Montag, November 23, 2015

Kaderli und das grosse Brausen

Nachdem sich der geneigte Leser (wohin „neigen“ sich eigentlich Leser?) in der letzten Ausgabe von meiner ausserordentlich professionellen Ausbildung überzeugen  und meine ersten Abenteuer unter Wasser mitverfolgen konnte, heisst es nun heute „back to the roots“ – zurück zu den Wurzeln! Denn, was wäre ein Taucherleben ohne Mitgliedschaft in einem Tauchclub? Richtig! Gar nichts!

Wie es sich für einen ordentlichen Verein gehört, wurde schon lange zum Voraus ein Komitee gegründet, welches den Pfingstausflug zu organisieren hatte. Fragen wie „wohin, weshalb, warum und wann?“ wurden erörtert und schon bald erhielten die Mitglieder einen akkuraten Reiseplan und den unvermeidlichen Befehl: „Besammlung um 08.00 Uhr vor dem Gemeindehaus, gemeinsame Abfahrt: 08.30 Uhr. Gez. Kaderli, Präsident“
Nachdem die geplante Abfahrt wegen fehlender Teilnehmer mehrmals verschoben werden musste, setzte sich die Karawane gegen 10.00 Uhr langsam in Bewegung. Angeführt vom Präsidenten persönlich fanden wir auch bald die Autobahneinfahrt und fuhren im Konvoi, und einer gefühlten Höchstgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern, dem Ziel unserer Träume entgegen. Bereits am späteren Nachmittag – der Chef hatte eine Reifenpanne und Kevin-Albert musste kotzen – erreichten wir den lieblichen Gasthof im Tessin.
Der Zimmerbezug verursachte einige Probleme: Das Komitee hatte nicht genügend Zimmer reserviert! Kaderli liess umgehend den ganzen Verein vor dem Hotel Aufstellung nehmen, rief zum Appell und liess die liederliche Bande sauber durchnummerieren.
Und tatsächlich: Drei Mitglieder bekannten sich schuldig, sich nicht angemeldet zu haben. Gleichzeitig aber fehlte Willi, Peter kam alleine (Frau abhandengekommen) und Gerda (Mann abhandengekommen) hatte einen Neuen dabei. Kurz bevor es zu Tätlichkeiten kam, sprach Kaderli ein Machtwort: „Willi liegt beim Neuen von Gerda, diese erhält das Einzelzimmer von Willi und die Neuen sollen doch selber schauen, wo sie hinkommen.“
Mein Einspruch, Willi sei doch gar nicht hier, verhallte ungehört. Nachdem Kaderli dessen Bettstatt umgebaut und sämtliche Schränke aus dem Zimmer entfernt hatte, fräste er einen Durchgang zwischen die Zimmer 2 und 3, vermauerte die Türe zu Zimmer 4 und schnitzte eine heilige Maria ins Dachgestühl.

 
Was danach geschah, kann der Apostelgeschichte entnommen werden: „Als aber der Pfingsttag gekommen war, geschah ein Brausen vom Himmel und sie wurden von dem heiligen Geist erfüllt.“ Dem Brausen aber folgte nicht der Heilige Geist sondern das obligate, unheilige Tischerücken im Restaurant.
Aus unerfindlichen Gründen fühlen sich Vereinsmitglieder nur glücklich, wenn alle an einem einzigen, langen Tisch sitzen können. Dank diesem ungeschriebenen Gesetz ergeben sich Tischreihen, die auf der Gartenterrasse beginnen, durch das Restaurant, die Küche und die Wäscherei hinunter zur Kegelbahn und hinaus zum Parkplatz führen.
Auf Grund der chaotischen Tischordnung wurden auch diesmal Familien brutal auseinander gerissen: das Kind hockte im Keller, der Vater auf dem Parkplatz und die Mutter in der Wäscherei. Die Wirtin notierte einen Kinderteller für den Keller, ein Steak für den Parkplatz und vergass die Mutter, welche anschliessend einen Wurstsalat erhielt den sie auch nicht bestellt hatte.
Der Grossvater erklärte sich sofort bereit, diesen zu übernehmen und bestellte für den Enkel noch eine Bratwurst, die dieser später heulend auf den Boden werfen sollte. „Ich will einen Pinguteller!“ schrie Bubi los, worauf die Mutter aus der Wäscherei zum Vater auf den Parkplatz eilte: „Schau du jetzt mal zu Kevin-Albert, ist ja auch dein Sohn!“

In diesem Moment betrat die Wirtin den Schauplatz: „Zum letzten Mal: Wem gehört gopferdori das Schnitzel?“ Natürlich war es wieder Grossvater der sich opferte und – nach dem Wurstsalat und dem Pinguteller – auch noch das Schnitzel ass. Als es ums Zahlen ging, artete der Abend völlig aus. Nach einem ersten Versuch beim Grossvater („ich bezahle die Bratwurst von Kevin-Albert, Freddie bezahlt meine Getränke und den Wurstsalat“) knallte die Wirtin die Rechnung auf den Tisch und zischte „selber einkassieren“.
Was Grossvater auch artig tat.
Nur Freddy fand er nicht.

 
Schon seit einigen Stunden fuhren sie ungemütlich vor sich hin.

„Meinst du, wir sind richtig?“ fragte die Signora.
„Was heisst hier richtig? Natürlich sind wir richtig! Laut Bordcomputer geht es noch 287 Kilometer!“ schnauzte Freddy zurück und konzentrierte sich wieder auf die Fahrbahn.
„Aber Kaderli hat doch gesagt, von Basel seien es gute 4 Stunden bis an den Lago. Und jetzt sind wir schon seit 9 Stunden unterwegs!“

Insgeheim kam auch ihm die Reise etwas langfädig vor. Und als er in der Ferne einen schiefen Turm erblickte, trat er ohne Vorwarnung auf die Bremse. Der Wagen kam rauchend und schlingernd auf dem Pannenstreifen zu stehen.
Heilandsagg! Das war doch DER schiefe Turm! Und der stand doch gopferdammi in Italien und nicht im Tessin!
„Scheiss Navi!“ brüllte er los, riss das Ding aus seiner Halterung und warf es im hohen Bogen über die Leitplanken. Da er, als er sich das Navigationsgerät gekauft hatte, gleichzeitig auch die Strassenkarten weggeworfen hatte, stand er nun irgendwo in der italienischen Pampas, hatte keine Ahnung wo er war und noch weniger, wo er eigentlich hinmusste.
„Ruf mal Kaderli an“ sagte er zu seiner Frau, „der Herr Präsident wird ja wohl wissen, wo wir hin müssen.“
„Hast du seine Handynummer?“
„Ich? Wieso ich? Du bist die Sekretärin hier!“
Nachdem sie alle Koffer ausgeladen und fein säuberlich auf dem Pannenstreifen aufgereiht hatten, fanden sie endlich die Reiseunterlagen und Kaderlis Telefonnummer.
"Gibst du mir mal dein Handy?“ fragte sie ihren Göttergatten.
„Warum? Du hast doch selbst eins!“
„Ja schon, aber es ist zu Hause geblieben.“
„Es ist zu Hause geblieben? Was ist denn das für eine saublöde Antwort: Es ist zu Hause geblieben!? Handys können nicht zu Hause bleiben. Handys haben keinen eigenen Willen und können nicht denken. Du wohl aber auch nicht! Vergessen hast du dieses blöde Ding! Gottseidank hast du mich dabei – hier, nimm meins!“
„Es geht nicht, der Akku ist leer“ entgegnete sie nach einer Weile und gab ihm sein Handy zurück. Wortlos steckte er es ein, startete den Motor und fuhr davon.
„Und jetzt, wohin?“ wandte er sich an seine Frau.
Die jedoch sass nicht neben ihm, sondern auf fünf Koffern auf dem Pannenstreifen der Autostrada nach Roma und hörte gar nichts.

 Da Freddy nicht nur in Italien steckte, sondern auch Herr über Taucherflagge und Notfallkoffer war, blieben die Flossen trocken, der Pfingstausflug wurde abgebrochen.
Das angekündigte Brausen aber kam nicht vom Himmel, sondern aus Kaderlis enttäuschter Seele: Er trat noch gleichentags von all seinen Ämtern zurück.

In mondlosen Nächten sieht man ihn, mit Tischen und Stühlen schwer beladen, in den nahen Wäldern umherstreifen.
Die Tischreihe soll bereits mehrere Kilometer betragen.

 

 

 

 

 

 

Vorsicht Satire!

 

Hanspeter Gsell schrieb viele Jahre bissige Kolumnen für verschiedene Zeitungen, darunter die Schweizer Hotelrevue sowie die Basler Zeitung. Diese Texte, aber auch weitere Geschichten rund um die Gastfreundschaft, liegen ebenfalls in Buchform vor.

Aktuell finden sie Reiseberichte und Reportagen auch in der Volksstimme sowie im AQUANAUT.

