Dienstag, Februar 25, 2020

Unendlich


(Volksstimme vom 14.2.2020)

Beharrlich langsam


Vielleicht erinnern sie sich an meine letzte Kolumne. Sie handelte von der Zeit an sich und von einer Lebensweisheit der österreichischen Erzählerin Marie von Ebner-Eschenbach: «Wenn die Zeit kommt, in der man könnte, ist die vorüber, in der man kann.»

Philosophen beschreiben die Zeit als ‘das Fortschreiten der Gegenwart von der Vergangenheit kommend und zur Zukunft hinführend’. Über einen derartigen Satz mag ich schon gar nicht nachdenken. Wieviel schöner ist doch eine Spielart der Zeit: die Langsamkeit! Langsam zu sein, hat jedoch in unserer Gesellschaft einen eher schlechten Ruf. Langsame Menschen leisten nichts und ruhen sich auf dem Rücken anderer aus. Langsame Menschen, so die Meinung, schauen den anderen bei der Arbeit zu. Soweit die Vorurteile.

Die Menschen auf der kleinen Pazifikinsel Yap arbeiten langsam, sehr langsam. Sie bewegen sich derart langsam, dass man ihnen – während sie laufen – die Schuhe von den Füssen klauen könnte. Sie würden es nicht bemerken. Braucht in Europa ein Zimmermädchen dreissig Minuten, um ein Hotelzimmer zu reinigen, so benötigen in Yap zwei Menschen sechzig Minuten für die gleiche Aufgabe. Aber nicht, weil sie faul sind, sondern weil sie weise sind.

«Die Entdeckung der Langsamkeit» ist ein 1983 erschienener Roman des deutschen Schriftstellers Sten Nadolny. Sein Hauptdarsteller ist der englische Kapitän und Polarforscher John Franklin. Franklin hat wegen seiner Langsamkeit immer wieder Schwierigkeiten, mit der Zeit, Schritt zu halten. Mit grosser Beharrlichkeit wird er am Ende zum großen Entdecker.

Buddy will nicht Entdecker werden. Er wüsste nicht einmal, was denn so ein Polarforscher den ganzen lieben langen Tag tut. Buddy ist Gärtner in der kleinen Hotelanlage und kommt jeden Tag zu spät. Obwohl er um 08.00 anfangen sollte, er kommt nie vor 10.00 Uhr. Spricht ihn jemand darauf an, antwortet er: «Meine Uhr ist stehengeblieben, meine Zeit ist unendlich geworden.» Vielleicht aber wurde unser pazifischer Freund von Antoine de Saint-Exupéry inspiriert, der seinen kleinen Prinzen sagen liess: «Du musst nur langsam genug gehen, um immer in der Sonne zu bleiben.»

Moderne Uhren können kaum mehr stehen bleiben. Sie werden mit Batterien betrieben, ziehen sich automatisch auf oder werden regelmässig aufgeladen.
Ich habe meine Uhr weggelegt und meinen Aufenthalt im Pazifik zeitlos und langsam verbracht. Weder Zeitungen noch andere Druckerzeugnisse haben mich von der Langsamkeit abgelenkt. Es gibt keine Radiostationen, es gibt keine TV-Sender. Und somit auch keine Medienkrise. Weder werden Plaketten verkauft, noch wandern seltsam gekleidete Menschen – widernatürlich trötend – durch die Stadt.

In der lokalen Sprache existiert das Wort «Gleichberechtigung» nicht, Mieter gibt es nicht. Staumeldungen braucht es nicht. Einen Windpark hat man längst. Wenn auch nicht auf der Challhöchi, sondern auf dem Gebiet der Gemeinde Ruun’uw.

Gestern gabs auf Yap eine Sonnenfinsternis. Niemand hat sich im Voraus dafür interessiert. Auch Buddy nicht.

Donnerstag, Februar 20, 2020

Wirtesonntag





Heute Wirtesonntag.

Ab Montag 24. Februar 
(vielleicht) wieder durchgehend 
lauwarme Küche.

Keine Fremdenzimmer.
Keine Kreditkarten.
Keine Chinesen.
Kein Corona-Bier.
Kein Garnichts.
Frei.


