Samstag, Januar 11, 2020

Yap 22 Zeit ist ...


 

Dieser Text erschien unter der Überschrift «Mein Leben» in der VOLKSSTIMME. Die Kolumne war einem Teil dieses Lebens gewidmet: der Zeit.

Wenn die Zeit kommt
 
Es regnet. Der Niederschlag eines ganzen Monates prasselt auf uns herab. Von wegen Schleusen, die sich geöffnet haben sollen! Ich kann ihnen versichern, dass es hier keinerlei Schleusen gibt! Es sind tosende Wassermassen, die sich über uns ergiessen. Laut den aktuellen Daten des Flughafens von Yap, waren es in weniger als zwölf Stunden eintausend Millimeter.

Noch regnet es weiter. Und es ist an der Zeit, die erste Kolumne des neuen Jahres zu schreiben. Die guten Wünsche haben sich erfüllt, die andern haben sich beizeiten wieder verflüchtigt. Oder, wie es die grossartige, österreichische Erzählerin Marie von Ebner-Eschenbach einmal formuliert hat:

«Wenn die Zeit kommt, in der man könnte, ist die vorüber, in der man kann.»

Dem ist nichts dazuzufügen. Ausser vielleicht die Tatsache, dass Zeit, so wie wir sie kennen, in manchen Ländern noch nicht entdeckt wurde.

Einmal mehr sind wir der Kälte entflohen und verbringen einen Teil des Winters in Yap, in Mikronesien. Und ich habe Zeit, über die Zeit nachzudenken.

Ob ich sie hier, in der Mitte des unendlichen Pazifiks, finden werde? Kaum. Zeit ist, wenn ein Boot ankommt, Zeit ist auch, wenn eine Kokosnuss von der Palme fällt. Zeit ist, wenn der Flieger Verwandte, Freunde und Besucher auf die Insel bringt.

Zeit ist auch, wenn die Flut die Ebbe besiegt. «Gezeiten» nennt man diese Schlacht der Urgewalten. Es sind die Wasserbewegungen der Ozeane, die infolge der Gravitation des Mondes und der Sonne durch die zugehörigen Gezeitenkräfte verursacht werden. Da der stärkere Einfluss vom Mond ausgeht, gibt es nicht in 24, sondern in knapp 25 Stunden zweimal Hochwasser und zweimal Niedrigwasser. Die Gezeiten ändern sich somit täglich, sie eignen sich nicht zur Zeitmessung. Deshalb rechnet man hier in Mikronesien eher in Vollmonden und Halbmonden als in Monaten.

Eine ganze Branche jedoch hat mit andauernden Zeitenänderungen zu kämpfen: Die Fliegerei. Ich habe deren Problematik am eigenen Leib erfahren und zu einem kleinen Rätsel verpackt:

Ein Pilot in roten Socken fliegt von X Richtung Westen. Er erreicht sein Ziel übermorgen. Ein anderer Pilot, er trägt grüne Socken, fliegt zur gleichen Zeit von X Richtung Osten und landet vorgestern. Die Frage lautet: Welcher der beiden Piloten hat an Weihnachten Broccoli gegessen?

Ich stelle mir vor, dass auch im oberen Baselbiet ein derartiges Chaos aus Tagen und Stunden herrscht.

Das Stöppli, die Sissacher Traditionsbeiz, bleibt bekanntlich am Sonntag geschlossen. Nehmen wir mal an, ein paar Meter weiter, inmitten der Sonnenkreuzung, liege eine ominöse Datumsgrenze. Dort wäre deshalb erst Samstag, das Stöppli hätte somit geöffnet. Und ich könnte noch schnell meinen Lottoschein vom Sonntag abgeben!

Vielleicht aber bewahrheitet sich die Lebensweisheit von Frau Ebner doch noch:

«Wenn die Zeit kommt, in der man könnte, ist die vorüber, in der man kann.»

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