Mai 2003: Nachdem autofreie Sonntage einmal mehr – zumindest bis
zur nächsten Volksinitiative – vom Tisch sind, kann ich mich wieder den schönen
Dingen des Lebens zuwenden. So entschloss ich mich gestern spontan zum Besuch
des neuen Trendlokals.
Ich drängte mich durch Hunderte von modisch juvenilen
Menschen. Die Hosenböden an den Knien und die nach vorne gekämmten Haare in den
Augen, nippten androgyne Jungs um die Gunst der Stunde. Die weiblichen
Bauchnabel waren gepierct und textilfrei; die getigerten Tops erinnerten mich
fatal an die Bar des Raffles in Singapur.
Dort lag der Tiger früher allerdings vor
der Bar und die Barmänner konnten zwar schiessen, hatten aber keine Ahnung von
Shots und Alcopops. Dafür machten sie den besten Dry Martini der Welt. Dry
Martini? Warum auch nicht!
Als mir der Barmann drei Martinis hinstellte, kamen mir erste Zweifel. Meine Erklärungsversuche erstickten kläglich im Lärm und ich verschenkte die überzähligen Drinks einem wildfremden Bauchnabel.
Ich startete einen weiteren Versuch. Der fröhliche Mann hinter der Bar empfahl mir einen weissen Cabernet aus Kolumbien und servierte mir einen Sauvignon aus dem amerikanischen Columbia Valley. Der Hosenboden links bestellte in der Zwischenzeit brüllenderweise einen „On-the-Rocks mit Eis“. Auf die Frage, was er damit meine, antwortete er schlicht „On-the-Rocks mit Eis“. Leider werden wir nie wissen, was der eine wollte und der andere nicht servierte. Vielleicht ist es auch besser so.
Einmal mehr wurde im Mai 2003 über autofreie Sonntage
abgestimmt. Die Alcopops befinden sich seit den massiven Steuererhöhungen auf
dem Rückzug und der ‚Dry Martini’ ist ausgestorben. Dafür sind Piercings und
Hosenböden noch abenteuerlicher geworden. Ich habe mir trotzdem noch kein
Arschgeweih zugelegt.
Texte aus dem Buch Hühnerbrust und Federkiel
Hanspeter Gsell, Verlag BoD
Die Bilder sind alle urheberrechtlich geschützt. Allerdings nicht von mir.
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