 

Hühnerbrust und Federkiel – Seitenhiebe auf die Gastfreundschaft

ISBN 978-3-8334-6351-8

Ikefang und Gutgenug – Südsee-Geschichten

ISBN 978-3-8391-0777-5

Ein bisschen scharf muss sein – Seitenhiebe auf die Gastfreundschaft (2)

ISBN 978-3-8482-2851-5

 

Alle erschienen beim Verlag BOD GmbH, Norderstedt

 

 

 

 

 

 

Dienstag, November 17, 2015

Ein Schollen Hanf

Mitnichten handelt es sich hier um eine Glosse für oder wider den auch im Baselbiet heimisch gewordenen Hanfstängel. In meiner alten Heimat bezeichnete man mit einem „Schollen Hanf“ schlicht und einfach ein Stück Brot. Und genau darum geht’s in dieser Kolumne.
Der Werbespot der Schweizer Bäcker ist eine Meisterleistung der Filmtechnik. In Zeitlupe explodiert ein offensichtlich ofenfrisches Brot. Sekundenlang und in HD zischen Krumen und Brösmeli kreuz und quer über den Bildschirm. Das Geräusch der brechenden Kruste ist ein Genuss für die Ohren, die Schallwellen drängen bis ins Hirn vor und suggerieren umgehend „Hunger“! Bis hierher funktioniert die Werbung. Dann aber ist Schluss. Denn das gezeigte Produkt ist in dieser Form wohl nur Wunschdenken und im täglichen Leben kaum in dieser Qualität zu finden.

„Gib uns unser täglich‘ Brot.“ Ich gehe nicht davon aus, dass der Texter dieses Bittspruchs damit meinte, ich müsse mir mein täglich‘ Brot in einem Restaurant, im Speisewagen oder in einem Flugzeug geben lassen. In diesem Falle würde ich nämlich einen sofortigen Hungertod in Betracht ziehen oder zumindest über den Übertritt in eine Naturreligion nachdenken. Was in Gaststuben, auf Schienen und in den Lüften serviert wird, hat den Namen „Brot“ nicht verdient, ist nicht nur politisch unkorrekt sondern gleichzeitig missbrotbräuchlich. Wenn ich die Qualität von Restaurants allein an deren Angebot an Backwaren bewerten sollte: Das Resultat wäre mehr als bedenklich. Brotähnliche Pampigkeiten mit orbitalem Dehnfaktor werden als Hausbrot aufgetischt, Brotartiges von gestern wird quasi via Gast entsorgt. Fade Baguettes, schon vor dem Morgengrauen in Scheiben geschnitten, welken auf Porzellan ebenso dahin wie im verstaubten Bastkorb. Auch das Vorhandensein einiger weniger Mohnsamen, Weizenkörnli oder Buchennüssli macht aus geschmacklosen Teiglingen noch kein gutes Brot.

Schlimmer noch als die Brotkultur in mittelmässigen Restaurants ist das Frühstück in der Hotellerie. Das durchschnittlich inbegriffene Hotelfrühstück ist bestenfalls das Kunststück aus nichts noch weniger zu machen. Was mir hier zur angeblich schönsten Stunde des Tages vorgesetzt wird, ist meist ein klägliches Stück gastronomischer Biederkeit. Seit Jahr und Tag erhalte ich die gleichen Einheitsaufbackgipfel und das Knäckebrot hat das Knacken schon längst verlernt. Das einzige Gold im Mund‘ zur Morgenstund‘ ist meist nur in Form von Zahngold anwesend.

Manchmal denke ich, dass Brot für viele Menschen an Bedeutung verloren hat. Vielleicht ist Brot für Viele nur noch die Erinnerung an einen alten Kalenderspruch:

 "Grosspapi, ich mag kein Brot!"

 "Bub, iss das Brot, dann wirst du gross und stark!"

 "Weshalb muss ich denn gross und stark werden?"

 "Damit aus dir mal etwas Gescheites wird."

 "Aber warum soll ich den etwas Gescheites werden?“

 "Damit du dir das Brot selber verdienen kannst."

 "Aber Grosspapi, ich mag doch gar kein Brot!"

Donnerstag, Oktober 22, 2015

Ein Taucherleben - Wie alles begann

„Sie möchten Delfine vor Bora Bora streicheln? Oder vielleicht mit einem Walhai durch den Golf von Mexiko schwimmen? In der Südsee eine kleine Süsslippe küssen oder im Pazifik einen Manta reiten? Kein Problem. Lernen Sie Tauchen, treten Sie einem Tauchclub bei!

Gut Luft!“ 

 Noch wusste ich nicht, weshalb die Luft unter Wasser besonders gut sein sollte. Trotzdem: Auch ich wollte Delfine streicheln und Süsslippen küssen. Ich beschloss deshalb, meinen inneren Sauhund zu überwinden, einen Tauchkurs zu absolvieren und mich ins kalte Wasser zu stürzen.
Es geschah auf der Insel Kreta. Der Theorieunterricht fand in einem umgebauten Eselstall statt. Nicht dass dies ein Problem gewesen wäre. Aber die Unterrichtssprache war griechisch mit einzelnen englischen Untertiteln. Da ich zu dieser Zeit das eine gar nicht und das andere auch nicht viel besser konnte, beschloss mein Lehrer Vassilios, seine Grossmutter zurate zu ziehen. Diese hatte nämlich im letzten Weltkrieg einem deutschen Fallschirmspringer das Leben gerettet. Als Dank dafür hatte er ihr die deutsche Sprache beigebracht.
Wie sie sich denken können, waren deren Übersetzungskünste aufgrund des fehlenden Vokabulars erfolglos. Ganz abgesehen davon, dass die gute Frau Worte wie Sauerstoffpartialdruck, Residualvolumen und Abdominaldichtungsstutzen nicht einmal in griechischer Sprache konnte. So beantwortete ich die Fragen in der mündlichen Prüfung, indem ich einzelne Verse aus Schillers Glocke deutsch rezitierte.
Ich bestand die theoretische Prüfung ohne Probleme und mit der Bestnote, was mich in der Folge berechtigte, die ersten praktischen Übungen im Hotelpool zu absolvieren. Es muss sehr lustig gewesen sein. Jedes Mal wenn ich auftauchte, klatschten die Zuschauer Beifall und verlangten Zugaben.
Auch diesen Test bestand ich bravourös und so durfte ich zum ersten Mal ins richtige Meer. Aus einem wackelnden Gummiboot liess ich mich rückwärts ins Wasser platschen, verlor prompt meine Gesichtsmaske und stellte fest, dass ich nur eine Flosse anhatte und den Bleigurt an Bord vergessen hatte. Also wieder rein ins Boot und alles noch einmal von vorne. Diesmal klappte es schon viel besser und ich tauchte vorschriftsgemäss ab.
Plötzlich jedoch war Vassilios nicht mehr zu sehen. Der Blödmann hatte mir doch eben noch erklärt, dass man nicht allein tauchen dürfe. Ich hatte jedoch keine Zeit mehr, mir darüber Gedanken zu machen, da mir gleichzeitig jemand die Luft zudrehte und die Gesichtsmaske wegriss. Etwas verschwommen sah ich ein Gesicht vor mir, dass ich aufgrund des grossen Schnauzes Vassilios zuordnete. In diesem Moment erinnerte ich mich an das morgendliche „Gut Luft!“, versetzte ihm einen Kinnhaken und entriss ihm seinen Lungenautomaten. Arm in Arm tauchten wir auf: Auch diese Prüfung bestand ich mit Bestnote.
Am Abend kam es zur Preisverleihung am Brunnen vor dem grossen Tor. Die ganze Hotelbevölkerung jubelte mir zu, die Bouzoukis zupften eine kleine Wassermusik und Vassilios tanzte wie weiland der alte Zorbas. Nach unzähligen Rakis, Ouzos und andern geistigen Wässern erhielt ich bei Sonnenaufgang das begehrte Stück Papier. Endlich war ich Taucher! Und Vassilios war sichtlich froh, dass wieder einmal ein Schüler überlebt hatte. Ich aber marschierte ins nächste Reisebüro und buchte meinen ersten Tauchurlaub.