Mittwoch, Februar 19, 2020

Auf Spurensuche im Pazifik 12


Fliegenfischen


Der Wasseraustausch zwischen der Lagune – quasi dem Meer innerhalb des Riffs – und dem offenen Meer wird normalerweise durch Kanäle, auch Pässe genannt, sichergestellt. Einige sind tief genug, um auch grossen Schiffen die Durchfahrt zu ermöglichen. Auf Anaa jedoch findet man keine Pässe, die Einheimischen nennen diese Passagen Hoas. Sie gleichen eher Bächen oder kleinen Flüssen, die bei Flut das Wasser durchlassen, bei Ebbe jedoch wieder abtrocknen.
Diese kleinen Wasserläufe sollen sich gut für eine ganz besondere «Sportart» eignen: das Fliegenfischen. Da ich keine Ahnung habe, welche Fliegen mit welchen Fischen oder umgekehrt gefangen werden sollen, verlasse ich dieses Thema sofort wieder. Ausser ein paar Fliegen auf meinem Brotfrucht-Müsli und den Fischen im Meer habe ich keine der erwähnten Fliegenfischer auf der Insel Anaa gesehen.

Was aber genau bewirken Ebbe und Flut? Hat das Meer seinen höchsten Stand erreicht, spricht man von Hochwasser. Sinkt der Wasserstand wieder, beginnt die Ebbe. Hat das Meer seinen niedrigsten Stand erreicht, spricht man von Niedrigwasser. Die Ebbe ist dann vorbei und die Flut beginnt. Ebbe und Flut dauern zusammen etwas mehr als zwölf Stunden.
Rund zwei Mal pro Tag können wir deshalb an der Küste Ebbe und Flut beobachten. Auf hoher See verändert sich der Wasserstand meist nur um wenige Zentimeter, während der Unterschied an der Küste um die 10 Meter betragen kann.
Verantwortlich für Ebbe und Flut ist unter anderem der Mond: Wie ein riesiger Magnet zieht der Mond das Wasser bei Flut an. Neben den Anziehungskräften, wirken auch die Fliehkräfte zwischen Erde und Mond auf Ebbe und Flut.
Wie stark die Flut ausfällt, hängt nicht nur vom Mond, sondern auch von der Sonne ab. Stehen Sonne, Mond und Erde auf einer Linie, kommt zu der Anziehungskraft des Mondes noch die Anziehungskraft der Sonne hinzu. Man spricht dann von einer Springflut.
Im nächsten Teil der Reportage lernen Sie Kaveku, den Palmendieb von Hikitake, kennen.


Montag, Februar 17, 2020

Auf Spurensuche im Pazifik 11


Gefährliche Inseln


Anaa war in alten Zeiten ein gefürchtetes Räubernest. Die Tuamotus, das Tuamotu-Atoll, war nie ein gemütlicher Ort. Wegen ihrer vielen Untiefen und unbefahrbaren Riffpassagen, nannte man sie auch Dangerous Islands die gefährlichen Inseln. Sollten deren Bewohner gerade wieder Hunger gelitten haben, sollen sie einzelne Besucher, die es bis zu ihnen geschafft haben, auch mal in den Kochtopf gesteckt haben.

Im 19. Jahrhundert waren es amerikanische Mormonen, später französische Katholiken, die den Bewohnern die seltsamen Tischsitten ausgetrieben haben. Als sie dies mehr oder weniger erfolgreich erledigt und den – nur scheinbar gottlosen – Ureinwohnern den Weg zur Erleuchtung gewiesen hatten, kam es zwischen den rivalisierenden Missionaren zu schweren Ausschreitungen. Sie prügelten sich derart, dass die französische Armee eingreifen musste.
Es braucht einiges an Fantasie, sich die prügelnden Gottesmänner vorzustellen. Wie sich die Mormonen, mit Keulen bewaffnet, hinter Kokospalmen versteckt halten, auf die Zeugen Jehovas warten, die ihrerseits, Bibel werfend, gegen den Strand vorrücken. Dort aber hatten die französischen Pfarrer bereits die Guillotinen aufgestellt …

Wer heute in Anaa ankommt, findet einen friedlichen Ort mit freundlichen Menschen. Die Dorflehrerin führt uns über das Inselchen, und präsentiert, zusammen mit einer Schar Kinder ihr kleines Naturschutzprojekt. Jedes Jahr wird ein Fisch zum «Tier des Jahres» gewählt. Während dieser Zeit dürfen diese in einem definierten Gebiet nicht gefangen werden. Das grösste Problem der Kinder sei es, diese Verbote auch den fischenden Vätern beizubringen.

