Montag, August 07, 2017

Der Schwur

Während vieler Jahre schrieb ich Gastrokolumnen, Textbeiträge über mehr oder weniger nennenswerte Restaurants und Gasthäuser.

Die Aufträge aus der Redaktion waren jeweils kurz und bündig und trafen wenige Minuten vor Mittag ein: «Krone, Hugelshofen, 1’300 bis 18.00, Inserat». In Klarschrift hiess dies, dass ich bis 18.00 Uhr des gleichen Tages einen Bericht im Umfang von 1'300 Zeichen abzuliefern hatte. Das Codewort «Inserat» meinte, dass der Bericht wohlwollend zu sein habe, da die Krone ein Inserat in Auftrag geben würde.
Die Krone in Hugelshofen aber war kein gastlicher Hof, sondern ein äusserst gastfeindlicher Ort. Ich rief sofort meinen Redaktor an. «Schäff, die Krone ist ein mordsmässiger Sauladen, da kannst du selber hin!» Seine Antwort war deutlich. «Wenn du nicht willst, dann schicke ich eben Kaderli!» Angesichts meiner schwindenden Bargeldbestände änderte ich meine Meinung, packte meine kleine, grüne Olivetti ein, und machte mich auf den Weg nach Hugelshofen.

Ich schrieb den mordsmässigen Sauladen wie gewünscht in ungeahnte Höhen kulinarischer Landschaften, die Köche beförderte ich ins gastronomische Firmament und die Wirtin erhob ich in den angegarten Adelsstand.
Ich fantasierte über die angeblich delikate Madagaskarpfefferblütenmousse, die gemäss Oberkellner mit selbst gepflückten Bocksbartwedeln abgeschmeckt wurde. Und fabulierte über das Hämpfeli frittierter Sauerampferwurzeln, die auf ihrem Bettlein aus japanischem Kukurukukuu friedvoll vor sich hin dufteten. Und von Tubaggsöömli, serviert in ihrem Schränggli voller Trichteranemonen-Sprossen, die meine Geschmackspapillen implodieren liessen. 


Nein, ich war nie stolz auf diese schwülstigen Texte; dem Wahnsinn zugeneigte Köche und hirnverbrannte Gastwirte würden nie zu meinem Freundeskreis gehören! Kurzerhand packte ich meine Olivetti zusammen und schwor beim Barte von Lord Sandwich, nie mehr über Restaurants zu schreiben. Für jüngere Leser: Eine Olivetti ist eine Schreibmaschine. Mit ihr konnte man ohne Strom und Internet ganze Bücher schreiben. Besonders die seltene, grüne Variante verlieh ihrem Besitzer eine Aura von mobiler Professionalität.

Heute aber breche ich meinen Schwur. Angesichts des köstlichen Knochens der vor mir auf dem Teller liegt, fällt mir dies nicht schwer. Dessen Inhalt: butterzartes Mark vom Rind. Der Autor und Produzent der Sendung «Bourdain – eine Frage des Geschmacks», beförderte dieses kurzerhand zur «Butter der Götter». Für Liebhaber grosser Röhrenknochen sind diese jedoch nicht göttlich, sondern schlichtweg der Himmel auf Erden. Sie werden der Länge nach halbiert und im Ofen gegart. Man würzt mit Salz und Pfeffer und serviert sie wahlweise mit frischem oder geröstetem Weissbrot. Damit Sie nicht selber mit der Knochensäge hantieren müssen, reservieren Sie sich jetzt einen Tisch im Alpbad in Sissach.

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