 

Wir sitzen unter einer grossen Palme vor dem Flughafengebäude von Grand Cayman und warten auf den Anschlussflug nach Cayman Brac. Es ist heiss und feucht, die Langsamkeit hat das Leben übernommen. Der Sekundenzeiger meiner Uhr scheint sich kaum mehr zu bewegen. Fliegen fallen antriebslos zu Boden, die wenigen sichtbaren Menschen bewegen sich in Zeitlupe. Ein Getränkeautomat verspricht kalte Getränke, denkt aber nicht daran, diese von sich zu geben.
Ich denke über die Langeweile nach. Der Philosoph Blaise Pascal meinte dazu: „Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. () Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele die Langeweile aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung.“
So schlimm wird es jedoch nicht, nach wenigen Stunden hebt unser Flieger ab und bringt uns auf die Insel Cayman Brac. Hier werde ich träumen, tauchen und ab und zu mal was trinken. Ein Minibus bringt uns und andere Reisende zum Hotel. Mit dabei auch ein rothaariger, bleicher und etwas magersüchtiger Europäer. Er trägt einen schlecht sitzenden Anzug, Krawatte, Schuhe in Übergrösse und schwitzt nicht. Während der Fahrt unterrichtet er die Mitreisenden freiwillig über Geschichte und Kultur dieses Eilandes. Dabei schien es ihn nicht zu stören, dass die meisten bereits eingeschlafen waren.
„Der ist sicher Geschichtslehrer“, flüstert mir meine Frau zu.
„Nein“, entgegne ich. „Dieser Heini ist Liftboy bei Harrods und hat die Reise bei einem Preisausschreiben gewonnen. Briten tun immer so wichtig!“

 Die Briten unter den Tauchern erkennt man übrigens schnell. Nicht nur weil sie wie Briten aussehen und zum Frühstück Tee mit Milch sowie Porridge bestellen. Sondern weil sie vielfach noch Tauchausrüstungen aus der Zeit von Lord Nelson dabei haben, von der Schlacht bei Trafalgar fabulieren und ein Englisch sprechen, dass man nur schwer versteht. Selbstverständlich tauchen sie nach den Regeln der königlichen Kavallerie. Briten erkennt man nicht nur an der seltsamen Aussprache, sondern auch daran, dass sie Maggie Thatcher nachtrauern, Cameron zum Teufel wünschen und jedem der es auch nicht wissen will, von früher erzählen.

Wir verbringen wunderbare Tage und laute Nächte. Leider sind es keine Nachtigallen, die durch unsere Träume fliegen, sondern deutlich grössere Vögel. Da die Insel genau so lang ist wie die Piste, liegen auch alle Hotels genau neben der Piste. Pünktlich um drei Uhr nachts landet eine Maschine aus New York. Bis zu deren Abflug vergehen 40 Minuten. Es lohnt sich also kaum, sich dazwischen wieder ins Bett zu legen.
Den Liftboy sehen wir Gott sei Dank kaum. Aus unbekannten Gründen schliessen sich nämlich Alleinreisende immer wieder gerne uns an. Wir aber wollen nur träumen, tauchen und ab und zu mal was trinken.
Bei einem Tauchgang aber kann ich nicht mehr ausweichen und stosse mit ihm zusammen. Ich bin unterwegs zum vorgelagerten Riff, als er plötzlich wie ein Torpedo von links angeschossen kommt und mich rammt. Er macht entschuldigende Zeichen, zeigt auf Tauchcomputer und Kompass.
Der Liftboy bedeutet mir, ihm zu folgen, was ich gerne tat, da ich mich mit Bussolen immer schwer tue. Sein Tempo aber war atemberaubend, noch nie hatte ich jemanden erlebt, der sich derart wendig, sicher und präzise bewegen konnte. Dieser Geschichtslehrer war garantiert kein Liftboy! Und schon gar nicht bei Harrods.
Ob er vielleicht Mitglied der königlichen Kampftaucher war? Obwohl: Die meisten Kampftaucher sprechen deutsch, stammen aus Preussen und sind paramilitärisch organisiert: Schon vor dem Frühstück gibt’s ein gemeinsames Frühturnen, anschliessend Strammstehen und Ansage des Tagesbefehls. Abmarsch in das Frühstückscasino, strammer Max, Wurst, manchmal Käsescheibletten. Um 08.00 Uhr wird in Einerreihe eingestanden und durchgezählt. Pünktlich und nicht ohne ein martialisches „Gut Luft“ stürzen sie sich ins Wasser. Sollte diese Unterwassersturmtruppe über oder unter Wasser einem nicht preussischen Objekt begegnen, wird dieses im besten Fall ignoriert. Im zweitbesten Fall wird es unter Einsatz der Flossen – die zu diesem Zweck mit rostfreien Stahlkappen ausgestattet sind – vom Weg gedrängelt. Im schlimmsten Fall entledigt man sich des Eindringlings, indem man ihm die Schläuche durchschneidet, das Blei abreisst, die Tarierwest aufschlitzt, die Maske wegnimmt und die Flossen auszieht. Nein, dieser Liftboy war kein Kampftaucher!

Heute nun reist der Lift fahrende Kampftaucher und Geschichtslehrer ab. Artig verabschiedet er sich mit einem angedeuteten Knicks. Er trägt einen schlecht sitzenden Anzug, Krawatte sowie Schuhe in Übergröße. Er schwitzt nicht, als er uns seine Visitenkarte überreicht.

John W. M., Chefpilot, British Airways.

 


 

 

 

 

Freitag, Oktober 09, 2015

Ménage a trois

Diese Überschrift ist natürlich irreführend, möglicherweise sogar journalistisch unkorrekt. Es geht hier um das Menage, um das „Tischgestell für Salz, Pfeffer und sonstige am Tisch benötigten Gewürze“. (Wikipedia)
Auf Grossmutters Tisch war früher, ausser dem Sonntagsbraten, gar nichts zu finden. Bei Tante Martha erschien in den 60er-Jahren ein versilbertes Menage mit winzigen Salz- und Pfefferstreuern die meist verstopft waren. Onkel Otto manifestierte daraufhin seine Auslandsreisen in Form von Ketchup, Worcestersauce und Tabasco.

Was aber gehört heute auf den gepflegten Tisch? Angesichts der aus Gesundheitsgründen immer fader werdenden Gerichte gehört Salz auf jeden Tisch. Gutes Schweizer Salz aus einer Salzmühle. Von „Fleur de Sel“ und rosa Salz aus dem Hindukusch lassen sich höchstens noch Neureiche beeindrucken.
Zur Pflicht gehört auch eine Pfeffermühle, gefüllt mit schwarzem Pfeffer. Nur Dilettanten füllen gläserne Mühlen mit kunterbunten Mischungen farbiger Körner. Besonders der rosa Pfeffer – der botanisch gar keiner ist – beweist eindrücklich die Unwissenheit eines jeden Gastgebers. Rosa Pfeffer ist weder scharf noch besonders würzig und eignet sich nur zur Dekoration farbloser Gerichte.
Bereits zur Kür gehört ein gutes Olivenöl. Kaufen sie ihr Olivenöl bei einem Händler ihres Vertrauens. Er sollte sich im Dschungel der Qualitäts- und Herkunftsbezeichnungen auskennen. Und – obwohl der Preis an sich noch keine Qualität garantiert – gönnen sie sich das Teurere. Sollten sie übrigens für einen Liter Motorenöl mehr bezahlen als für einen Liter Olivenöl, dann vergessen sie diesen Text umgehend.

Nicht auf den Tisch gehört Aceto Balsamico. Kaum noch ein Gericht, das nicht auch noch mit Balsamico „veredelt“ wird. Balsamierte Rindsfilets sind an der Tagesordnung, beim Salat ist die undefinierbare Brühe zum reinsten Ärgernis verkommen. Der Balsamico oder „Aceto balsamico di Modena“ war ursprünglich ein absolut aussergewöhnlicher Würzessig. Es gibt ihn natürlich immer noch: Er ist jedoch nur echt mit der Bezeichnung „Tradizionale“ und dem Zusatz D.O.P (Denominazione di Origine Protetta). Ein Tradizionale ist mindestens 12 Jahre alt. Ein Flacon (1 dl) kostet ab Fr. 80.--, ein Extravecchio (mindestens 25 Jahre gelagert) auch mal Fr. 250.--. Was landauf, landab unter dem Namen Balsamico unsere Gaumen beleidigt, ist ein Industrieprodukt billigster Qualität und zweifelhafter Herkunft und nichts anderes als eingekochter, oxydierter und im Schnelldurchgang fermentierter Traubenmost.

Natürlich gibt es auch Gastgeber, die gar nichts aufstellen. Für solche Fälle habe ich immer drei Döschen dabei. Zwei davon sind gefüllt mit Salz und Pfeffer. Mit deren Inhalt – die Döschen selbst stammen aus dem Krämerladen meines Enkels – wird jedes noch so fade Gerichte geniessbar. Sie wollen wissen, was sich im dritten Döschen befindet?
Natürlich Aromat!

Die perfekte Ménage à trois!

 

 

Dienstag, September 01, 2015

Wa(h)lfang

Wale sind geschützt. Ausser in Japan und einigen anderen barbarischen Ländern. Deren Ureinwohner sind derart verfressen, dass sie keinesfalls auf die megalomanen Meeresschnitzel verzichten wollen.
Als man mir vor einigen Jahren auf der kleinen Karibikinsel Bequia einen leibhaftigen Buckelwal vorsetzte, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen und versuchte die angebliche Götterspeise. Das Gericht erinnerte mich an eine Bouillabaisse aus Napoleons Zeiten und war völlig ungeniessbar.