Samstag, Februar 15, 2020

Auf Spurensuche im Pazifik 10


Insel Anaa, Tuamotu-Atoll


Gestern haben wir pünktlich in Papeete abgelegt. Papeete ist gleichzeitig Hauptstadt Tahitis und des französischen Überseegebietes Französisch-Polynesien.

Nach knapp 400 km erreichen wir am Morgen des 22. März die Insel Anaa. Sie wird geografisch dem Tuamotu-Atoll zugerechnet. Moorea und Tahiti hingegen gehören zur Gruppe der Gesellschaftsinseln. Auf unserm Weg nach Pitcairn werden wir auch die Gambier- und die Austral-Inseln besuchen. Den Marquesas-Archipel haben wir bereits vor einigen Jahren bereist.

Sollten Sie eben mit Ihrem SUV unterwegs sein: Hier die Koordinaten für Anaa: 17 Grad Süd, 147 Grad Ost.

Das Schiff treibt vor Tukuhora, dem Hauptort der Insel Anaa. Man zählt zurzeit gerademal 480 Einwohner, früher sollen es einige Tausend gewesen sein. «Früher», das bedeutet hier: vor 1983.
Der Pazifik wurde schon immer von Zyklonen heimgesucht. Das Jahr 1983 aber wurde zur Katastrophe für die schutzlosen, kleinen Inselwelten Polynesiens. Ganze Eilande sind im Meer verschwunden, wurden weggeschwemmt von gewaltigen Fluten, weggeblasen von ungeheuren Windmassen. Auch die Insel Anaa war wochenlang von der Aussenwelt abgeschnitten. Das Dorf Tukuhora hatte aufgehört zu existieren. Das einzige Haus, das den Zyklon Orama einigermassen unbeschadet überstanden hat - und den Menschen während langer Zeit als Dach über dem Kopf diente - war die katholische St.Joseph-Kirche. Somit muss ich meine Meinung zur Kirche tatsächlich revidieren: Es gab Fälle, bei denen sie Menschen «gerettet» hat.
Nach Anaa kommt man aus Tahiti wöchentlich mit dem Flugzeug. Versorgt werden die Inseln per Schiff.

Es gibt den Orkan, den Hurrikan, den Taifun, Blizzards, Tornados, Wind- und Wasserhosen. Je nach Weltgegend und Ausmass nennt man es anders, wenn einem ein Sturm die Haare zerzaust.
Klar haben wir alle schon mal einen Sturm erlebt. Im Vergleich zu ihren tropischen Vettern war dieser wohl eher ein Sturm im Wasserglas. Wenn die äquatorialen Wettergötter mal so richtig schlecht gelaunt sind, dann ist die Hölle los! Bei Windstärken von weit über 200 km/h und Spitzen von bis zu 300 km/h fliegt buchstäblich alles davon.
Solche Super-Taifune sind keineswegs selten. Eher selten brechen sie über bewohnte Gebiete herein. Sollte es trotzdem passieren, sind die Folgen verheerend. Keine Palme steht mehr, Hütten und Häuser lösen sich in ihre Bestandteile auf und landen nach Hunderten von Kilometern irgendwo im Meer. Noch gefährlicher als der Wind an sich, sind umherfliegende Kokosnüsse und Wellblechdächer. Die Nüsse werden zu fliegenden Kanonenkugeln, die Dächer zu messerscharfen Wurfmessern, die eine Palme mühelos durchsäbeln können. Die brüllenden Winde überdecken locker den Lärm eines startenden Jumbojets.
Zum Albtraum werden die Taifune auf flachen Inseln. Das Land wird völlig überflutet und alles, was nicht fest verankert ist, verschwindet für immer im Meer.

 

Donnerstag, Februar 13, 2020

Auf Spurensuche im Pazifik 9



Gefährliche Inseln

Sissach │Auf Spurensuche im Pazifik
Teil 3: Anaa Island, Tuamotu Atoll

Endlich sind wir an Bord unseres Dampfers angekommen. Auf unserer Reise nach Pitcairn schippern wir die nächsten Tage durch den Tuamotu-Archipel und besuchen die Inseln Anaa und Amanu.

