Die Geschenkkultur von Ik
Wir haben, zusammen mit Ruth-Ann, Geschenke auf die Inseln mitgenommen. Neben Kaffee und
Zucker sind es Betelnüsse und Tabak sowie Süssigkeiten für die Kinder. Wir schütten den Korb unter dem grossen Mahagonibaum aus und Peter, der Sohn von Barnabas, macht sich daran, sechzehn identische Häufchen aufzuschichten. So viele Familien wohnen auf der Insel, alles soll gerecht verteilt werden. Sollte ein Geschenk allzu gross sein, muss das Geschenk vorerst dem Chief präsentiert werden. Hat also ein Besucher einen Computer, ein Funkgerät oder eine Drohne im Gepäck, könnte es sein, dass dieser Gegenstand vom Chief einkassiert wird und in einer geheimen Ecke seiner Hütte eingelagert wird. Alle Inselbewohner können die Utensilien jedoch jederzeit „ausleihen“. Ob dies bereits eine Form von Kommunismus ist? Eher nicht. Denn im Gegensatz zum Kommunismus existiert die Geschenkkultur immer noch.
Auf Ik herrscht lavalava-Zwang und ein teilweises Tabakverbot. Ersteres wird weitgehend beachtet. Die Ladies tragen alle die kunstvoll gewobenen lavalava's, farbenfrohe Tücher, die man an Stelle eines Rockes trägt. Festgebunden werden diese mit wertvollen Gürteln aus Muscheln. Alte Fotos legen nah, dass man früher sogar Perlen verwendet hat.
Heute ist ein Besuch bei Ruth-Anns Mutter angesagt. Die alte Dame ist nicht mehr so gut zu Fuss und sitzt meistens in einem Rollstuhl. Der Sohn hat ihr eine kleine Rampe gebaut, so dass sie den Sitzplatz vor dem Haus bequem erreichen kann. Margarita heisst sie, ist 78, und noch äusserst rüstig und bei klarem Verstand. Wenn nur der Blutdruck nicht derart hoch wäre! Und sie habe keine Medikamente mehr! Welche Tabletten ihr der Arzt verschrieben habe, will ich wissen.
„Gar keine. Tabletten brauche ich keine, will ich nicht. Ich brauche nur ab und zu mal eine Zigarette zu rauchen, dann bin ich sofort wieder gesund.“ Obwohl ich an der therapeutischen Wirkung zweifle, offeriere ich einen Zigarillo. Nicht ohne daraufhin zu weisen, dass die Dinger, im Vergleich zu den handelsüblichen Zigaretten ziemlich stark seien. Ihr Sohn zündet den Stumpen für sie an, hält ihn ihr hin. Sie tut einen tiefen Zug, seufzt leise. «Very good medicament, very good!»
Ich verspreche ihr, die Zigarillo-Stummel zukünftig sorgfältig zu sammeln und ihrem Schwiegersohn Barnabas zu übergeben. Er würde daraus für sie neue Medikamente herstellen. Barnabas ist eine Art insularer Grosshändler für Tabakprodukte aller Art. Von der Insel Ikaais besorgt er sich Tabak, zerkrümelt diesen und stellt daraus mit alten Zeitungen neue Zigaretten her: «local ciarettes». Aus meinen Zigarillo-Stumpen-Krümeln produziert er nun eine neue Marke: «Ik Premium»!
Bei Barnabas gibt’s auch noch andere lokale Produkte zu kaufen. Zum Beispiel Strohhalme der Marke «Local Island Straw».
Da diskutiert die EU über ein Verbot von Kunststoff-Trinkhalmen, erwägt mal hier und diskutiert mal dort, dabei haben die Bewohner von Ik schon seit längerer Zeit den idealen Ersatz gefunden: Papaya-Halme. In Ik und Ikik trinkt man den Saft der Kokosnuss durch einen Papaya-Halm („local straw“). Diese sind lang genug, um auch noch den letzten Tropfen erfrischenden Saft in der Tiefe einer Kokosnuss zu erwischen.
Also dann, liebe Europäer: Schmeisst die Gummibäume aus der Wohnung; in den Müll mit den Palmen, die sowieso nie Früchte tragen werden, und setzt Papaya-Bäume! Aber besser heute statt morgen: Es kann nämlich eine Weile dauern, bis die Bäume Halme tragen!
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