 


Aber nicht nur Wale, auch Wahlen können einen ganz schön schalen Geschmack hinterlassen. Fröhlich winken bereits wieder National- und Ständeratskandidaten von Plakatwänden und versprechen bessere Zeiten. Ihre populistischen Worthülsen flattern in Form von Beilagen und Beipackzetteln aus der Zeitung auf meinen Frühstückstisch. Verkrampft wirkende Gesichter und hastig geknipste Bildchen buhlen um meine Gunst.

Ich gebe es gerne zu: Wahlen bringen mich regelmässig in Bedrängnis. Da ich den politischen Parteien zutiefst misstraue, kommt eine Wahl nach Parteizugehörigkeit nicht in Frage. Deren vollmundig leeren Versprechungen sind kaum mehr wert als Altpapier.
In der Annahme, dass nur genussfreudige und weltoffene Menschen meine persönlichen Anliegen effizient vertreten können, habe ich mich entschlossen, die Kandidaten auf ihre Genussfähigkeit und Reisefreudigkeit zu überprüfen.

So sind Bewerber, die in Interviews die Frage nach ihrem Lieblingsgetränk mit „Wasser oder Ovi“ beantworten, für mich als Weinliebhaber nicht wählbar. (Pepita würde ich noch knapp akzeptieren.)
Schwärmen sie in der Rubrik „Lieblingsessen“ von Rucola und Balsamico, sind sie gastronomisch nicht tragbar. Sollten solche lukullischen Tiefflieger zudem von ihrem Ikebana-Kurs im Prättigau schwadronieren oder ein Lama-Trekking im Obergoms planen, fehlt es ihnen an Weitsicht und sie fallen als Wahlfänger bei mir durch.

Auch bei missionierenden Chüngelzüchtern bin ich vorsichtig. Sollten solche Kandidaten zudem in der Nähe einer Kirche – möglicherweise sogar in Rothenfluh – wohnen, sind sie für mich nicht wählbar. Auch dann nicht, wenn sie Sarah Jane lieben und nicht Bischof Huonder.

Besonders interessant ist aufgrund der aktuellen Lage folgende, noch nicht veröffentlichte Aussage, eines Nationalratskandidaten:

„Ich beschäftige bei mir zu Hause einen afghanischen Flüchtling, er hat eine Arbeitsbewilligung und ist bei der AHV angemeldet. Ich bezahle sogar seine Krankenkassenprämie und manchmal, wenn’s kalt ist, darf er in unserm Stall schlafen.“ Mein lieber Mann! Als Politiker sollte man besser lügen können!

Aber auch Anhänger der „Booot-ist-voll“-These können bei mir nicht punkten. Die Schweiz zählt nämlich rund 2,4 Millionen Haushalte. Per Ende Juli jedoch nur gerade 4‘410 Asylanten aus Afghanistan. Das wären dann 0,0018375 Afghanen pro Haushalt. Wo also liegt das Problem?  

Montag, Juli 27, 2015

Mit Hurni auf der Pfalz

„15.00 Uhr auf der Pfalz, beim Basler Münster“ hatte es auf der Einladung geheissen. „Wir freuen uns, Euch anlässlich unserer Trauung zu einem Apéro einladen zu dürfen. Liebe Grüsse, Brigitte.“

 Es ist Freitagnachmittag, sommerlich warm und offenbar hatten sich gleich mehrere Jungverheiratete dazu entschlossen, ihre Gäste auf diesem wunderbaren Platz zu bewirten. Wo aber war unsere Gastgeberin, wo war Brigitte? Rechts stellte eine mittelalterlich gekleidete Minnegesellschaft ihre Notenständer auf, zwei Ritterknappen schenkten trüben Saft aus. Ob das unsere Gesellschaft war? Ich bezweifelte dies. Brigitte mochte mit Sicherheit weder trüben Saft noch angegraute Ritterknappen. Erst jetzt bemerkte ich ein Schild mit der Aufschrift „Für Barbara“.

Etwas weiter entfernt packte ein Alt-Achtundsechziger eben sein Tenorsaxophon aus, sabberte ein paar Schluchzer durch das angerostete Instrument, legte es wieder zurück in den Kasten. Ein Gitarrist improvisierte den unvermeidlichen  Hochzeitsmarsch in einer Variante von AC/DC. Eine Saite verabschiedete sich mit einem jaulenden Ping, es schien ihn nicht zu beeindrucken. Eine Schiefertafel informierte, dass hier eine gewisse Nathalie heiraten täte.

15.00 Uhr war längst vorbei. Ob wir Brigitte je finden würden? Bevor wir eine Antwort auf unsere Frage bekommen hatten, drückte mir Hurni ein Cüpli in die Hand. Hurni? Was suchte denn Hurni hier und woher hatte er das Cüpli? Egal. Wir genossen die Stimmung und stiessen mit wildfremden Leuten auf das Glück des jungen Paares an.

 Hurni hatte in der Zwischenzeit ein gut bestücktes Buffet entdeckt. Daneben  schien ein älteres Ehepaar eintreffende Gäste in Empfang zu nehmen.

„Viel Glück“, sagten wir, als wir  vor den mutmasslichen Brauteltern standen.
„Vielen Dank“, antworteten diese.
„Auf Brigitte, hoch soll sie leben!“ doppelte Hurni nach.
„Brigitte? Welche Brigitte denn?“ fragte der mutmassliche Brautvater.
„Unsere Brigitte natürlich! Sind Sie vielleicht auf der falschen Hochzeit?“ meinte Hurni vorwurfsvoll.
„Nein. Aber Sie. Unsere Tochter heisst Marianne.“

Etwas bedrückt schlichen wir von dannen.

„Wer sind die zwei?“ hörte ich die falsche Brautmutter fragen. „Keine Ahnung“ antwortete der falsche Brautvater. „Wahrscheinlich von irgendeiner Zeitung.“

„Rasch ans Buffet“, flüsterte Hurni. „Man sollte es nicht glauben, aber manche Leute kommen nur auf die Pfalz, um sich hier vollzusaufen!“ Schon nach einem knappen Stündchen fühlten wir uns wie zu Hause. Hurni winkte einem Kellner, der sich eben davonmachen wollte und bestellte sich ein Kotelett, einen Coupe Dänemark sowie eine Flasche Champagner.

Plötzlich ertönte Musik vom Münsterplatz her. Der fastnächtliche Klang erinnerte mich an jemanden! Wir hatten Brigitte gefunden!

„Woher kennst Du eigentlich Brigitte?“ fragte ich Hurni etwas später.

„Brigitte? Wer soll das sein? Ich bin jeden Freitag auf der Pfalz. Da gibt’s immer was zu trinken.“

Montag, Juni 22, 2015

Rekordblöd

Der Weltrekord von Peter H. senior aus Hugelshofen wurde 1952 aufgestellt. In nur 4 Minuten und 27 Sekunden frass er 12 Nussgipfel vom Hasli-Beck.

1998 wurde ein Amerikaner Sieger im „Spaghetti-durch-das-Nasenloch-blasen“. Der Weltrekord im „Bienen-im-Mund-aufbewahren“ liegt bei 109 Tierchen. Bei den Küchenschaben liegt die Bestleistung bei nur 36 Krabblern. Dafür mit schlucken. Im Pancake-Weitwurf brachte es ein Deutscher irgendwann auf 416 Fladen in 2 Minuten.  Der grösste je gebastelte Apfelkuchen wog 15 Tonnen bei einer Fläche von 91 m2. Deutlich mehr, nämlich 128 m2, mass ein japanisches Riesenomelett im Jahre 1994. Der Rekord-Caesar-Salad  (2,5 Tonnen) wurde 1997 in Washington konstruiert. Der grösste Cake aller Zeiten wog 58 Tonnen.

Bei den Fleischklopsen liegt der Rekord bei lächerlichen 2,8 Tonnen. Was für ein Vergleich mit dem kanadischen Riesenkäse von 26 Tonnen! Daneben wirkt der zypriotische 1,5-Tonnen-Döner wirklich klein. Die Italiener haben es beim Salami erst auf eine Länge von 151 Meter geschafft. Kein Vergleich also mit dem 2,5-km-Cake aus Dubai. Und schon gar nicht mit der englischen 59-km-Wurst aus dem Jahr 2000. Bei den Paellas sind 15 Meter Durchmesser und 3 Tonnen Gewicht zu schlagen. Ungültig erklärt wurde letzthin der Pizzarekord von 37 Metern Durchmesser! Erlaubt sind vom italienischen Staat nämlich nur 35 cm.

