Samstag, Dezember 29, 2018

Ulithi 23

Insel Ik, Ulithi-Atoll, Yap State, FSM

Gestern hat uns Seymour von der Entstehung der Insel Ik berichtet. Wir aber verlassen nun die Urgeschichte, setzen zum Zeitensprung an und landen kurz nach der Geburt Jesu Christi in einem kleinen Dorf an der Küste Malaysias.

Dort war eben ein Vorfahre von Seymour mit leeren Händen und einem blauen Auge von der Jagd zurückgekehrt. Wieder blieb die Küche kalt, sein Weib weinte bitterlich und die Kinderlein nagten derweil am Hungertuch. Vor einer Woche war die Vorratskammer abgebrannt, eine Horde Wildschweine hatte die Tarofelder umgegraben und die Lagune war leer gefischt. Demnächst würde wohl der Gerichtsvollzieher klingeln.

Und so setzte sich die Familie eines Morgens in ihr Kanu, nahm ein paar Sandwichs und gekühlte Getränke an Bord und segelte in den Sonnenaufgang. Unterwegs fingen sie Fische und zum Lunch gab es herrlich frischen Sashimi. Man sammelte das Regenwasser, knabberte Müsliriegel und erfreute sich der leichten Brise, die sie stetig über den Pazifik blies. Und es kam, wie es kommen musste: Eines Tages sichtete Urgrossvater eine einsame Insel.

Vorsichtig umrundete er das Eiland und hielt nach Bewohnern Ausschau. Aber da war niemand! Und so sprangen sie juchzend an Land, hissten die Fahne und nahmen Besitz von ihrer neuen Heimat. Lange Zeit dachte man, dass die Menschen rein zufällig auf irgendwelchen Inseln gelandet seien. Nach westlichem
Verständnis konnten die „Edlen Wilden“ wohl tanzen, trommeln und in grosse Muscheln blasen. Doch navigieren? Nein, dies war den europäischen Gelehrten und der christlichen Seefahrt vorbehalten!

Als ich Seymour an einem lauschigen Abend davon erzählte, lachte er sich ins runzlige Fäustchen. Denn die Menschen im Pazifik kannten sich in der Navigation weit besser aus, als es sich Magellan je hatte träumen lassen! Im Gegensatz zu den europäischen Berufskollegen hatten die mikronesischen Seefahrer nie die Vorstellung, dass die Erde eine Scheibe sei, an deren Rand man direkt in die Hölle stürzen würde. Die christliche Hölle kannten sie noch gar nicht, die wurde ihnen erst viel später von Missionaren erklärt. Urgrossvater und seine Zeitgenossen gingen davon aus, dass das Meer irgendwo direkt den Himmel berühren würde. Da sie auch keine Ahnung hatten, dass sie dort von irgendwelchen Erzengeln, Manna und himmlischen Gesängen erwartet wurden, fürchteten sie sich nicht und segelten weiter. Ihre Reiseroute bestimmten sie nach den Sternen, dem Wind, der Strömung und den Wellenformationen.

Diese Informationen, seit Jahrhunderten bekannt und vom Vater dem Sohne überliefert, waren in ellenlange Verse gefasst. Als Gedankenstütze verwendete man eine Art Makramee mit Holzeinlagen. Hatte Mutti mal Lust auf Mallorca, musste Opa nur die richtige Vorlage und den passenden Vers aussuchen und schon konnte es losgehen.

Als der Urgrossvater von Seymour die abgelegene Insel sichtete, war er nur ein bisschen überrascht. Sein Makramee und seine Verse hatten darauf hingedeutet, dass genau an dieser Stelle eine Insel liegen würde. Sichtlich und freudig überrascht, dass noch keine Deutschen und somit auch noch keine Schweizer, Österreicher und Angehörige anderer reisefreudiger Nationen das Eiland besetzt hatten, stiess er seinen Speer in den Sand, rief „Eureka!“ und nannte sein neues Zuhause Ik!

Obwohl er zu dieser Zeit die Bibel noch gar nicht kennen konnte, ging er hin und vermehrte sich. Mit den Jahren kamen neue Siedler dazu. Da Platz genug war und Urgrossvater sich zudem ernsthaft Sorgen über den Weiterbestand seiner Familie machte, empfing er die Neuankömmlinge freudig. Natürlich nicht, ohne eine angemessene Einbürgerungsgebühr zu verlangen und den Asylanten klar zu machen, wer hier denn der Chief sei. Zwischendurch versuchten auch Menschen aus sog. Schurkenstaaten illegal einzureisen.


Derlei Machenschaften liess man sich allerdings nicht bieten:
Das Boot war voll!

Wie es weiterging, erfahren Sie wie immer auf diesem Blog
- bleiben Sie mir treu!



  





 

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