «O’Keefes Kanteen», einer trendigen, verrauchten Bar, findet man allerhand Andenken und Bücher. Die Riesenmünzen aus Steine aber findet man immer noch zu Hunderten auf der Insel. Einzeln hinter kleinen Häuschen stehend, oder versammelt in «Steinbanken». Und die Floskel «Häsch mir hundert Stei?», macht plötzlich Sinn.

Donnerstag, August 24, 2017

O'Keefe macht Geld - Aus dem Logbuch eines Inselsammlers 3

Colonia, Yap Proper

 
Die erste Station auf unserer Reise durch die «Föderierten Staaten von Mikronesien» ist die Insel Yap. Im Gegensatz zu anderen Inselstaaten Mikronesiens, die einen sehr westlichen Lebensstil eingeschlagen haben, pflegt man hier die Traditionen. Statt beim Rock and Roll vergnügt man sich beim Sitz-Tanz, statt Budweiser serviert man Kokoswein, Betelnüsse zieht man Müsliriegeln vor. Und die Floskel «Häsch mir hundert Stei?», bekommt endlich eine korrekte Bedeutung.
Bereits die Ankunft auf dem Flughafen überraschte uns. Zwar wollten auch hier dicke Männer unsere Pässe sehen. Gleichzeitig legten uns junge Frauen und Männer duftende Blütenkränze über die Schultern, das grenzpolizeiliche Stempeln wurde zur Nebensache.
Yap zu besuchen, ohne die Geschichte des Steingeldes zu kennen, ist unmöglich. Hier ist sie: Ehrlich und redlich erzählt.

O’Keefe und die Seegurken

Stand man in früheren Zeiten im rechten Moment am richtigen Ort, war es durchaus möglich, dass man plötzlich König wurde. Der Ire O’Keefe war ein klassischer Trader, ein Händler. In Hongkong hatte er sich Geld geschnorrt und sich damit ein Schiff gekauft. Ob Perlen, getrocknete Seegurken oder auch mal Gastarbeiter: Bei ihm konnte man so ziemlich alles bestellen.
Es waren die Seegurken, ein wurstähnliches Schlabbervieh aus der Lagune, die ihm ein Königreich bescheren sollten. Ähnlich den holländischen Salatgurken bestehen auch Seegurken hauptsächlich aus Wasser. Exportiert und gehandelt werden nur die Wursthäute.

O’Keefe kam kaum nach mit dem Gurkenexport. Selbstverständlich bezahlte er seine Lieferanten nicht mit Geld. Da weit und breit keine Bank in Sicht war, tauschte er die Gurken gegen Waren aller Art. War es anfangs nur unnützer Tand, verkaufte er später auch Stoffe, Werkzeuge, Holz und Nägel. Damit baute man sich auf mancher Insel den ersten Pub und schon bald handelte O’Keefe auch mit Schnaps und Gewehren.

Es gab aber auch Insulaner, die sich schlichtweg für nichts interessierten. Vor allem wäre es ihnen nie und nimmer in den Sinn gekommen, für fremde Herren zu arbeiten. Sollten die doch ihre Seegurken selber auflesen! Ganz abgesehen davon hatten sie auch sonst schon genug Arbeit. Sie waren mit Geld scheffeln bereits gut ausgelastet.

 

