Freitag, Mai 11, 2018

Oel

Aus der Kolumnensammlung
Hühnerbrust und Federkiel
von Hanspeter Gsell, erschienen bei Bod


Ich sitze inmitten von Olivenbäumen in den Hügeln von Castellina und denke an Angelo und seine hübsche Pizzeria in der Schweiz. Auf seinen kleinen Tischen mit den karierten Tischtüchern standen früher immer die Flaschen mit dem wunderbaren Olivenöl.
 
"Die Biene". Oel auf Pappe von LEG
Eines Tages aber fand der Buchhalter von Angelo, dass dieser unbedingt seine Margen verbessern müsse. Und er sagte ihm auch gleich wie. Es gäbe doch viel günstigere Olivenöle: Wieso er denn für den Liter Olivenöl 28 Franken bezahle, wo er doch eben ein Angebot für 8 Franken gesehen habe. Bei einem Verbrauch von 20 Litern pro Monat mache dies immerhin bla-bla-bla. Da Angelo zwar viel von der Küche aber nur wenig von Zahlen verstand, befolgte er den Rat und kauft sich seither eine olivenölartige Flüssigkeit, die er nachts heimlich in die alten Extravergine-Flaschen umfüllt. Er selber mag das Öl zwar nicht, aber der Buchhalter hat ihm gesagt, dass die Schweizer garantiert nichts merken würden. 
Und tatsächlich, weder Frau Doktor Selbig noch Herr Hugentobler von vis-à-vis sagten bei ihrem letzten Besuch ein Sterbenswörtchen. Der Buchhalter gratulierte Angelo zur deutlich gestiegenen Küchenrendite. Allerdings ist sich Angelo nicht sicher ob er sich darüber freuen soll. Ihn interessiert vielmehr wo eigentlich die Selbig und der Hugentobler geblieben sind.

Eben erst wieder wurde ein grosser Konzern wegen Produktefälschung angeklagt. Und der Meierhans von nebenan fährt immer noch regelmässig über die Grenze, um sich mit billigem Olivenöl einzudecken. Es kostet immerhin dreimal weniger als das Motorenöl für seinen Mercedes.

Noch mehr Geschichten finden Sie im Reiseverführer IMMER WIEDER FERNWEH.



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