Donnerstag, März 29, 2018

Fandango

Aus dem Buch Hühnerbrust und Federkiel von Hanspeter Gsell.
Erschienen bei BoD - erhältlich überall dort,wo's gute Bücher gibt. Vielleicht auch in der Brockenstube Ihres Vertrauens.

„Das Atmen geht schwer. So muss sich ein Feuerschlucker vorkommen, wenn er die Flamme raus bläst. Wow – ein richtiges Kraftbündel mit dem man die Fundamente vom World Trade Center bauen könnte. Sie wirkt so elegant, dass sogar der Roadster Viper eine lahme Ente wäre. Wer damit die Frau seiner Träume nicht rumkriegt, muss wirklich aussehen wie Frankenstein und das Biest zusammen. Man hat das Gefühl, es fliegen einem die Zähne raus, die Haare wachsen nach innen.“




Was Sie hier lesen, ist weder der schüttere Aufsatz eines pubertierenden Jünglings, noch der Fahrbericht eines Autojournalisten. Der Text stammt aus der Angebotskarte eines Weinhändlers. Es handelt sich um die nicht wirklich schlicht gehaltene Beschreibung eines seiner Weine.

Und jetzt vergleichen Sie diesen Beschrieb doch einmal mit der Vertextung einer Menükarte. Und was steht da? Etwa: „Zartes Kalbsfilet mit frischer Morchelsauce und feinen Nüdeli?“ Vielleicht noch etwas ausgeschmückt mit dem üblichen „hausgemacht“, aus CH-Fleisch oder auf einem Pilzbeet und dem unvermeidlichen Aceto Balsamico? Vergessen Sie doch endlich diese altmodische und vorväterische Auflistung nach Paulianischer Tradition. Fantasie ist gefragt!

Wie wär’s damit? „Unser heutiges Filet stammt vom Kalb Ignaz, das an einem lauen Frühlingsmorgen vom Muni Fandango im Natursprung mit der Kuh Flora gezeugt wurde. Der stramme Ignaz, stark wie ein Rasenmäher mit 16 Zylindern und Liebling aller Eichhörnli, entwickelte sich zu einem wahren di Caprio unter stieren Kälbern und bei seinem Anblick überkam auch die ältesten Kühe im Stall das Verlangen aller Schwiegermütter. Letzte Woche nun ging Ignaz den Weg aller Kälber, wurde gut abgehangen, zerlegt und ausgebeint: sein bestes Stück liegt auf ihrem Teller.“
Oder vielleicht so: „Als unsere Köchin heute Morgen die getrockneten Hochland-Morcheln von ihrer tödlichen Plastikhülle befreite, lief es ihr kalt den Rücken hinunter und warm wieder hinauf. Und als sie etwas später die
verschrumpelten Kümmerlinge ins kalte Feucht des Bergbachs legte, fühlte sie sich wie eine wahre Stauffacherin. Demütig und voller Hingabe beobachtete sie die Wiedergeburt der Gummimorcheln“. Und so weiter und so koch.

Lassen wir doch diese kleine Geschichte mit einer grossen Frage enden: Wer ist denn hier eigentlich das grösste Kalb?

Noch mehr Geschichten von Hanspeter Gsell finden Sie im neusten Buch.
Immer wieder Fernweh - Logbuch eines Inselsammlers / Verlag BoD


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