→ wird fortgesetzt

Mittwoch, August 23, 2017

Wie werde ich Eroberer - Aus dem Logbuch eines Inselsammlers 2

Krieg und kaum Frieden
1899 verkauften die Spanier die Inseln den Deutschen. Fortan wurde mit Gewehren und Zwangsarbeit organisiert. Nun waren allerdings unsere Inselmenschen nicht bereit zu «arbeiten». Ganz abgesehen davon, gab und gibt es in ihrer Sprache gar kein Wort für eine solche Tätigkeit. 1914, nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, marschierten die Japaner ein und schmissen die Deutschen hinaus.
Als der Krieg zu Ende war, erhielten die Japaner das Mandat des Völkerbundes, die Inseln zu verwalten. Unter der Bedingung, dass keinerlei Truppen stationiert werden dürfen. Die Japaner warteten der guten Ordnung halber ein halbes Jährchen ab.
Dann aber schlossen sie ihr neues Reich ab und warfen die Schlüssel weit weg. Bald einmal wurden die Inseln zum militärischen Sperrbezirk erklärt, sie wurden zu einem riesigen Militärstützpunkt ausgebaut. Die japanische Flotte nahm sich dieser Aufgabe an, baute Docks, Flugplätze, Wehranlagen, Dampfbäder und Geisha-Häuser.



Die japanische Bevölkerung überwog jetzt die Einheimischen um ein Mehrfaches. Die Insulaner wurden zu Haushaltshilfen, Gärtnern und Kammerzofen ausgebildet und erlebten eine relativ ruhige Zeit. Es gab genug zu essen, man lernte ein bisschen japanisch und lebte glücklich und zufrieden.
Was sich allerdings änderte, als der japanische Kaiser beschloss, in den Zweiten Weltkrieg einzutreten und die Amerikaner in Pearl Harbour anzugreifen. Wie wir wissen, waren diese ziemlich erzürnt ob des dreisten Überfalls und starteten ihrerseits eine Attacke. Und da sie dies äusserst erfolgreich taten, standen sie im Februar 1943 auch vor unserer Insel. Eigentlich standen sie nicht. Sie schwammen auf Flugzeugträgern. Nach der nun folgenden Operation «Hailstone» und dem damit einhergehenden Bombardement stand nichts mehr auf der Insel; keine Palmen und keine Brotfruchtbäume mehr, kaum noch Taro-Felder. Was blieb, war Hunger, tödlicher Hunger.

Junkfood und Rock and Roll

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten die USA das Mandat, die Inseln zu verwalten. Sie überliessen diese Aufgabe der Navy. Und den Missionaren.
Das Wort Gottes wurde, in Konservendosen, Coca-Cola-Flaschen und Kaugummi verpackt, gepredigt. Man verteilte grosszügig Lebensmittelmarken mit denen man diese feinen Sachen im Missionsladen abholen konnte. Eine ganze Generation gewöhnte sich an Junkfood, Motorboote und Rock and Roll.
Man vergass mit der Zeit, Früchte und Gemüse selber anzupflanzen, niemand mehr konnte Kanus herstellen und das Wissen der pazifischen Navigatoren ging beinahe verloren. Nachdem das Mandat der UNO langsam zu Ende ging, wurde eine Insel nach der andern in die Selbständigkeit entlassen. Man feierte drei Wochen lang.
Als der Zauber vorbei und der Geist wieder nüchtern war, stellte man mit Schrecken fest, dass eigentlich niemand genau wusste, wie so ein Staat überhaupt funktionierte. Und so überliess man den Amerikanern noch so gerne Aufgaben wie die Verteidigung, das Postwesen und andere, arbeitsintensive Aufgaben. Natürlich nicht gratis.
In einer Vereinbarung wurde festgeschrieben, dass die Amerikaner jederzeit die Inseln und die Gewässer militärisch nutzen können. Auf unserer Insel hat sich die amerikanische Armee Gott sei Dank noch nicht blicken lassen. Wobei ich mir fast sicher bin, dass die Missionare mehr Schaden anrichten.