In der Basler Eintracht wurde vor sieben Jahren ein Weltrekord in der Kategorie Cordon bleu aufgestellt. Natürlich hat der französische Präsident diesen Rekord nicht anerkannt, da es sich bei diesem Gericht um ein französisches Kulturgut handeln würde, dass nur von französischen Köchen kulturell korrekt zubereitet werden könne. Dasselbe Schicksal wird wohl auch das neuste Riesenplätzli (25.8 Meter) aus Wollerau (SZ) erleiden. Dies wird die Gemeinde nicht weiter beeindrucken. Man ist nämlich bereits Rekordmeister im Sammeln von Steuerflüchtlingen. Darunter befindet sich nicht nur unser aller Roger Federer sondern auch die Ex-Banker Grübel und Ospel.

Sissach und das Baselbiet hielten sich bislang bei Fressrekorden vornehm zurück. Dabei gäbe es durchaus Produkte die sich dafür eignen würden. So könnte man auf der Sissacher Fluh die grösste Pepita-Flasche der Welt bauen. Die wäre dann grösser als der neue Roche-Turm und man könnte von der Aussichtsterrasse bis nach Basel blicken – wenn man denn wollte. Oder aber das Stöpli brätelt die längste Rauchwurst der Welt – von Sissach bis nach Zunzgen oder von mir aus auch bis Diegten. Wie telegen wäre doch ein Baselbieter Rahmdääfeli so gross wie das Schwimmbecken der Sissacher Badi. Sollte die Damenriege dazu noch einen verwegenen Cancan wagen, wäre dies in der Tat rekordverdächtig.

P.S. Gestern erstickte in Hugelshofen Peter H. junior kläglich bei dem Versuch, den Nussgipfel-Rekord seines Vaters zu überbieten.

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Donnerstag, Juni 11, 2015

Stöck, Stich, Prosecco

Die Talgdrüse in meinem Gesicht – sie erinnerte mich an den Ätna kurz vor seinem letzten Ausbruch – störte mich seit Monaten. Immer wieder kam es beim Rasieren zu wüsten Metzeleien. Mein Hausarzt wusste Rat und bestellte mich an einem Dienstagabend in seine Praxis.
Abbildung Notgeldschein Ich bin der Doktor Eisenbart
„Das werden wir gleich haben!“ meinte er kurz und bereitete das Operationsbesteck vor.

Sorgfältig desinfizierte er weite Teile meines Gesichts und markierte mit verwegenem Schwung die vorgesehene Schnittstelle.

„Schwester!“ rief er laut. Ich wunderte mich weshalb er seine Frau „Schwester“ nannte. Da jedoch weder die eine noch die andere reagierte, kümmerte ich mich nicht weiter darum.

„Na dann werden wir sie schon mal lokal anästhesieren“, grummelt er leise. Wir? Wen meinte er damit? Sollte ich ihm etwa dabei helfen? Bevor ich ihn fragen konnte, stach er zu und verliess das Zimmer.

Zwischenzeitlich erschien die angetraute Schwester und fragte, wo denn der (angetraute) Doktor sei. Da ich diese Frage nicht beantworten konnte, verliess sie den Raum. Der Gesuchte erschien derweil durch die Hintertüre und wollte wissen, ob denn die Schwester aufgetaucht sei. Ich wähnte mich bereits in einer Boulevardkomödie und hielt nach einer versteckten Kamera Ausschau, als der Doktor samt ehelicher Schwester wieder erschien.

„Schwester, Skalpell!“ rief er mit befehlsgewohnter Stimme.

Zaghaft wandte ich ein, dass die Wirkung der Spritze schon bedrohlich nachgelassen habe.

Es sah mich ungläubig an: „Kann nicht sein, und überhaupt, in 2 Minuten ist die Chose erledigt.“

Scheinbar unkontrolliert schnitt er in meinem Gesicht herum, ich stöhnte vor Schmerz. Nach langen 12 Minuten endlich die Erlösung.

„Schwester, Faden!“

„Grösse?“

„2er“

„Hab ich nicht! Geht auch 7er?“

„Das ist je schon beinahe ein Kalberstrick, dann eben den 3er.“

„Hab ich auch nicht.“

„Also gut, dann geben sie mir eben den 7er, “ und – an mich gewandt: „In ihrem Alter werden sie ja wohl kaum mehr bei einem Schönheitswettbewerb teilnehmen, hähähä!“ Frau Schwester tröstete mich zum Abschied mit einem Gläschen Prosecco.

 
„Keine Angst, so etwas kann ihnen bei mir nicht passieren“, beruhigte mich mein Zahnarzt, nachdem ich ihm die Geschichte erzählt hatte. Unsanft rammte er mir die Spritze ins Zahnfleisch, der Bohrer näherte sich dem Bohrloch. Als er versehentlich in den kleinen Spiegel gebohrte hatte, erbleichte er und legte den Bohrer zur Seite. Wir tranken zusammen einen Prosecco.

„Keine Angst, so etwas kann ihnen bei mir nicht passieren“, beruhigte mich mein Coiffeur, nachdem ich ihm die Geschichte erzählt hatte. Fröhlich schnitt und schwatzte er vor sich hin. Nachdem er mich zuerst ins Ohr geschnitten und kurz darauf die Scherenspitze in meinen Hals gerammt hatte, erbleichte er und offerierte mir ein Glas Eptinger.

 
Morgen habe ich einen Termin beim Augenarzt. Vorsichtshalber werde ich eine Flasche Prosecco mitnehmen.

 

 

 

 

 

Mittwoch, Juni 03, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Bora Bora

Sicher werden sich einige Leser gewundert haben, weshalb die schier endlose Reportage über meinen Weg zu Gauguin so abrupt geendet hatte. War ich am Grabe des verehrten Meisters zusammen gebrochen oder hatte mich eine tropische Krankheit dahingerafft? War unser Schiff im Sturm gesunken, oder war ich auf dem Weg von der Schiffsbar zur Kajüte über die Reling gestürzt und elendiglich ertrunken?

Nein. Meine Verehrung für Gauguin hielt und hält sich immer noch sehr in Grenzen, tropische Krankheiten gibt es auf den Marquesas keine. Kein Sturm zeigte sich auf unserer 1‘300 km langen Rückreise nach Tahiti, die Schiffsbar hatte ich bereits leer getrunken.

Nein, es war Bora Bora welches mich dahin raffte, mich gewissermassen ertrinken liess. Dem Anblick dieser Insel kann sich wohl niemand entziehen. Es ist so, als würde man gleich mehrere Matterhörner zusammen erblicken. Matterhörner die aus dem Dunkelblau des Pazifiks, aus dem Türkis der Lagune heraus wachsen. Zwischen dem offenen Meer und der Lagune liegt das Weiss der Brandung wie eine Halskrause, der goldgelbe Sand der Atoll-Inseln rahmt das Gemälde ein. Ein Bild, gesprenkelt mit Palmen, den farbigen Klecksen des Hibiskus, den weissen Blüten der Tiare. Atemberaubend, sinnesberaubend, zum wahnsinnig werden schön. Aber nicht nur der Atem, die Sinne und der Verstand kommen einem abhanden. Es beraubt einem der Sprache. Und genau deshalb haben Sie beinahe 3 Wochen nichts mehr von mir gehört.

Aber heute nun, ich sitze bei 30 Grad C auf dem Balkon, mein Blick verfängt sich in einer kleinen weissen Wolke östlich der Bölchenfluh, heute habe ich die Worte wieder gefunden.
Es sind nicht nur schöne, wie folgende Zeilen befürchten lassen:

„Am weissen Strand im Sommerland
Wir beiden gingen Hand in Hand
Die rote Sonn versank im blauen Meer“

Natürlich wissen wir nicht, mit wem der deutsche Sänger Tony Marshall („Hoppladiddi Hoppladadda“) Hand in Hand durchs Sommerland schritt. Als ich jedoch das Plakat sah, das ein Konzert genau dieses Tony Marshall auf Bora Bora ankündigte, und genau in diesem Moment die angeblich rote Sonne im blauen Meer zu versinken drohte, wandte ich mich an meine belesene Mitreisende aus Berlin.

„Frau Schmitz, was genau hat dieser Mann mit Bora Bora zu tun?“
„Ja wussten sie denn nicht, dass der Herr Marshall das berühmte Lied „Bora Bora“ gesungen hat? Ich dachte, sie seien Schriftsteller, ha! Und dann haben ihm die Eingeborenen 2008 das Ehrenbürgerrecht verliehen. Und dies 30 Jahre nachdem das Lied in der Hitparade war! Und zudem gibt es in Baden-Baden einen Tony-Marshall-Weg, sie Ignorant!“

Bevor mich Frau Schmitz noch weiter einen Ignoranten schimpfen konnte, verliess ich das Schiff und machte mich auf der Suche nach den Schönen und Reichen. Denn Bora Bora gilt als einer der exklusivsten und luxuriösesten Urlaubsorte in der oberen Preisklasse und gehört zu den teuersten Reisezielen der Welt. Da mussten sie doch zu finden sein! Mit 38 qkm war die Insel ja nicht wirklich ein Kontinent.

