Donnerstag, Mai 03, 2018

Brotmissbrauch

 
Vom Autor des Buches
IMMER WIEDER FERNWEH - Logbuch eines Inselsammlers:

Brotmissbrauch

„Gib uns heute unser täglich’ Brot“. Ich gehe davon aus, dass der Texter dieses Bittspruchs damit nicht meinte, ich müsse mir mein tägliches Brot in einem Restaurant geben lassen. In diesem Falle würde ich nämlich entweder den sofortigen Hungertod oder den Übertritt in eine Naturreligion wählen. Was nämlich als „Brot“ in helvetischen Gaststuben auftaucht, hat diesen Namen nicht verdient, ist politisch unkorrekt und somit „missbrotbräuchlich“.

Früher schaute ich mir die Toiletten an, um mir einen Überblick über den Zustand eines Restaurants zu verschaffen. Heute belasse ich es bei einem tiefen Blick in die Brotkörbe. Deren Zustand und Inhalt zeigt mir nicht nur den Hygienestandard des Betriebs, sondern vermittelt mir auch einen Blick in die Seele des Wirtes. Ob getarnt unter Selbstgehäkeltem, aufgewertet in Alessi oder abgeschlossen unter Plexiglas: Nichts entgeht meinem Brotauge.

Wenn ich die Qualität Schweizer Hotels und Restaurants allein an deren Angebot an Backwaren bewerte: Das Resultat ist bedenklich. Brotähnliche Pampigkeiten mit orbitalem Dehnfaktor werden als Hausbrot aufgetischt, Brotartiges von gestern wird quasi via Gast entsorgt. Fade Baguettes, bereits vor dem Morgengrauen in Scheiben geschnitten, welken auf Porzellan ebenso dahin wie im Bastkorb. Auch das Vorhandensein einiger Mohnsamen, Weizenkörnli oder Buchennüssli macht aus geschmackslosen Teiglingen noch kein gutes Brot. Auch nicht, wenn dieses dann mit Silberbesteck und weissen Handschuhen serviert wird.

Ein Hotelier erklärte mir seine Brot-Politik: „Ich serviere kein gutes Brot, weil sonst die Gäste nur noch eine billige Suppe bestellen und sich den Bauch mit teurem Brot voll schlagen“. Er arbeitet jetzt in der Chemie.
Ich kenne eine Beiz, da gehen viele Leute auch wegen des Brotes hin. Sie schlagen sich, zu selbst gemachter Suppe, frischem Salat und wunderbaren Steaks, die Bäuche mit selbst gebackenem Brot voll. Und weil sie so viel essen, müssen sie auch viel teuren Wein und viel teures Mineralwasser trinken. Und manche bestellen sich nachher noch eine Meringue oder eine Gebrannte Crème und vielleicht sogar noch einen Selbstgebrannten zum Kaffee.
 
Aus dem Buch Hühnerbrust und Federkiel, erschienen bei BoD, erhältlich dort wo's g'scheite Bücher gibt, im Brockenhaus oder im Internet.
 
 


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