 
Fortsetzung → O’Keefe macht Geld

Dienstag, August 22, 2017

Wie werde ich Eroberer - Aus dem Logbuch eines Inselsammlers 1

Die Föderierten Staaten von Mikronesien (FSM), sind theoretisch eine eigenständige Nation. Sie bestehen aus vier Staaten mit jeweils Hunderten von bewohnten und unbewohnten Inseln. Sie liegen zwischen den Philippinen und Hawaii; von der östlichsten zur westlichsten Insel liegt die ungeheure Distanz von dreitausend Kilometern. Der Verwaltungsaufwand ist demensprechend gewaltig, dessen Nutzen gering. Mikronesien gehört, statistisch gesehen, zu den ärmsten Ländern der Welt. Man kennt zwar keine Hungerarmut, der Hunger nach Bildung und ärztlicher Versorgung jedoch ist gewaltig. Zur Föderation gehören die Inselstaaten Yap, Chuuk, Pohnpei und Kosrae. Von diesen Inseln und ihren Menschen handeln die folgenden Geschichten aus Mikronesien.

Wie werde ich Eroberer

Europa arbeitete sich mühsam durchs Mittelalter. Man schlug sich gegenseitig die Köpfe blutig und auch sonst war allerhand los. Was Hungersnöte und die Pest nicht schafften vollbrachte die katholische Inquisition. Und die ersten Portugiesen zogen aus, die Welt zu entdecken. Da sie dies durchaus gründlich taten, sichteten sie eines Tages auch unsere Inseln. Aber dazu später mehr.
Vorerst sollte die Frage geklärt werden, wie man denn überhaupt Eroberer wurde. Welche Berufslehre eignete sich zur Ausübung dieses Berufes? Diese Frage kann leicht beantwortet werden: Es war völlig egal! Leif Eriksson, der alte Wikinger, war Sohn von Beruf und tat, was sein Vater, Erik der Rote, ihm vormachte. Ein bisschen totschlagen hier, ein wenig erobern dort, in wohlschmeckenden Robbenfellen schlafen und die Wikinger anführen.

Kolumbus schaffte es dank einer Tellerwäscherkarriere vom Schiffsjungen bis zum Admiral und Entdecker Amerikas; Kollege Pizarro wurde als uneheliches Kind einer Magd geboren, blieb Zeit seines Lebens Analphabet und eroberte kurz mal das Inkareich. James Cook war das Kind eines schottischen Tagelöhners und begann seine Karriere als Schiffsjunge.

Die mikronesischen Inseln wurden wohl eher zufällig entdeckt. Es war also nicht so, dass irgendein Berufsentdecker eines schönen Morgens ausrief: Ich werde jetzt Mikronesien erobern!
Ein Wort zur damaligen Schifffahrt: Stellen Sie sich einen mittleren Ausflugsdampfer auf dem Bodensee vor. Und jetzt halbieren Sie ihn, setzen drei Segel oben drauf und packen zweihundert Leute rein. Geschlafen wurde in Dreierschicht, zu essen gab es Sauerkraut (zwecks Vitamin C) und Schiffszwieback (zwecks Beherrschung des Sauerkrauts). Es muss wahrlich ungemütlich gewesen sein!
Zu den üblichen Navigationsproblemen kam hinzu, dass man in diesen Zeiten wenig wusste über Meeresströmungen und Winde. Und so passierte es, dass manche Expedition ein völlig anderes Ziel erreichte. Genau so muss es gewesen sein, als der staatl. dipl. portugiesische Kapitän Alfonso Dublon plötzlich eine völlig unbekannte Insel vor sich sah. Ohne jemanden zu fragen notierte er in seinem Logbuch: «Habe für Vaterland und die heilige Kirche neue Insel entdeckt: Sie heisst ab sofort Dublon».
Eine besondere Landplage waren die nächsten Ankömmlinge: die amerikanischen Walfänger. Sie benutzten einzelne Inseln als Lebensmittellager für ihre Walfangflotten in der Antarktis. Sie brachten sowohl Schweine als auch Hühner mit und überliessen diese den Einheimischen zur flotten Vermehrung.
Gleichzeitig tauchten auch die ersten spanischen Gallonen auf. Die Spanier dachten jedoch nicht daran, die Inseln wirklich in Besitz zu nehmen. Es war die spanische Kirche, die auf Seelenjagd ging. Die Armee half den Pfaffen, die Inseln leidlich zu befrieden, baute üblicherweise eine Kirche und ein Pfarrhaus und verabschiedete sich dann wieder.
Auch britische und deutsche Handelshäuser liessen auf einigen Inseln Filialen errichten. Man handelte mit Kopra, dem getrockneten Fleisch der Kokosnüsse. Man bezahlte anfangs mit Glasperlen und Werkzeugen, später auch mit Gewehren und Schnaps.