Hanspeter Gsell



Natürlich ist unser Dampfer, die MS ARANUI V, kein alter, rauchender «Steamer», sondern ein modernes Schiff, eine Mischung aus Frachter und Passagierschiff.
Die vordere Hälfte wird mit Fracht für die Inseln beladen, die hintere Hälfte ist für die Passagiere reserviert. Darunter nicht nur Inselsammler wie wir, sondern eine bunte Palette von Reisenden aus der ganzen Welt. Das Schiff ist auch das einzige bezahlbare Transportmittel zwischen den Inseln. Und so beobachtet man immer wieder, wie Einheimische unterwegs zusteigen, vielleicht um ihre Waren auf dem Markt in Papeete zu verkaufen. Schüler fahren zum Schulunterricht auf die nächste Insel, Kranke suchen Hilfe im Spital von Papeete. Immer im Gepäck dabei sind Ukuleles, Gitarren und Trommeln aller Art.

Gebaut wurde die ARANUI 5 in China, nach Plänen der Eigner-Familie Wong aus Tahiti. Mit Romina Wong, eine der Verantwortlichen der Reederei, haben wir gestern zusammengesessen. Wir haben sie bereits auf einer früheren Reise mit der ARANUI 3, zu den Marquesas-Inseln kennengelernt. Eine ARANUI 4 gabs übrigens nie. In der chinesischen Zahlenmystik bringt die Zahl «Vier» Unglück.
Nach dem Abendessen langte die Band tüchtig in die Saiten. Keine philippinischen Gitarren-Zupfer oder Disketten-Schieber waren es, die uns einheizen sollten. Es war die Mannschaft der ARANUI, die ihren Auftritt hatte.
Der Maschinist kam im blauen Überzieher, der Matrose in seiner Uniform und der Koch hatte immer noch die Mütze auf, als er sich in eine Ecke setzte. Zusammen zupften sie Ukuleles und Gitarren, bearbeiteten rhythmisch die mitgebrachten Schlitz- und Röhrentrommeln und sangen dazu mehrstimmig mit Herz und noch mehr Seele. Viel brauchte es nicht, um die Stimmung anzuheizen – die Lufttemperatur lag deutlich über 30 Grad.

Die Gäste an Bord stammen aus der ganzen Welt. Mehrheitlich wird englisch und französisch gesprochen, die Gruppe der Deutschsprechenden ist klein. Gottseidank. Ich bin ja nicht nach Polynesien gefahren, um mit meinen Nachbarn über Rösti, Raffeln und Schmelzkäse zu parlieren.


Montag, Februar 10, 2020

Auf Spurensuche im Pazifik 8


Vor 230 Jahren kam es auf der HMVA Bounty zu einer verhängnis-vollen Meuterei. Diese Reportage berichtet von unserer Reise zu den Nachfahren der Meuterer, die heute noch auf der Insel Pitcairn im Pazifik leben. Die Reise fand im Frühjahr 2019 statt.


Harald macht blau

Sissach │Auf Spurensuche im Pazifik
Teil 2: Tahiti und Moorea



Donnermacher

Nur mit dem Donnermacher hatte sich der Wettergott vor einigen Tagen angelegt. Dieser fühlte sich wohl übergangen und veranstaltete zwischen den Spitzen des Mont Tohivea und des Mont Tautuapae ein gewaltiges Donnerwetter. Hinter unserem Bungalow schien der Himmel zu explodieren, die Palmen verneigten sich angstvoll, die Brotfruchtbäume wankten bedrohlich. Es regnete nicht, es schüttete aus vollen Kübeln; während zehn Minuten.
Denn bereits am frühen Morgen des nächsten Tages hatten sich Wettergott und Donnermacher auf einen Kompromiss geeinigt: Man verzog sich zusammen in die Berge und legte sich schlafen.

Am Strand versucht ein Hund, Krabben zu fangen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, so die Besitzerin, lässt sich dieser nicht mehr in die Nase beissen und ist manchmal sogar erfolgreich bei seiner Jagd.
Auf einer Mauer hat sich eine Katze breit gemacht: Eine Hinterpfote sowie den Schwanz lässt sie auf einer Seite des Mäuerchens hinunterhängen, eine Vorderpfote dient als sanfte Unterlage für den Kopf. Ob sie wohl träumt? Die vorbeihuschenden Mäuse interessieren sie nicht. Die kleinen, farbigen Vögel im benachbarten Strauch tanzen einen Tango vor ihrer Nase.
Ähnlich unbeeindruckt geben sich die Haie vor unserer Hütte. Weiss- und Schwarzspitzenhaie durchqueren die Lagune. Die Flossen lugen dabei neckisch aus dem flachen Wasser, die Szene erinnert mich an eine alte Karikatur. Unter dem Jetty, dem Bootssteg, haben sich einige Ammenhaie zur Ruhe gelegt. Darunter befinden sich durchaus auch grosse, stattliche Exemplare. Ich gehe davon aus, dass man schlafende Haie nicht wecken sollte.