Am Hafenkiosk um die Ecke wurde ich fündig:

„Lindsay Lohan auf Bora Bora schwer erkrankt! Die bekannte Schauspielerin („Liebe braucht keine Ferien“) wurde von einer Mücke gestochen!“ Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, ob Tony Marshall je von einer Mücke gebissen wurde, wusste ich sofort, dass sich die beiden wohl nie näher kommen würden. Ganz abgesehen vom Altersunterschied standen sich deren Ansprüche ans Leben diametral entgegen. Die eine brauchte keine Ferien, der andere schwadronierte Hand in Hand in den Sonnenuntergang.

Schon bald erfuhr ich, dass es auch eine berühmte Schweizerin bis nach Bora Bora gebracht haben soll. Sie heisst Fabienne Marchand und ich habe wieder mal keine Ahnung wer das ist. Also, diese Frau Marchand war mal Miss-Schweiz-Anwärterin, heiratete 2007 einen schwerreichen Immobilienunternehmer namens Bratschi und wanderte flugs nach Bora Bora aus. Auf einem Motu, einer Insel auf dem Atoll, lebt sie im grössten Haus Polynesiens, beschäftigt 7 Mitarbeiter (inkl. Lehrerin für das allerliebste Töchterlein namens Lilou). Während der letzten Jahre nun hat sie ein Kinderbuch geschrieben, bekam eine Homestory in der Schweizer Illustrierten und einen Auftritt bei Glanz & Gloria. Vielleicht sollte ich auch Kinderbücher schreiben!
In der Ferne sind die Ueberwasser-Bungalows des „The St. Regis Bora Bora Resort“ zu sehen. Ein Freund meinte einmal zu mir: „Wenn du viel Geld ausgeben willst, dann kaufe dir eine grosse Villa und leiste dir eine anspruchsvolle Freundin. Wenn du noch mehr ausgeben willst, dann kaufe dir einen Bugatti sowie eine Yacht. Wenn du aber wirklich viel, viel Geld ausgeben willst, dann machst du Ferien in Bora Bora.“

Damit hat er wohl recht. Davon ausgehend, dass niemand auf Bora Bora in einem mittelmässigen Dreisternehotels in der achten Reihe logieren möchte, ist mit einem Budget von CHF 1‘000. — zu rechnen. Pro Tag. Pro Gast. Ohne Transfer. Ohne Frühstück. Die bereits erwähnte Lindsay Lohan soll rund CHF 40‘000. — hingeblättert haben. Für eine Woche. Ohne Frühstück. Im  „The St. Regis Bora Bora Resort“.

Während ich so vor mich hin sinniere, wandere ich der Küstenstrasse entlang. Ich werfe einen Blick ins „Bloody Mary“. Auf einer Tafel am Eingang sind all die Schönen und Reichen erwähnt, die hier schon mal diniert haben sollen. Marlon Brando. Jack Nicholson. Leonardo DiCaprio. James Cameron. Ich kann ihnen verbindlich berichten, dass wirklich ALLE schon hier waren. Ausser Sepp Blatter.

 

 

Montag, Mai 18, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Hiva Oa - Ueber die Kunst

Während sich Jean-Louis, der arme, reiche Fischer und Urenkel des Dorfbäckers immer noch über seinen Urgrossvater ärgert, lustwandle ich im Gauguin-Museum von Atuona. Dort hängen mehr Bilder des Malers als anderswo auf der Welt. Leider aber keine Originale. Die müssen Sie sich schon in Basel ansehen.

Ich gebe es gerne zu, so etwas wie Kunstverständnis habe ich nicht. Deshalb werde ich auch kein Wort über Gauguins Werk verlieren. Nur vielleicht dies: Die Frauen in Polynesien sind in Wirklichkeit deutlich schöner, als er sie gemalt hat. Vielleicht war sein Blick durch die Syphilis doch schon ziemlich getrübt. Zu Gauguins Palmenhainen meinte meine Tante Martha schon vor Jahren, dass so eine wackere Blautanne mindestens so schön sei. Und Jahreszeiten habe es „dort unten“ ja auch keine.
„Aber diese Farben!“ entgegnete ich. „Nur Gauguin konnte die Farben der Südsee so gekonnt interpretieren!“
„Quatsch, mein Neffe Kevin, kann das auch. Und zwar ganz ohne Pinsel. Mit seinen Fingerfarben hat er ein prächtiges Bild mit Geranien gemalt.“
Aber eben, auch Tante Martha hatte kein Kunstverständnis.

Gleich hinter dem Gauguin-Museum befindet sich eine weitere Memorabilien-Ausstellung. Denn auch ein anderer berühmter Künstler hatte sich in Atuona ein Häuschen gebaut. Jacques Brel, belgischer Chansonnier hatte sich 1976 auf der Insel angesiedelt. Im Gegensatz zu seinem Malerkollegen war er jedoch äusserst beliebt. Mit seinem Flugzeug, einer zweimotorigen Twin Bonanza flog er Kranke nach Tahiti und machte sich auf den Inseln nützlich, etwa indem er die Post transportierte.

 
In der Abgeschiedenheit der Marquesas fand Brel noch einmal die Inspiration für neue Chansons, die um seinen Rückzugsort kreisten, aber auch immer wieder um den nahenden Tod. Und hier soll er auch das Lied „Une Île“ geschrieben haben:

„Voici qu’une île est en partance
Et qui sommeillait en nos yeux
Depuis les portes de l’enfance“

 
„Eine Insel die die Anker lichtet
Und die seit den Pforten der Kindheit
In unseren Augen schlummerte“

1978 kehrte er zu einer Tumorbehandlung nach Frankreich zurück wo er am 9. Oktober starb. Seine Leiche wurde nach Hiva Oa überführt und unweit vom Grab Gauguins beigesetzt. Im Gegensatz zu Gauguin liegt er aber wirklich dort. Ganz real und nicht nur virtuell.
Während ich das Museum verlasse, ertönt ein letztes Lied von Jacques Brel.

„Ne me quitte pas
Il faut oublier
Tout peut s’oublier
Qui s’enfuit déjà“

„Geh nicht fort von mir
und was war vergiss
wenn du kannst vergiss
die Vergangenheit“

Leider muss ich trotzdem gehen, mein lieber Jacques. Bis zum nächsten Mal……..

 

 

Sonntag, Mai 17, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Im Freudenhaus

Guten Morgen, herzlich willkommen auf dem Friedhof von Hiva Oa!

Auf dieser Insel liess sich der französische Maler Paul Gauguin im Herbst 1901 nieder nachdem er sich auf Tahiti zunehmend unwohl gefühlt hatte. Ein Unwohlsein, dass er vornehmlich sich selbst zuzuschreiben hatte. Einmal mehr war ihm das Geld ausgegangen, die Syphilis plagte ihn und seine 13jährige Geliebte war des 52jährigen überdrüssig geworden. Er legte sich mit Jedem an: Nachbarn, Politiker oder die Kirche, alle wurden sie von ihm aufs übelste beschimpft und beleidigt. Einen Selbstmordversuch mit Arsen überlebte er knapp, seine Herzprobleme machten ihm das Leben schwer.

Und so bestieg er mit den letzten Sous eine Schaluppe, die ihn am Strand von Atuona auf der Insel Hiva Oa absetzte. In kürzester Zeit hatte er sich eine Hütte zusammen gezimmert und sich dort mit einem 14jährigen Mädchen einquartiert. Natürlich war diese nicht seine Geliebte! Wer würde denn schon angesichts seines späteren Ruhms sowas aussprechen wollen! Nein – sie war seine Muse, sein Modell! Seine Hütte nannte er allerdings „Maison de Jouir“, was nichts anderes als „Freudenhaus“ bedeutet. Honi soit qui mal y pense - ein Schelm, wer Böses dabei denkt!


Auch auf Hiva Oa schaffte er es wiederum, sich überall unbeliebt zu machen. Mit missionarischem Übereifer setzte er sich für die Rechte und Interessen der einheimischen Bevölkerung ein und provozierte damit die Obrigkeit. Zwischendurch malte er seine Musen und steckte sie mit Syphilis an. Mit seinen Bildern und Zeichnungen bezahlte er die offenen Rechnungen in der Bäckerei. Die ständigen Auseinandersetzungen gipfelten in der Verurteilung zu einer Haft- und einer Geldstrafe. Gauguin war mittlerweile bettlägerig geworden und bekämpfte seine Schmerzen mit Morphin. Er starb 54-jährig am 8. Mai 1903 und wurde auf der Insel begraben. Und genau vor diesem Grab stehen wir nun, hier sollen seine Gebeine ruhen.