→ Fortsetzung folgt

Samstag, August 12, 2017

Die Langweiler vom Dienst

«Bei Euch da oben ist’s doch langweilig!» Diesen Satz sprach unlängst mein Freund Schaaggi. Er wohnt in der Stadt und meinte mit «da oben» eindeutig das obere Baselbiet. Einen solchen Chabis konnte ich natürlich nicht unbeantwortet lassen. Denn – wie Grossvater schon wusste – nur langweiligen Leuten ist’s langweilig!

«Nein mein lieber Schaaggi», konterte ich, «bei uns ‘da oben’ ist ganz schön viel los», und erzählte ihm vom heutigen Morgen, einem schönen Sommertag an einer Quartierstrasse in Sissach. Ich sitze auf dem Balkon, trinke den ersten Kaffee des Tages und warte auf die Post.

Der Zeitungsmann kam bereits um 05.00 Uhr. Etwas später füllte ein privater Prospektverteiler meinen Briefkasten mit Papierschrott. Kurz nach acht sichtete ich den ersten Paketdienst. Anschliessend verteilte Ueztürk bunte Zettel mit seinem neusten Pizzaangebot.

Es ist 09.00 Uhr und die Post ist noch nicht da. Die Müllmänner kesseln lautstark durch die Strasse. Ein Privatpost-Camion flitzt um die Ecke. Der Valserwassermann beliefert den Nachbarn. Der Blumenmann bringt dem Elsi nebenan einen Frühlingsstrauss. Der Erbslimann folgt auf den Eiermann und den Tomatenspaghetti-Mann. Schon wieder ein Pöstler, diesmal mit Dutzenden von Zalando-Paketen für Frau Gfätterli. Noch habe ich keine Post erhalten. Ein Möbelhaus aus Deutschland lädt bei Kummerli’s eine neue Kommode ab. Die Spitex rollt an, ein Krankenwagen erscheint, die Feuerwehr fährt zum täglichen Apéro. Auf der nahen Baustelle hält der Znüniwagen einer Bäckerei; schon wieder die Spitex. Ein Winzer beliefert die Nachbarin. Noch kein Pöstler ins Sicht. Bei M. steht der Wagen vom Elektriker. Ein Holländer holpert mit einem Sattelschlepper voller Blumen durchs Quartier. Der Schulbus holt Kinder, ein Fahrdienst bringt das Elsi zur Dialyse ins Spital, holt Frau Aeberding von der Physiotherapie ab und bringt anschliessend Herrn Schnitterbligg ins Altersheim.

10.00 Uhr Jetzt kommt die Paketpost. Eine Polizeipatrouille fährt vorbei. Sie hält nicht an. Eben ist der Hauswart eingetroffen. Der Nachbar hat seine Briefe im Postfach abgeholt und kommt nach Hause. Ein Taxi fährt vor. Noch eins. Ein Lieferwagen aus Basel fährt die Strasse hoch, es werden wohl die Lachsbrötchen und der Champagner für den Herrn Toggter weiter oben sein.

Express-Postschiff Venedig
12.00 Uhr Der Kindergarten ist aus. Fünf Personenwagen und ein uralter VW-Bus parken die Gegend zu; die Goofen müssen abgeholt werden. Die Wischmaschine ist eben vorbeigefahren. Ein Traktor hält an, Zeitungen werden gesammelt. Morgen kommt die Kleidersammlung. Wo ist mein Briefträger? Ein Auto fährt vor, bitte nicht schon wieder die Mormonen! War da nicht die Sirene eines Krankenwagens zu hören? Von wegen langweilig!