Über dem Wasser hat sich ein Bouquet aus Iod, Algen und getrocknetem Salz wie unter einer Käseglocke gefangen, es vermischt sich mit dem Geruch der Uferzone. Es riecht nach Vegetation, nach tropischen Pflanzen, Muscheln, Krabben und Seegras.

Viele Inseln haben ihre ureigenen Duftmarken hinterlassen. So gab es früher Seeleute, die einzelne Inseln mit Hilfe ihrer Nase riechen und so bestimmen konnten. Dazu gehörte auch Tahiti, genauer gesagt die Meeresenge zwischen Moorea und Tahiti. Zu gewissen Tageszeiten, wenn die Fallwinde durch die Täler Mooreas zum Meer drängten, vermischten sie sich mit dem reichen und überwältigenden Geruch von Vanille.
Im nächsten Teil der Reportage geht’s wieder zurück nach Papeete, am Donnerstag werden wir unsern Dampfer nach Pitcairn besteigen.


Sonntag, Februar 09, 2020

Auf Spurensuche im Pazifik 7


Vor 230 Jahren kam es auf der HMVA Bounty zu einer verhängnis-vollen Meuterei. Diese Reportage berichtet von unserer Reise zu den Nachfahren der Meuterer, die heute noch auf der Insel Pitcairn im Pazifik leben. Die Reise fand im Frühjahr 2019 statt.


Harald macht blau

Sissach │Auf Spurensuche im Pazifik
Teil 2: Tahiti und Moorea

Ein Plagiat ist ein Plagiat ist ein Plagiat


Wenn ich mich durch Reiseführer und Reiseblogs wühle, dann frage ich mich manchmal, ob die Verfasser wirklich hier waren, oder ob sie ihre frisch-fröhlichen Texte nicht irgendwo abgekupfert haben. Ist es nicht ein plagiarius, ein Dieb geistigen Eigentums, ein Plagöri eben, oder ein Seelenverkäufer und Menschenräuber, wie man das lateinische Wort auch übersetzen kann, der sich solche Sätze zu eigen macht? Ist ein Plagiat immer noch ein Plagiat, wenn es zum dritten Mal verwendet wird, dazu noch verfälscht und abgeändert wurde?


Doch solche Gedankenspiele kümmern mich im Moment wenig. Ich sitze am Strand, blicke auf die Lagune und höre das ferne Donnern, der sich am Saumriff brechenden Wellen. Der Gott der Farben hat tüchtig in seinen Kübeln gerührt und das Ganze mit blauer Farbe übergossen. Dann hat er sich ausgeruht, die Wolken vertrieben und die Insel mit Sonnenstrahlen überzogen. Eine Art Schöpfungsgeschichte, täglich neu inszeniert. Dem insularen Wettergott ist es völlig egal, dass Regenzeit angesagt ist. Das Klima könnte nicht besser sein, mit dem Regen experimentiert er vorwiegend nachts.


Freitag, Februar 07, 2020

Auf Spurensuche im Pazifik 6


Vor 230 Jahren kam es auf der HMVA Bounty zu einer verhängnis-vollen Meuterei. Diese Reportage berichtet von unserer Reise zu den Nachfahren der Meuterer, die heute noch auf der Insel Pitcairn im Pazifik leben. Die Reise fand im Frühjahr 2019 statt.



Das Blau der Insel Moorea

Ein Taxi bringt uns gegen Mittag zum Fährhafen. Natürlich hätte man nach Moorea auch fliegen können. Doch nachdem 1995, einige Wochen nach unserm Flug von Papeete nach Moorea, das Flugzeug in die Meerenge zwischen den beiden Inseln geplumpst war, hält sich unser Vertrauen in Grenzen. Sie meinen, man hätte sich ja die Rettungswesten überziehen können? Nein, in einer Tiefe von 1'500 Metern lassen sich die Dinger nicht aufblasen.


