Samstag, August 12, 2017

Die Langweiler vom Dienst

«Bei Euch da oben ist’s doch langweilig!» Diesen Satz sprach unlängst mein Freund Schaaggi. Er wohnt in der Stadt und meinte mit «da oben» eindeutig das obere Baselbiet. Einen solchen Chabis konnte ich natürlich nicht unbeantwortet lassen. Denn – wie Grossvater schon wusste – nur langweiligen Leuten ist’s langweilig!

«Nein mein lieber Schaaggi», konterte ich, «bei uns ‘da oben’ ist ganz schön viel los», und erzählte ihm vom heutigen Morgen, einem schönen Sommertag an einer Quartierstrasse in Sissach. Ich sitze auf dem Balkon, trinke den ersten Kaffee des Tages und warte auf die Post.

Der Zeitungsmann kam bereits um 05.00 Uhr. Etwas später füllte ein privater Prospektverteiler meinen Briefkasten mit Papierschrott. Kurz nach acht sichtete ich den ersten Paketdienst. Anschliessend verteilte Ueztürk bunte Zettel mit seinem neusten Pizzaangebot.

Es ist 09.00 Uhr und die Post ist noch nicht da. Die Müllmänner kesseln lautstark durch die Strasse. Ein Privatpost-Camion flitzt um die Ecke. Der Valserwassermann beliefert den Nachbarn. Der Blumenmann bringt dem Elsi nebenan einen Frühlingsstrauss. Der Erbslimann folgt auf den Eiermann und den Tomatenspaghetti-Mann. Schon wieder ein Pöstler, diesmal mit Dutzenden von Zalando-Paketen für Frau Gfätterli. Noch habe ich keine Post erhalten. Ein Möbelhaus aus Deutschland lädt bei Kummerli’s eine neue Kommode ab. Die Spitex rollt an, ein Krankenwagen erscheint, die Feuerwehr fährt zum täglichen Apéro. Auf der nahen Baustelle hält der Znüniwagen einer Bäckerei; schon wieder die Spitex. Ein Winzer beliefert die Nachbarin. Noch kein Pöstler ins Sicht. Bei M. steht der Wagen vom Elektriker. Ein Holländer holpert mit einem Sattelschlepper voller Blumen durchs Quartier. Der Schulbus holt Kinder, ein Fahrdienst bringt das Elsi zur Dialyse ins Spital, holt Frau Aeberding von der Physiotherapie ab und bringt anschliessend Herrn Schnitterbligg ins Altersheim.

10.00 Uhr Jetzt kommt die Paketpost. Eine Polizeipatrouille fährt vorbei. Sie hält nicht an. Eben ist der Hauswart eingetroffen. Der Nachbar hat seine Briefe im Postfach abgeholt und kommt nach Hause. Ein Taxi fährt vor. Noch eins. Ein Lieferwagen aus Basel fährt die Strasse hoch, es werden wohl die Lachsbrötchen und der Champagner für den Herrn Toggter weiter oben sein.

Express-Postschiff Venedig
12.00 Uhr Der Kindergarten ist aus. Fünf Personenwagen und ein uralter VW-Bus parken die Gegend zu; die Goofen müssen abgeholt werden. Die Wischmaschine ist eben vorbeigefahren. Ein Traktor hält an, Zeitungen werden gesammelt. Morgen kommt die Kleidersammlung. Wo ist mein Briefträger? Ein Auto fährt vor, bitte nicht schon wieder die Mormonen! War da nicht die Sirene eines Krankenwagens zu hören? Von wegen langweilig!

Die Glocken vom nahen Kirchturm verkünden es laut und deutlich: Es ist 14.00 Uhr. Der einzige Langweiler im Dorf ist der Pöstler.

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