Die Glocken vom nahen Kirchturm verkünden es laut und deutlich: Es ist 14.00 Uhr. Der einzige Langweiler im Dorf ist der Pöstler.

Montag, August 07, 2017

Der Schwur

Während vieler Jahre schrieb ich Gastrokolumnen, Textbeiträge über mehr oder weniger nennenswerte Restaurants und Gasthäuser.

Die Aufträge aus der Redaktion waren jeweils kurz und bündig und trafen wenige Minuten vor Mittag ein: «Krone, Hugelshofen, 1’300 bis 18.00, Inserat». In Klarschrift hiess dies, dass ich bis 18.00 Uhr des gleichen Tages einen Bericht im Umfang von 1'300 Zeichen abzuliefern hatte. Das Codewort «Inserat» meinte, dass der Bericht wohlwollend zu sein habe, da die Krone ein Inserat in Auftrag geben würde.
Die Krone in Hugelshofen aber war kein gastlicher Hof, sondern ein äusserst gastfeindlicher Ort. Ich rief sofort meinen Redaktor an. «Schäff, die Krone ist ein mordsmässiger Sauladen, da kannst du selber hin!» Seine Antwort war deutlich. «Wenn du nicht willst, dann schicke ich eben Kaderli!» Angesichts meiner schwindenden Bargeldbestände änderte ich meine Meinung, packte meine kleine, grüne Olivetti ein, und machte mich auf den Weg nach Hugelshofen.

Ich schrieb den mordsmässigen Sauladen wie gewünscht in ungeahnte Höhen kulinarischer Landschaften, die Köche beförderte ich ins gastronomische Firmament und die Wirtin erhob ich in den angegarten Adelsstand.
Ich fantasierte über die angeblich delikate Madagaskarpfefferblütenmousse, die gemäss Oberkellner mit selbst gepflückten Bocksbartwedeln abgeschmeckt wurde. Und fabulierte über das Hämpfeli frittierter Sauerampferwurzeln, die auf ihrem Bettlein aus japanischem Kukurukukuu friedvoll vor sich hin dufteten. Und von Tubaggsöömli, serviert in ihrem Schränggli voller Trichteranemonen-Sprossen, die meine Geschmackspapillen implodieren liessen. 


Nein, ich war nie stolz auf diese schwülstigen Texte; dem Wahnsinn zugeneigte Köche und hirnverbrannte Gastwirte würden nie zu meinem Freundeskreis gehören! Kurzerhand packte ich meine Olivetti zusammen und schwor beim Barte von Lord Sandwich, nie mehr über Restaurants zu schreiben. Für jüngere Leser: Eine Olivetti ist eine Schreibmaschine. Mit ihr konnte man ohne Strom und Internet ganze Bücher schreiben. Besonders die seltene, grüne Variante verlieh ihrem Besitzer eine Aura von mobiler Professionalität.

Heute aber breche ich meinen Schwur. Angesichts des köstlichen Knochens der vor mir auf dem Teller liegt, fällt mir dies nicht schwer. Dessen Inhalt: butterzartes Mark vom Rind. Der Autor und Produzent der Sendung «Bourdain – eine Frage des Geschmacks», beförderte dieses kurzerhand zur «Butter der Götter». Für Liebhaber grosser Röhrenknochen sind diese jedoch nicht göttlich, sondern schlichtweg der Himmel auf Erden. Sie werden der Länge nach halbiert und im Ofen gegart. Man würzt mit Salz und Pfeffer und serviert sie wahlweise mit frischem oder geröstetem Weissbrot. Damit Sie nicht selber mit der Knochensäge hantieren müssen, reservieren Sie sich jetzt einen Tisch im Alpbad in Sissach.