Die Fahrt mit der Fähre jedoch war erholsam, trocken und vergnüglich. Auf dem Mitteldeck studierte eine Gruppe Schüler einen Tanz ein. Nein, keinen Scheiss-Rap, um dieses Wort noch einmal zu verwenden, sondern einen einheimischen Tanz. Ein paar Geschäftsleute blätterten in ihren Akten, Touristen fotografierten sich gegenseitig oder machten Selfies, Reisende beobachteten das Ganze. 


In der Ferne sieht man die markanten Konturen der Insel Moorea. Auf einem Gebiet von nur 133 km2 leben 17'000 Einwohner. Ich werde nicht nachzählen. Genauso wenig wie ich die Ringstrasse (62 km) ausmessen werde, noch den Mont Tohivea mit seinen 1'207 Metern besteigen werde.
Moorea soll «Gelbe Eidechse» bedeuten, erklärt uns ein Mitreisender ungewollt. Irgendwie mag ich das nicht glauben. Ob er sich in der Farbe geirrt hat?

«Heute blau und morgen blau, und übermorgen wieder!», lautet der Refrain eines alten deutschen Trinkliedes. Das «Blau» jedoch bekommt in Polynesien eine völlig andere Bedeutung. Wissen Sie, wie viele Blautöne es gibt?

Harald Schendera hat auf seinem Blog «Mitternachtsblau» deren 272 aufgelistet. Während ich an diesem Text werkle, fällt mein Blick auf die Lagune von Moorea und ich bin sicher, dass es noch wesentlich mehr Blautöne gibt.

(Fortsetzung folgt)

Donnerstag, Februar 06, 2020

Auf Spurensuche im Pazifik 5


Vor 230 Jahren kam es auf der HMVA Bounty zu einer verhängnisvollen Meuterei. Diese Reportage berichtet von unserer Reise zu den Nachfahren der Meuterer, die heute noch auf der Insel Pitcairn im Pazifik leben. Die Reise fand im Frühjahr 2019 statt.


Harald macht blau


Die Ankunft am Flughafen von Papeete war so grossartig wie bereits vor vielen Jahren: Man wird mit Musik empfangen! Natürlich nicht mit Scheiss-Rap, sondern mit Ukulele, Gitarre und polynesischen Liedern. Drei echte Polynesier stehen auf einer kleinen Bühne, singen Lieder aus Tahiti, lächeln und wünschen den Ankommenden einen schönen Aufenthalt! Da auf dem Flughafen Faa nur alle paar Stunden ein internationaler Flug ankommt, legt man sich, nach dem Einsatz auf der Bühne, wieder hin und schläft ein.
Können Sie sich vorstellen, dass Sie in Zürich mitten in der Nacht von einer Trachtentanzgruppe erwartet werden? Wohl eher nicht!




Durch die Zeitverschiebungen ist mein Rhythmus etwas durcheinandergeraten, die aufgehende Sonne lädt zu einem kleinen Bummel ein. Auf der Suche nach einem bereits geöffneten Café spaziere ich durch die erwachende Stadt. Noch sind die Trottoirs hochgeklappt, die Läden verrammelt. Am Hafen legt die erste Fähre ab, ein luxuriöser Viermaster wartet auf Kreuzfahrtgäste. Der Weg entlang der Docks ist sauber gepflegt, Schüler schlendern durch die Parks. Der kleine Kiosk an der Rue Pomare hat geöffnet: Café au lait, Viennoiserie, Croissants, Baguettes. Dazu eine Gitane bleu. Bonjour Papeete!
Die folgende Schilderung der Ankunft in Tahiti stammt aus dem Buch Omu von Hermann Melville, dem Schöpfer des gefrässigen Moby Dick:

«Früh am folgenden Morgen sahen wir die Berggipfel von Tahiti; bei klarem Wetter sind sie auf eine Entfernung von neunzig Meilen sichtbar.
Tahiti ist mit Sicherheit die berühmteste Insel der Südsee. Zwei hochragende Gebirge mit gerundeten Gipfeln, die sich bis beinahe 2’800 Meter über den Meeresspiegel erheben, sind durch eine niedrige Landenge verbunden; die ganze Insel hat etwa hundert Meilen im Umfang. Von den hohen Mittelgipfeln der größeren Halbinsel ziehen strahlenförmig die grünen Bergkämme zum Meer hinab; dazwischen liegen breite schattige Täler, dicht bewaldet und von herrlichen Flüssen bewässert. Ungleich vielen anderen Inseln ist Tahiti von einem Gürtel niedrigen angeschwemmten Landes umgeben, auf dem der reichste Pflanzenwuchs gedeiht.
Der Anblick vom Meer aus ist prachtvoll: Eine Masse vielfach abgetönten Grüns vom Strand bis zu den Bergeshöhen, durch Täler, Kämme, Schluchten und Wasserfälle belebt die Sinne. Da und dort werfen die höheren Gipfel ihren Schatten über die Kämme und tief in die Täler hinein.
In der Ferne blitzen die Wasserfälle in der Sonne und scheinen durch hohe grüne Lauben zu stürzen. Wie eine eben erst geschaffene Zauberwelt liegt das Ganze vor uns. Und das Bild verliert durch die Nähe nicht.
Der Europäer, der zum ersten Mal in die einsamen Täler hineinwandert, glaubt zu träumen, so unaussprechlich ist die Ruhe und Schönheit der Landschaft, die ihn umgibt.»
«Oft», schrieb Bougainville, «glaubte ich im Paradies zu wandeln.»

(wird fortgesetzt)

Dienstag, Februar 04, 2020

Auf Spurensuche im Pazifik 4


(Fortsetzung)

An Bord befanden sich, neben Captain William Bligh und dem Hollywood-Meuterer Marlon Brando, alias Fletcher Christian, über vierzig Mann. Neben der seemännischen Besatzung waren darunter zwei Gärtner, zwei Zimmerleute, ein Schreiber, zwei Diener, ein Kellner, ein Koch, ein Küfer, zwei Ärzte, ein Metzger und ein Segelmacher.
Auf der Reise nach Tahiti starb ein Matrose an Skorbut. Dieser hatte offensichtlich zu wenig Sauerkraut gegessen und damit nicht genügend Vitamin C aufgenommen.
Ein Arzt soll an Alkoholvergiftung gestorben sein. Nicht verwunderlich: Auf den Schiffen wurde früher gesoffen, was das Zeugs hielt. Und da es sich bei der Tranksame weder um einen erstklassigen Scotch noch um einen sortenreinen Kirsch handelte, waren Leberzirrhosen und Wandernieren vorprogrammiert. Winston Churchill sollte später sagen, in jenen Zeiten sei das Leben auf den Schiffen der Royal Navy von Rum und Peitsche geprägt gewesen.

Drei Mann in einem Bett

Mit 45 Menschen auf einem Schiff von 28 Metern Länge waren Streitereien auf der Bounty alltäglich. Man schlief in Schichten: Drei Mann teilten sich ein Bett. Das Essen wurde mit jedem Tag an Bord schlechter. Die Vorräte an frischen Lebensmitteln waren längst aufgegessen. Manch ein Seemann soll sein Lederzeug ausgekocht haben, nur um wieder einmal etwas zum Knabbern zwischen den Zähnen zu haben.

Die Bounty ankerte am 26. Oktober 1788, nach zehn Monaten Fahrt, in der Bucht von Matavai in Tahiti. Matavai liegt in der Nähe der heutigen Stadt Papeete. Und die Insel Tahiti hiess noch nicht Tahiti, sondern Otaheite.

Ich bezweifle auch, dass das Schiff in dieser Zeit, wie berichtet, 28’086 Meilen zurückgelegt haben soll. Das wären dann 52'000 Kilometer gewesen. Allerdings gab es zu jener Zeit in Europa sechzig Definitionen für eine Meile.

Wir erreichten Tahiti 230 Jahre später mit dem Flugzeug in nur wenigen Tagen. Die Luftlinie von Basel nach Papeete beträgt 16'000 Kilometer.

Noch allerdings sind wir nicht in der Südsee angekommen. Im nächsten Teil der Reportage erfahren Sie mehr über unsere Spurensuche im Pazifik.




Sonntag, Februar 02, 2020

Auf Spurensuche im Pazifik 3


(Fortsetzung)

Eine Reise in die Vergangenheit

Früher fuhr man mit dem Schiff in die Südsee. Heute nimmt man das Flugzeug bis nach Papeete und steigt dort in ein Schiff ein. Im ersten Teil unserer Reise in die Vergangenheit besuchen wir Tahiti und Moorea. Die Bounty benötigte dafür zehn Monate, wir drei Tage.