Tun sie aber nicht, man hat sie an einem unbekannten Ort auf der Insel verscharrt, das Grab ist leer. Sind Sie jetzt enttäuscht? Müssen Sie nicht, nur einer hat einen guten Grund dazu, er heisst Jean-Louis, ist Fischer in Atuona und Urenkel des Dorfbäckers. Dort hatte auch Gauguin seine frischen Baguettes gekauft und diese mangels Geld mit Bildern, Zeichnungen und Skizzen bezahlt. Grossvater hat sie artig gesammelt und an einem trockenen Ort aufbewahrt. Als er genügend gesammelt hatte, zündete er sie an und briet über dem Feuerchen eine Brotfrucht. Die Gauguins sollen wunderbar gebrannt haben…..

 

 

Dienstag, Mai 12, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Ua Huka

Ua Huka

Heute wird in unserer Kabine gehämmert und geschraubt, der Safe lässt sich nämlich seit gestern Abend nicht mehr öffnen. Die ersten Versuche, das elektronische Verriegelungssystem zu überlisten, schlagen fehl. Auch mit Hammer und Meissel ist ihm nicht beizukommen. Jetzt muss der Schiffsingenieur ran! Er begutachtet alles und beschliesst, den Safe nach Art der Panzerknacker aufzubohren. Nachdem auch noch der zweite Bohrer abgebrochen war, griff er zum Satellitentelefon und versuchte, die Herstellerfirma zu erreichen. Leider war diese in der Zwischenzeit nach China verkauft worden. Da der zuständige Chinese nur chinesisch konnte, unser Ingenieur aber nur französisch mit polynesischem Akzent sprach, verliefen auch diese Bemühungen im Sande.

Nun wollte er von uns wissen, was sich denn so alles im Safe befinde. Denn er habe sich entschlossen, den Tresor aufzuschweissen und es bestünde die Gefahr, dass der Inhalt in Brand geraten könne. Ich dachte an meinen Pass und die Tickets für die Weiterreise. Wäre es nicht wunderschön, gleich für immer hier zu bleiben? An weissen Stränden sitzen, die Füsse von den sanften Wellen des Stillen Ozeans streicheln zu lassen, sich an der Milch der Kokosnüsse und nicht an Kuhmilch zu laben, ab und zu unter Palmen eine Kolumne zu schreiben, nichts anderes als pure Lebenslust zu geniessen. Sollen die doch schweissen so viel sie wollen!

Die Unfähigkeit, mir all die schönen Namen der Inseln, Dörfer und Berge zu merken, haben mich gestern ganz schön in die Nesseln (solche gibt es hier allerdings nicht) setzen lassen. Denn noch sind wir nicht auf Hiva Oa sondern noch in Ua Huka.

Auf keiner anderen Insel habe ich die tropischen Düfte des Pazifiks so intensiv erlebt wie hier. Die vermeintlich zivilisierte Welt hat ja die natürlichen Düfte praktisch ausgerottet. Wiesen und Äcker riechen bestenfalls nach Dünger, Gülle oder Pestiziden. Unsere Brauereien müssen ihre wohlriechende Abluft aufgrund gesetzlicher Vorschriften reinigen. Wie gut roch es immer, wenn wir auf dem Weg in die Ostschweiz kurz vor Winterthur die Maggi-Fabrik passierten. Heute gibt es Einsprachen von Nachbarn gegen Bäckereien und Kaffeeröstereien, weil sie sich durch Geruchsimmissionen gestört fühlen. Und Richter, die solche Einsprachen mit unsinnigen Urteilen unterstützen. Solchen Richtern und all den netten Nachbarn sollte es untersagt werden, die Südsee und den Pazifik zu bereisen.

Wohlgerüche werden nicht mehr toleriert, sind nicht mehr populär, sind verboten. Die einzigen Gerüche, die noch diskutiert werden, heissen Gucci, Armani und Dior. Im Pazifik ist alles anders. Alles riecht. Einige der Gerüche sind tiefgründig, verführerisch und entzückend. Andere schockieren, sind abgründig, scheinen ausserhalb jeder Ordnung zu sein. Auch der Pazifik – das Meer, die See – riecht.: ein Geruch nach Iod, Algen, getrocknetem Salz; an den Ufern: nach fauliger Vegetation, tropischen Pflanzen, nach Muscheln, Krabben, Seegras, Schlamm.

Viele Inseln haben ihre ureigenen Duftmarken hinterlassen. Und so gab es früher Seeleute, die einzelne Insel mit Hilfe ihrer Nasen riechen und so bestimmen konnten. Dazu gehörte auch Tahiti, genauer gesagt die Meerenge zwischen Moorea und Tahiti. Zu gewissen Tageszeiten, wenn die Fallwinde durch die Täler Mooreas zum Meer drängten, vermischten sie sich mit dem reichen und überwältigenden Geruch von Vanille. Sandelholz war früher ein Signal für die Matrosen, dass sie demnächst in Waikiki an Land gehen konnten. Der ganze Bestand an diesen wohlriechenden Bäumen auf Hawaii wurde längst abgeholzt. Nun riecht Waikiki nach Ananas. Grund dafür ist die nahe Konservenfabrik welche Ananas in Dosen abfüllt.

Zurück nach Ua Huku. Trotz einiger Erfahrung als Sensoriker kann ich die Insel geruchlich nicht zuordnen. Ich gebe ihr trotzdem 100 von 100 möglichen Punkten, ich kenne keine andere Insel auf der Welt – als Inselsammler kenne ich davon eine ganze Menge – die derart wohl riecht.

Ich betupfe meinen Hals mit ein paar Tropfen Eau de Parfum, bestelle mir an der Schiffsbar Bier aus Tahiti und warte auf den Sonnenuntergang.

Gute Nacht, bis morgen. Wir werden uns morgen um 08.30 Uhr auf dem Friedhof von Hiva Oa wieder sehen. Bitte seien Sie pünktlich.

 

 

 

 

 

 

 

 

Montag, Mai 11, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Fatu Hiva

Fatu Hiva

Fatu Hiva ist die Insel der Superlativen: die Südlichste, die Insel mit den meisten Niederschlägen, die Üppigste, die Abgeschiedenste, die Authentischste. Ganz im Süden der Marquesas-Insel gelegen, besteht dieses Eiland aus zwei verschachtelten Vulkanen und Dutzenden von Buchten. Darunter befindet sich auch die Jungfrauenbucht, eine der wohl schönsten Flecken dieser Welt. Da ich beim Beschreiben von Landschaften einen deutlichen Hang zum Kitsch habe, versuche ich die Chose rezeptartig in den Griff zu bekommen: „Man nehme ein norwegisches Fjord, heize das Ganze auf 28 Grad auf und lasse rundherum Palmen und exotische Blumen fallen. Anschliessend setze man ein paar Hundert Pferde aus, stelle links und rechts riesige, phallusartige Felssäulen auf und fertig ist die Bucht der Jungfrauen.“

Ursprünglich hiess sie übrigens Bucht der Penisse. Dies passte den bigotten Missionaren natürlich nicht, sie änderten kurzerhand den Namen. Was diese Gesundbeter hier auf den Marquesas sonst noch angerichtet haben, geht auf keine Kuhhaut. Sie haben den Ureinwohnern so ziemlich alles genommen was deren Kultur repräsentierte. Ihre alten Götter wurden per Dekret abgeschafft und durch einen Neuen ersetzt. Kultstätten wurden zerstört, Tätowierungen verboten. Die alten Lieder durften nicht mehr gesungen werden, Choräle mussten her. Die freie Liebe wurde verboten, man durfte nicht mehr nackt durch die Wälder tanzen, Hemd und Hose, Jupe und Bluse mussten her. Bevor ich jetzt wieder in einen gottlosen Schreibrausch verfalle und sehr, sehr wütend werde, beende ich dieses Thema und empfehle Ihnen den Kauf meines Buches „Ikefang und Gutgenug – Geschichten aus der Südsee“, erschienen bei BOD.

Auch auf Fatu Hiva, wie auf allen andern Inseln in den Marquesas, gibt es Petroglyphen zu sehen, in Stein gehauene Abbildungen von Tieren, Symbolen und kleinen grünen Männchen. Grün deshalb, weil sie von Flechten überzogen sind. So wie die Petroglyphen waren auch die Tikis, steinerne Zeugnisse früherer Häuptlinge, immer wieder gut zur Begründung wilder Fantasien. Und deshalb war natürlich auch unser aller Erich von Däniken hier und hat erfolglos nach seinen UFO-Göttern gesucht. Auch der Norweger Thor Heyderdahl lebte über ein Jahr auf Fatu Hiva. Er war in den 50er-Jahren auf einem selbst gebastelten Floss, der Kontiki, von Peru nach Polynesien geblasen worden. Seine Reise hätte beweisen sollen, dass die Polynesier ursprünglich aus Südamerika stammten. Mit diesen Theorien – sie wurden inzwischen wissenschaftlich widerlegt – hat er sich auf der Insel ziemlich unbeliebt gemacht. Derart unbeliebt, dass er aus der Jungfrauenbucht vertrieben wurde.

 P.S. Auch heute wieder kein vollständig sichtbarer Sonnenuntergang. Vielleicht morgen.

