Freitag, Oktober 27, 2017

Bambi

Landauf und landab blasen die Gastwirte zum grossen Halali. Man sei «wild auf Wild» behauptet so mancher Koch und offeriert seinen Gästen «nur das Beste aus einheimischer Jagd».

Tagträumend sehe ich Weisshüte vor mir, wie sie ― Messer wetzend und grimmig blickend ― durchs Unterholz schleichen und manch’ armem Schwarzkittel nach dem Leben trachten.
Tatsächlich aber führt des Koches Jagd vornehmlich durch die tristen Regalgänge des nächsten Grossmarktes, wo er sich ― Bleistift wetzend und grimmig blickend ― von Aktionsangebot zu Aktionsangebot schleicht. Der einheimische Aktions-Hirsch röhrte letztmals in Ungarn, die Tiefpreis-Hasen gaben ihre Löffel in China ab. Die Sonderangebots-Rehlein stammen aus der eigenen Jagd in Hinterindien und der Wildsaupfeffer ― natürlich kalibriert, sterilisiert, pasteurisiert und in handlichen 10-kg-Kesseln geliefert ― wurde östlich des Urals eingebeizt.

In einer Zeit, in der Ethik im besten Fall als Kurzform von Etikette verstanden wird, ist der Etikettenschwindel alltäglich. Und ― auch wenn der Import von afrikanischen Kudus, Schwarzschwanzgazellen und andern Springböcken zurückgegangen ist: Immer wieder tauchen einige von ihnen als Rehrücken «Hubertus» oder Rehpfeffer «Diana» einheimisch wieder auf. Etikettenschwindel nennen es die einen und zucken die Achseln. Ich nenne es Betrug, Betrug am Gast.

 

«Wild» ist der Sammelbegriff für jagdbare Tiere. Dazu gehören nicht nur Rehe, Hirsche und Wildsauen, sondern auch die Steinbeisser. Da eine Aufzählung sämtlicher Wildgerichte aus Platzgründen nicht in Frage kommt, befassen wir uns heute ausschliesslich mit dem Reh, oder mit dem, was viele Menschen darunter verstehen. Als ich letzthin einer Bekannten von meiner Vorliebe für Rehrücken erzählte, wollte sie gleich in Tränen ausbrechen. «Wie kannst du nur so ein herziges Bambi verspeisen – und du willst Gourmet sein - pfui!» Bevor sie sich auf mich stürzen konnte, gelang es mir, sie zu beruhigen. Denn beim herzigen Disney-Bambi handelt es sich mitnichten um ein Rehlein. Da Rehe in Amerika unbekannt waren, behalfen sich die Zeichner des Trickfilms mit dem Bild eines Weisswedelhirsches. Um die Verwirrung noch grösser zu machen, wurde das Vieh bei der Übersetzung ins Deutsche «Reh» genannt. In gewissen Kreisen nennt man den Weisswedelhirsch deshalb auch «Synchronfassungs-Reh».

Sollten Sie demnächst vor einem Rehrücken «Diana» («Die wie das Licht Glänzende») sitzen, greifen sie ungeniert und lustvoll zu. Entgegen der Meinung von A. aus B. wurde diese Zubereitungsart weder von Diana Ross («The Supremes»), noch von Lady Diana («The Royals») erfunden. Bei der Namensgeberin handelt es sich vielmehr um eine römische Göttin gleichen Namens, die je nach Wunsch für den Mond, für die Fruchtbarkeit oder für die Jagd – auch auf Synchronfassungsrehe - zuständig war.

 

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