1787 kaufte die Royal Navy, die britische Kriegsmarine, einen abgetakelten, Kohletransporter. Das Schiff, die BETHIA, wurde zum segelnden Treibhaus umgebaut, Kanonen wurden montiert, die Masten gekürzt. Man taufte sie auf den Namen HMVA BOUNTY: Her Majesty's Armed Vessel. Das englische Wort Bounty bedeutet entweder Kopfgeld, Prämie oder Freigiebigkeit. Suchen Sie sich eine passende Übersetzung aus!


Ob sie die Bezeichnung Armed – bewaffnetmit Recht tragen durfte, die paar Kanonen mögen bestenfalls zur Abwehr von Spatzen gewirkt haben, sei dahingestellt. Wie auch die Ernennung von William Bligh zum Kapitän der Bounty immer wieder Anlass zu nächtelangen Diskussionen gab und immer noch gibt.
Bligh war zwar ein hervorragender Schiffsoffizier, aber dennoch kein Kapitän, sondern gerademal Leutnant. Genau so wenig wie Fletcher Leutnant, sondern Maat im Rang eines Unteroffiziers war. Denn die Bounty war schlichtweg zu klein für solche Titel: Mit einer Rumpflänge von gerade mal 28 Metern und einem Fassungsvermögen von 215 Tonnen war sie ein in jeder Beziehung kleines Schiff.
Ein Korporal und ein Feldwebel hätten zur Führung ausgereicht. Aber lassen wir die Paragraphenreiterei. Nur ganz kurz wenden wir uns dem königlichen Auftrag zu.
«Man möge Setzlinge des Brotfruchtbaumes klauen und diese nach Jamaica, zu den Britischen Gebieten in Westindien bringen. Dort sollen die Früchte dieses Baumes unsere Sklaven vor dem Verhungern retten.»
Wie wir wissen, wurde der Auftrag nicht erfüllt, die Sklaven würden vorerst ein bisschen verhungern. Denn der vermeintlich böse Bube, Fletcher Christian, mobbte seinen vermeintlich bösen Boss, William Bligh, vom Schiff. Doch noch war es nicht so weit.

Leberzirrhosen und Wandernieren

Die Bounty lag immer noch im Hafen von Spithead in Südengland. Erst kurz vor Weihnachten, am 23. Dezember 1787, erhielt sie den Befehl zum Auslaufen: Los ging es Richtung Südamerika. Dort wollte man den südlichen Zipfel, das Kap Horn, umsegeln, um sich dann auf direktem Weg 
nach Polynesien blasen zu lassen. Doch wie immer um diese Jahreszeit tobten an der Spitze Südamerikas wilde Stürme, eine Weiterfahrt schien unmöglich. Man dachte einen Monat lang über die verzwickte Lage nach und entschied sich dann, nach Osten, nach Afrika, zu segeln, und dort das Kap der Guten Hoffnung zu umrunden.
(wird fortgesetzt) 

Samstag, Februar 01, 2020

Auf Spurensuche im Pazifik 2


(Fortsetzung)


Alle Filme sind typische Hollywood-Produktionen. Weder die Geschichte, die erzählt wird, noch die Figuren, die darin auftreten, haben viel mit der Wirklichkeit zu tun.
Die Filme sind, um es kurz und bündig zu sagen, ein blosser Abklatsch der Reise. Gedreht wurde zwar auch in Tahiti und Moorea. Das meiste jedoch entstand in den Studios von Hollywood, Aussenaufnahmen auch auf Hawaii. In Pitcairn selbst wurde nie gedreht. Die Insel war vielleicht etwas zu farblos. Wie viel blauer waren doch die Lagunen in Moorea, wie viel schöner die Mädchen auf Tahiti!
Und wo hätte Marlon Brando nur geschlafen? Es gab zu keiner Zeit ein standesgemässes Hotel auf dem pazifischen Steinhaufen – auch heute noch nicht.

Meinen Entscheid, die Nachfahren der Meuterer zu besuchen, traf ich, nachdem ich im Internet auf eine kleine Meldung gestossen war. Die MS ARANUI 5 besucht als eines der ersten Schiffe die Insel Pitcairn im südlichen Pazifik. Ausgangspunkt war der Hafen von Papeete, der Hauptstadt Tahitis. Ganze zweimal war die Insel programmiert, die erste Reise war bereits seit einem Jahr ausgebucht.
Und die zweite Reise? Genau noch eine einzige Kabine war verfügbar! Da gabs nur eins: Sparschwein schlachten und buchen. Als Inselsammler durfte ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.

(Fortsetzung folgt)