 

 

 

 

Sonntag, Mai 10, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Ua Pou

Ua Pou

Willkommen auf der Insel Ua Pou! Steile Berge, grüner Dschungel, weisse Strände, blaues Meer, die gelben Blüten des Ylang-Ylang, die roten Blumen des Ginger: Alle Farben des Regenbogens findet man hier dicht gedrängt auf engstem Raum. Apropos Regenbogen: Von denen gibt es hier jede Menge zu sehen. Und als sich gerade wieder ein prächtiger Bogen über den Hügeln bildet, doziert Frau Schmitz aus Berlin, wir würden uns hier und jetzt auf einer Insel hinter dem Regenbogen befinden. Nein, entgegnet Jean-Louis aus Paris, Ua Pou liegt vor dem Regenbogen. Als sich dann auch noch ein Verschwörungstheoretiker meldet und behauptet, dies stimme alles nicht, die Welt sei immer noch eine Scheibe und überhaupt, die Regenbögen würden vom amerikanischen Geheimdienst manipuliert, erbarmt sich der Himmel und beendet die Diskussion mit einem äusserst heftigen Platzregen.

Ich beobachte vom Schiff aus, wie die Fracht entladen wird. Hühnerbeine, Instantkaffee, Frühstücksflocken, Bier und Softdrinks werden an Land gebracht. Zurück kommen tropische Früchte und Säcke voller Kopra, getrocknetem Kokosnussfleisch. Am kleinen Pier stehen unzählige Pickups, einige davon scheinen brandneu zu sein. Wie viele Kokosnüsse müssen wohl gegen einen Pickup getauscht werden? Zehntausend? Hunderttausend? Nein! Keine einzige! Die Marqusas-Inseln sind französisches Territorium, die Bewohner profitieren von Subventionen aus Paris. Wenn es nun einem Marquesaner nach einem Pickup gelüstet, gründet er flugs eine eigene Firma. Sein klappriges Fischerboot dient als Eigenkapital und da die Firma in einer Entfernung von etwa 500 Metern zum Hafenliegt, benötigt man zum Transport der Fische einen Pickup. Das berechtigt den Fischer zu happigen Subventionen, das Firmenauto kostet noch einen Bruchteil des Katalogpreises. Da die einzelnen Inseln kaum über mehr als 10 km Strassen verfügen, haben die Autos nach 5 Jahren höchstens 10‘000 km auf dem Tacho. Jetzt werden sie in Tahiti, der Hauptstadt Französisch Polynesiens wieder verkauft. Und zwar zu einem Preis der immer noch um Einiges höher ist, als der ursprüngliche, subventionierte Kaufpreis. Vom Erlös kauft man sich wieder einen Neuen, dazu vielleicht noch einen Kühlschrank, einen Laptop und ein paar Kisten Bier.

Genau ein solches Bier genehmige ich mir jetzt, warte einmal mehr auf den perfekten Sonnenuntergang und freue mich auf die Insel Fatu Hiva. Dort werde ich wieder auf Spurensuche gehen. Diesmal auf die Suche nach den Fussabdrücken von Thor Heyderdahl.

 

 

 

 

 

Samstag, Mai 09, 2015

Auf der Suche nach Gauguin - Nuku Hiva

Nuku Hiva
Heute Morgen hat die Aranui die Marquesas-Inseln erreicht. Erster Halt: Taiohae auf der Insel Nuku Hiva.
„Kurz nach Sonnenaufgang zeigten sich verschiedene Kanus, die uns eine Menge Brotfrucht gegen kleine Nägel brachten. () Einer der  Eingeborenen fing an, uns offenbar zu betrügen und Nägel, wofür er Brotfrüchte angeboten hatte, an sich zu nehmen, ohne die Früchte abzuliefern. Der Kapitän hielt es deshalb für notwendig, sich und seine Leute bei diesem Volke in Ansehen, den Betrüger aber in Furcht zu setzen und liess eine Muskete abfeuern. Der unerwartete Knall hatte die erwünschte Wirkung, der Dieb reichte uns nämlich ganz bestürzt die Brotfrüchte, um die er uns hatte betrügen wollen. () Ein Offizier, der gerade an Deck gekommen war, verkannte die Situation, griff nach einem Gewehr und schoss den Unglücklichen auf der Stelle tot.“ Soweit Georg Forster in seinem Buch „Entdeckungsreise nach Tahiti und in die Südsee 1772 – 1775“ an Bord der „Resolution“ unter dem Kommando von James Cook
Derart drastisch verlief unser Kontakt mit den Einwohnern von Taiohae nicht, ganz im Gegenteil. Wir setzten uns beim Pier in ein kleines Bistrot und schauten den Fischern zu, wie sie ihren Fang an Land brachten, die Fische putzten und in handliche Stücke schnitten. Das überflüssige Fleisch schmissen sie gleich ins Wasser, ein Festmahl für ein Dutzend Zitronenhaie. Der Kaffee im Bistrot war frisch, dazu gab‘s gratis Bananen so viel man wollte. Und einen kostenlosen Zugang zum Internet! Ich wollte heute endlich meinen Bericht über das Leben eines alten Häuptlings und Kannibalen der Redaktion übermitteln. Ich schaffte es tatsächlich, meinen Briefkasten zu öffnen und las begierig die neusten Mails. Medikamente aus Schanghai, eine gratis Kreditkarte und mehrere Millionengewinne obskurer Lotterien warteten auf meine umgehende Bestellung oder Kontaktaufnahme. Als ich mein Mail aufgesetzt hatte, kam die Technik jedoch gewaltig ins Stottern. Die Buchstaben versuchten, sich einer nach dem andern ins unsichtbare Kabel zu schleichen und ihren Weg zum nächsten Satelliten zu suchen. Es gelang nicht allen und beim Satz
„Atotupo Hakamanew-ta-Tikimaniana – Mein Leben als Kannibale“ war Schluss. Nichts ging mehr. Auch mein Versuch, den Atotupo-Bandwurm wieder rückwärts aus dem Internet zu ziehen, scheiterte kläglich. Ich beschloss, auch Nuku Hiva zu den glücklichen Inseln dieser Welt zu zählen
Dank der nun gewonnen Zeit konnte ich mich wieder den existentiellen Fragen des Leben zuwenden. Warum zum Beispiel hat man auf den Marquesas-Inseln im Vergleich zu Tahiti die Uhren um eine halbe Stunde vorgestellt? Nicht eine Stunde, nein, 30 Minuten mussten es sein! Als ob die „normalen“ Zeitunterschiede mein Leben als Reisender nicht schon genügend erschweren würden! Vielleicht sollte ich es wie meine Tischnachbarin Frau Schmitz aus Berlin halten. Sie hat sich gleich zwei Uhren umgeschnallt, die eine zeigt die lokale Zeit an, die andere die Zeit auf dem Kurfürstendamm. So weiss Frau Schmitz immer haargenau, ob jetzt zu Hause der Tatort aus Münster, die Lindenstrasse aus Berlin oder bereits die Morgenshow bei RTL läuft. Toll, nicht wahr?!
Mit genau dieser Frau Schmitz und ein paar andern Seniorinnen sind wir nun mit einem Jeep unterwegs durch den Dschungel von Nuku Hiva. Wir folgen dem angeblichen Fluchtweg von Herman Melville („Moby Dick“), besuchen alte Tempelanlagen, Opferstätten und werden Zeugen von rituellen Tänzen und kriegerischen Gesängen. Uralte Banyan-Bäume, moosbewachsene Petroglyphen und von Nebel behangene, hoch aufragende, spitze Basaltfelsen scheinen eine perfekte Kulisse für einen nächsten Abenteuerfilm mit Harrison Ford zu sein.
Frau Schmitz interessiert sich ungemein für den „Kannibalen von Nuku Hiva“, der vor einiger Zeit laut Bild-Zeitung einen deutschen Touristen aufgefressen haben soll. Sie erschauert leicht, als uns der Führer unterwegs das Inselgefängnis zeigt und anmerkt, sämtliche Gefangenen würden jeden Morgen entlassen und müssten sich erst bei Sonnenuntergang wieder einschliessen lassen. Sie müsse sich jedoch keine Gedanken machen, der Menschenfresser sitze nämlich in Tahiti ein. Und – die Geschichte sei sowieso erstunken und erlogen. Aufgefressen worden sei überhaupt niemand, der Deutsche vielleicht schwul gewesen, oder auch der Einheimische, und ob wer, wen oder überhaupt jemand vergewaltigt habe, liege ebenfalls völlig im Dunkeln.
Dieses „Dunkel“ kommt uns gut gelegen, diese Geschichte zu verlassen und wir setzen auf die ARANUI über. Dort ruhen wir uns vom aufregenden Tagwerk aus, träumen ein wenig und genehmigen uns ab und zu einen Drink.
Gute Nacht, bis morgen auf der Insel Ua Pou!