Der vierte Teil der Reportage aus Mikronesien beschreibt
eine Dampferfahrt an Bord der S.S.Thorfinn. Ziel ist Satawal, die Insel der
Navigatoren.
Warmes Bier und Lendenschurz
Wir erreichen die Insel Satawal kurz vor
Tagesanbruch. Mit grösster Vorsicht hat die S.S.Thorfinn die Passage durch das
Riff gemeistert und vielleicht zweihundert Meter vom Ufer entfernt den grossen
Anker gesetzt. Die Dämmerung bricht an, erste Sonnenstrahlen beleuchten das
Ufer und geben die Sicht frei auf eine beinahe biblische Szene. Hunderte von
Menschen, jung und alt, säumen den Strand. In bunten Kleidern, manchmal auch
nur von Lendenschurz oder Bast-Rock bedeckt, sitzen, stehen oder liegen sie
zwischen Palmen und windgeduckten Sträuchern.
Bevor wir an Land dürfen, läuft die übliche
Zeremonie ab. Manno, der Chief der Insel, kommt an Bord. Die Frau des Kapitäns
serviert ihm als Willkommenstrunk ein eiskaltes Bier. Welch’ herrliche Wohltat für
unsern Besuch! Denn, auch wenn es Bier gäbe auf Satawal, es wäre mangels
Kühlschränken vierzig Grad warm.
Es entwickelt sich das übliche Palaver über
Gott, die Welt und Geld. Beim zweiten Bier erfährt der Kapitän, dass die
Hafengebühren gestern eben verdoppelt wurden. Dass es in Satawal keinen Hafen
gibt, spielt diesbezüglich keine Rolle. Zusätzlich wird eine neue Ankergebühr,
eine Besuchsgebühr und ein Obolus für die Tanzvorführungen verlangt.
Das dritte Bierglas ist leer und der Kapitän
drängt zum Aufbruch. Jetzt setzt der Kapitän mit einem Matrosen und dem etwas
angeschlagenen Besucher in einem kleinen Boot zur Insel über. Dort wird er vom
insularen Gemeinderat begrüsst, die Gastgeschenke (Bier, Tabak, Kaffee, Zucker)
werden übergeben. Nach einem kurzen Blick in die Schachteln nickt der Chief,
und auch wir dürfen die Insel betreten.
Die
Begrüssung ist überaus fröhlich, die Stimmung beinahe ausgelassen.
Die Einheimischen schliessen sich uns an, begleiten uns über Trampelpfade zu
ihren Hütten, zeigen uns stolz ihr kleines Paradies. Man serviert uns Palmwein
und Kokosnüsse, ich rauche eine selbstgedrehte Zigarette. Das Papier stamm von
einer alten Zeitung, ich erkenne japanische Schriftzeichen. Zutrauliche Vögel
hüpfen uns auf die Schulter, wir klettern über Flugzeugwracks aus dem Zweiten
Weltkrieg. Am Strand liegen glückliche Schweine. Allerdings sind sie
angebunden, sie würden sonst innert kürzester Zeit die Taro-Gärten umgraben und
zerstören. Das Schulhaus ist geschlossen, der Lehrer schon längst abgehauen.
Auch die kleine Sanitätsstation scheint unbesetzt zu sein. Die Solaranlagen
sind defekt, genauso wie der grosse Stromgenerator. Das letzte
Versorgungsschiff besuchte die Insel vor sechs Monaten. Es hatte Reis und
Kunststoffsandalen im Angebot. Und somit ist die Frage geklärt, warum alle
Inselbewohner die gleichen, blauen Schlappen tragen.
Angesichts der, für unsere Augen doch ziemlich
desolaten Situation, müssten wir eigentlich auf lauter unglückliche,
verzweifelte und depressive Menschen stossen. Tun wir jedoch nicht. Nicht ein
einziger Anwärter auf ein Burnout weit und breit!