Montag, August 28, 2017

Zeitlosigkeit - Aus dem Logbuch eines Inselsammlers 5

Ulithi-Atoll, Yap Outer Islands

Es gibt Ziele, die einfacher zu erreichen sind. Zum Beispiel Mallorca. Aber dorthin können wir hoffentlich auch später noch reisen. Und dies ganz ohne umständliche Anreisen und komplizierte Einreisebestimmungen. Von Europa bis nach Yap reist man noch einigermassen entspannt. Nur gerade die amerikanische Insel Guam muss überwunden werden.
Ein Aufenthalt auf den «Outer Islands», den äusseren Inseln, muss frühzeitig organsiert werden. Nicht nur, weil man für deren Besuch ein lokales Visum benötigt, sondern auch, weil die Insel nur von kleinen Propellermaschinen einer Missionsgesellschaft angeflogen werden.
Wir hatten die Reise sorgfältig geplant. Da man die Flüge von Yap nach Ulithi nicht beim nächsten Reisebüro buchen konnte, schrieb ich direkt den Missionaren in Yap. Und bekam überraschend schnell eine Antwort. Der Chefmissionar der «Pacific Mission Aviation ― Serving Jesus Christ in the Islands of Micronesia ― meldete sich persönlich mit dem kurzen Satz: «Kein Problem, ich komme am 28. Dezember um 18.00 Uhr in ihr Hotel und bringe den Flugschein, Halleluja!»
 
Auf den äusseren Inseln kann es durchaus sein, dass während Monaten kein Schiff vorbeikommt. Nur auf wenigen Inseln können kleine Propellermaschinen landen. Man hat deshalb alle Zeit dieser Welt, um über die Zeit an sich nachzudenken. Denn Zeit ist ein Begriff, denn es so in diesen Breitengraden nicht gibt. Zeit ist, wenn die Sonne aufgeht oder wenn eine Kokosnuss herunterfällt. Zeit ist, wenn die Sau zum Eber und der Fisch zur Angel geht.
Die Menschen sind die Herren der Zeitlosigkeit. Und manchmal schenken sie dir ein Stück davon. Und wenn du die Zeit dann endlich vergessen hast, weisst du, dass du im Paradies angekommen bist.
Viele Inseln sind für Besucher schlicht tabu. Weise Chiefs – Häuptlinge – haben erkannt, welchen Schaden Prediger und ihre Kohorten anrichten können. Sie haben zusehen müssen, wie ganze Inseln ihre Kultur, das alte Wissen und die Zeitlosigkeit verloren haben.
Sollte zwecks Familienplanung oder während des Wahlkampfs jemand die Insel besuchen wollen, benötigt er ein Visum. Ausgestellt wird dieses vom «Outerisland Council». Dieser Seniorenrat tagt jedoch nur viermal im Jahr, nimmt sich dabei ausführlich Zeit und, wer würde es ihnen vergönnen, ab und zu ein Gläschen Palmwein.  Gelangen die Senatoren zum Schluss, dass der Antragssteller genehm ist, erhält er ein Visum und eine Einkaufsliste. Tatsächlich waren die Chiefs unserm Ansinnen ihr Eiland zu besuchen, überaus gnädig gestimmt und vergassen auch nicht, uns ihren Einkaufszettel zu übermitteln: Bier, Kaffee, Zucker, Tabak und Nähmaschinenöl.
Und so warteten wir am Vorabend des Weiterfluges an der menschenleeren Bar unseres Hotels auf den Piloten. Es war genau 18.00 Uhr, als sich eine bleiche, etwas unsicher wirkende Gestalt neben uns setzte.

«Grüezi, mein Name ist Gabriel. Wie der Erzengel, Halleluja! Ich wäre ihr Pilot gewesen. Wenn nicht gestern ein Taifun das Atoll ins Meer geblasen hätte. Alle Flüge sind abgesagt. Amen.»

 → wird fortgesetzt

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